Für kompetente Schulleitungen in der Zukunft braucht es den Blick auf die Potenziale von Lehr- und Fachpersonen von heute und Raum für ihre Entwicklung. Barbara Caffi, Logopädin und Fachleiterin Sonderpädagogik in der Schulgemeinde Fällanden, erzählt im Gespräch mit Nina-Cathrin Strauss, wie sich ihr Weg als Fachperson in die Schulleitung gestaltet hat, was ihre Motivationen sind und was diesen Prozess unterstützt und herausgefordert hat.
Barbara, nach vielen Jahren als Logopädin hast du nun neue Aufgaben in der Schulleitung übernommen. Wie haben sich deine Aufgaben in den letzten Jahren an der Schule Fällanden verändert?
Zwanzig Jahre lang habe ich mit viel Herzblut, aber recht autonom und fokussiert als Therapeutin in der Logopädie gearbeitet. Mit Unterstützung der Schulleitung habe ich in den letzten Jahren dann verschiedene Zusatzaufgaben übernommen, zum Beispiel die Stufenleitung Sonderpädagogik oder die Vereinheitlichung der Abläufe im sonderpädagogischen Bereich für die ganze Primarstufe. Dann kam das Angebot, im Zuge der Neuorganisation der sonderpädagogischen Strukturen die Leitung des Fachteams Therapie zu übernehmen.
Als Teamleitung bin ich verantwortlich für die Führung, Koordination und Weiterentwicklung des Therapie-Teams und des therapeutischen Angebotes ähnlich den Modellen der Städte Uster oder Zürich. Dafür wurde ich nun zusätzlich mit einem Schulleitungspensum angestellt und konnte mit der Schulleitungsausbildung starten.
Ich arbeite enger mit den anderen Schulleitungen und der Leitung Sonderpädagogik zusammen und beschäftige mich so auch mit Aufgaben und Herausforderungen, die die gesamte Schule betreffen. Die Stelle ist neu, ich muss daher meine Rolle füllen und entwickeln. Dabei profitiere ich viel von meiner ehemaligen Schulleitung.
Was hat dich an dieser Aufgabe gereizt? Und was bedeutet sie für deine Arbeit als Logopädin?
Für die Aus- und Weiterbildung von Schulleitungen gibt es einerseits den Ruf nach Praxisnähe und Anwendbarkeit, aber auch das Thema Zeitmangel, wie der Schulleitungsmonitor gezeigt hat. Es stellt sich die Frage, wann Weiterbildungen wirksam sind. Ein Element zur Kompetenzentwicklung ist die Aktionsforschung, deklariert Nina-Cathrin Strauss in ihrem Blogbeitrag.
Die Wirksamkeit von Weiterbildungen ist mittlerweile besonders für Lehrpersonen recht stabil erforscht (unter anderem Rzejak und Lipowski 2020; Rank 2022). Zusammengefasst ist Fort- und Weiterbildung im Beruf wirksam beziehungsweise stärkt sie die Entwicklung professioneller Kompetenzen von Teilnehmenden,…
wenn sie eine gewisse Zeit andauert (mehr als einen Nachmittag Wissensvermittlung);
wenn der wichtige Praxisbezug nicht aus Rezepten, sondern aus Gelegenheiten zur Aneignung, Umsetzung und Reflexion von beruflicher Praxis besteht;
wenn die Teilnehmenden in intensiv kooperierenden Teams (prof. Lerngemeinschaften) zusammenkommen und ihre individuellen Lernprozesse reflektieren;
wenn sie die Wirkung ihres eigenen – veränderten – Handelns erfahren und zum Beispiel berufliche Situationen in der Praxis kompetenter bewältigen.
Diese Auswahl erfordert Settings, die über eine gewisse Zeit hinweg die fachliche und praxisrelevante Auseinandersetzung mit Problemstellungen ermöglichen.
Eigenen Fragen nachgehen – eigene Ziele verfolgen
Dafür steht die Aktionsforschung als ein «Werkzeug», das nun verbreitet auch in Weiterbildungen zum Einsatz kommt. Die Aktionsforschung hat ihre Wurzeln in den Arbeiten von Kurt Lewin, einem deutsch-amerikanischen Psychologen, der in den 1940er-Jahren Pionierarbeit auf diesem Gebiet leistete. Lewin entwickelte die Idee der Aktionsforschung als eine Methode, die es ermöglicht, soziale Probleme durch eine Kombination von Forschung und Handlung zu verstehen und anzugehen.
Im Laufe der Zeit hat sich die Aktionsforschung zu einer vielseitigen Methodik entwickelt, die in verschiedenen Bereichen wie Bildung, Sozialarbeit, Gesundheitswesen und Organisationsentwicklung angewendet wird. In der Lehrer:innenbildung ist Aktionsforschung weit verbreitet und findet auch an der PH Zürich Anwendung. Hier gilt «Lehrer:innen erforschen ihren Unterricht» (Altrichter, Posch und Spann 2018) als wichtiger Beitrag.
In der Schulleitungsausbildung und anderen Weiterbildungen bietet das Element der Aktionsforschung Raum, um zu Beginn einen Ausgangspunkt zu bestimmen: ein persönliches Thema, bedeutsam für die eigene Praxis, bearbeitbar mit den vorhandenen Ressourcen und verträglich mit schulischen Vorhaben.
Die Themen sind sehr vielfältig:
Wie gelingt mir der Rollenwechsel von der Teamkollegin zur Vorgesetzten?
Wie gehe ich in Personalgesprächen souverän mit den verschiedenen «Hüten» als Berater, Seelsorger und Vorgesetzter um?
Wie kann ich mich bei Konflikten im Team oder Anliegen von Einzelnen besser abgrenzen und die Eigenverantwortung stärken?
Wie kann ich die unterrichtsbezogene Zusammenarbeit in den Stufen stärken?
Die Besonderheit der Aktionsforschung ist es, dass sie zwei Logiken verfolgt: Verstehen und Entwickeln, die in einen Kreislauf von Reflexion und Aktion eingebettet ist (Abbildung 1). Ausgehend von dem Ausgangspunkt, der die eigene Sicht der Situation darstellt, nutzen die Teilnehmenden Daten und Feedback aus anderen Perspektiven, um ihre Vorstellung zu prüfen, zu erweitern und zu vertiefen. Auch theoretische Bezüge aus den Weiterbildungsmodulen sind an dieser Stelle hilfreich.
Abb. 1: Der Kreislauf von Reflexion und Aktion (Altrichter, Posch und Spann, 2018, S. 14)
Die Auseinandersetzung mit den anderen Perspektiven, den Informationen, Daten und Theorien führt dazu, dass die Teilnehmenden ihre Sicht weiterentwickeln zu einer praktischen Theorie, aus der dann Aktionsideen und Handlungsoptionen entstehen. Anschliessend folgt die Aktion, also die Umsetzung einer Idee, und neue Erfahrungen ergeben sich, die den Ausgangspunkt für einen neuen Kreislauf aus Reflexion und Aktion bilden.
Unterrichtsbezogene Zusammenarbeit in den Stufen stärken
Ein Beispiel: Eine Schulleiterin nimmt wahr, dass die Zusammenarbeit zwischen den Lehrkräften in Bezug auf Beurteilungsformen sehr unterschiedlich ist und verbessert werden sollte, das hatte sich auch im Rahmen der externen Schulevaluation gezeigt. In den Stufen nimmt sie grosse Unterschiede wahr und will die Stufenleitungen hier auch stärker in die Verantwortung nehmen. Sie wählt dies als Ausgangspunkt für ihre Aktionsforschung.
Sie führt Einzelgespräche mit den Stufenleitungen über ihre Wahrnehmung und ihre Vorstellungen, wie die Zusammenarbeit zur Beurteilung weiterentwickelt werden könnte. Gerne hätte sie die Perspektive der Schüler:innen einbezogen, ist hier jedoch zunächst zurückhaltend, um die Lehrpersonen nicht zu irritieren. Sie hört in einem Modul von dem Konzept der «Professionellen Lerngemeinschaften» und greift dies für ihren Aktionsplan auf.
Dort fliessen die Anregungen durch die Stufenleitungen und die Impulse aus der Weiterbildung zusammen. In dem Aktionsplan formuliert sie, wie sie als Schulleiterin die Stufenleitungen einbezieht und ihnen die Verantwortung für den Aufbau kollegialer Hospitation übergibt. Dabei hält sie fest, was der verbindliche Rahmen ist, welche Unterstützung sie bieten kann und welche Freiheiten die Stufenleitungen in der Umsetzung auf der Stufe haben. Für den Kick-off plant sie eine schulinterne Weiterbildung zum Thema Beurteilung, an dem die Stufenleitungen Zeit haben, in den Stufen nächste Schritte zu definieren.
Die Schulleiterin thematisiert an einer Steuergruppensitzung mit den Stufenleitungen die geplanten Massnahmen mit Blick auf die Beurteilungspraxis und die Rolle der Stufenleitungen. Sie arbeitet eng mit den Stufenleitungen zusammen, um sicherzustellen, dass sie das Verständnis und die Unterstützung für die neuen Ansätze haben. Sie bietet Unterstützung bei der Planung und Umsetzung der kollegialen Hospitation in den Stufen an und übernimmt die erste Information an die Schulkonferenz. Sie begleitet den Prozess an dem Kick-off, ist im Weiteren regelmässig im Gespräch mit den Stufenleitungen und plant nach einem halben Jahr eine Evaluation der Umsetzung, für welche die Lehrpersonen und auch die Schüler:innen befragt werden.
Die Erkenntnisse daraus dienen der Steuergruppe für eine Weiterentwicklung. Zugleich evaluiert die Schulleiterin in der Steuergruppe, wie es ihnen mit ihrer Rolle im Prozess geht. Daraus leiten sie neue Massnahmen mit Blick auf die Beurteilungspraxis und die Rollen der Beteiligten ab.
Einsatzfelder
In verschiedenen Weiterbildungen an der PH Zürich wird die Professionalisierung der Teilnehmenden durch die Gelegenheit gestärkt, individuellen Fragen nachzugehen – im Rahmen einer Aktionsforschung. Teacher Leader befassen sich mit ihren Führungskompetenzen oder unklaren Rollen und Aufgaben oder Schulleitungen, Evaluationsfachpersonen und Qualitätsgruppenleitungen mit der Frage, wie sie aus ihrer Position heraus die Qualität in Schulen stärken können – anwendungsorientiert, datenbasiert und angereichert durch die Impulse aus den Weiterbildungsmodulen.
Damit diese Entwicklung wirksam ist, bleibt die Einbindung in die Lerngruppe und die Begleitung durch die Studien- oder Lehrgangsleitung unerlässlich, wo Erfahrungen und Herausforderungen ausgetauscht und reflektiert werden können.
INFOBOX
Im DAS Schulleitung ist die Aktionsforschung neben den Weiterbildungsmodulen und Lerngruppen ein Element, in dem die Teilnehmenden eigenen Fragen nachgehen. Die Aktionsforschung ist eine der vier Kompetenzprüfungen und wird nach einer Präsentation im Rahmen eines Abschlusskolloquiums kriterienbasiert beurteilt. Auch in den Angeboten CAS Schulqualität und Grundlagen Teacher Leadership ist die Aktionsforschung ein wesentliches Element, um die Kompetenz der Teilnehmenden zu stärken.
Zur Autorin
Nina-Cathrin Strauss ist Dozentin im Zentrum Management und Leadership und promovierte Pädagogin. In Ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit der Professionalisierung von Schulführung, insbesondere von Teacher Leadern und Schulleitungen. Sie ist Studiengangsleiterin im DAS Schulleitung und Themenverantwortliche für Teacher Leadership.
Rank, Astrid. „Professionalisierung von Grundschullehrkräften durch Fortbildung“. In Professionalisierung von Grundschullehrkräften. Kontext, Bedingungen und Herausforderungen, herausgegeben von Ingelore Mammes und Carolin Rotter. Verlag Julius Klinkhardt, 2022.
Das Zürcher Schulführungsmodell hat den Anspruch, die verschiedenen Kompetenzen und Ansprüche von Führungspersonen von und in Bildungsorganisationen abzubilden und dabei nicht die Komplexität von Führung in Schulen zu negieren. Es ist dargestellt als ein Prisma mit verschiedenen Linsen, die Schulführung ausmachen: Ansprüche an Führung, Gestaltung von Führung und nicht zuletzt die verschiedenen Handlungsfelder mit den jeweiligen Kompetenzbeschreibungen. Im Kern steht das Verständnis von Führung als ein sozialer Prozess der Einflussnahme. Niels Anderegg und Nina-Cathrin Strauss erläutern das Modell in einer möglichst kurzen und prägnanten Form.
Im Zentrum des Modells steht das dahinterstehende Führungsverständnis. Dieses orientiert sich mehrheitlich an den Arbeiten von James Spillane (2006, 2020). Führung wird als sozialer Prozess – Spillane spricht von einer Praxis – der Einflussnahme zwischen führenden und geführten Personen in Situationen verstanden. Sozialer Prozess bezieht sich im wissenschaftlichen Verständnis darauf, dass beide Personen(gruppen) Einfluss auf das Geschehen haben – egal, ob sie mehr oder weniger sozial sind. Führung entsteht immer in der Interaktion zwischen den Personen und wird nicht nur durch die führende Person bestimmt.
Beispielsweise kann ein Schulleiter in seiner Funktion als Vorgesetzter einer Lehrerin Anweisungen geben. Doch was die sie daraus macht, liegt nicht in der alleinigen Macht der Schulleitung. So kann die Lehrerin die Anweisung mit viel Engagement ausführen, sie kann sie aktiv verweigern oder passiv ignorieren. Das Handeln der Lehrerin wiederum führt zu unterschiedlichen Reaktionen des Schulleiters, was wieder Einfluss auf die Reaktion der Lehrerin hat.
Lehrer:innen können sich auf unterschiedliche Weise in die Entwicklung als gute Schule einbringen und für eine hohe Schulqualität sorgen. Ihre Beteiligung ist entscheidend, um eine hochwertige Bildung in der eigenen Klasse und darüber hinaus zu gewährleisten. Als Teacher Leader kann sich ihre Wirkung verschiedenartig entfalten. Nina-Cathrin Strauss führt in den folgenden Beitrag ein und Sandra Probst erzählt anschliessend von ihren Erfahrungen in der Primarschule Elgg.
Lehrpersonen spielen eine aktive Rolle bei der Gestaltung des Lernumfelds und der pädagogischen Praxis, um sicherzustellen, dass Schüler:innen bestmöglich unterstützt werden. Sie können einen wichtigen Beitrag zur eigenen und gemeinschaftlichen Professionalisierung beitragen. Denn die Beteiligung an der Entwicklung von Schulqualität bietet Lehrpersonen die Möglichkeiten, ihr Fachwissen und ihre pädagogischen Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Indem sie sich aktiv engagieren, können sie ihre pädagogische Praxis verbessern und ihre berufliche Kompetenz erweitern.
Den Schüler:innen eine qualitativ hochwertige Bildung zu bieten, daran sind Lehrpersonen interessiert. Indem sie sich an der Entwicklung von Schulqualität beteiligen, stellen sie sicher, dass die Bedürfnisse aller Schüler:innen berücksichtigt werden und dass die Schule ein unterstützendes Lernumfeld bietet. Zugleich stärkt die Zusammenarbeit im Team den Zusammenhalt im Kollegium und ermöglicht den Lehrpersonen, voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu unterstützen.
Schulqualität ist nicht allein Aufgabe von Schulleitungen oder den formalen Entscheidungsträger:innen in Schulen. Die gemeinschaftliche Auseinandersetzung mit Qualität ist ein wichtiges Anliegen an guten Schulen – auch, aber nicht nur, wenn die externe Schulevaluation mal wieder vorbeikommt. Ein Praxisbeispiel für Schulqualität als gemeinsame Verantwortung zeigt Janine Freivogel vom Zentrum für Brückenangebote Baselland.
In einer «guten Schule» ist die systematische Auseinandersetzung mit der Qualität der eigenen Arbeit und der Leistungen auf Ebene der ganzen Organisation ein wesentliches Merkmal. Im Diskurs über die Zusammenhänge zwischen Schulführung und dem Lernen der Schüler:innen («Leadership for Learning») spricht man in diesem Zusammenhang von einer «shared accountability», von einer gemeinschaftlich geteilten Verantwortung für die Schüler:innen und Lernenden – für ihre Entwicklung beziehungsweise ihre Leistungen.
Diese gemeinsame Verantwortung nimmt an organisationalen Grenzen nicht unbedingt ein Ende, sondern bezieht sich auf das System als Ganzes. Dies zeigt sich am Beispiel von Janine Freivogel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am kantonalen Zentrum für Brückenangebote Baselland (ZBA BL). Das Zentrum begleitet Lernende ohne Anschlusslösung nach der Sekundarschule beim Übergang in die Berufsbildung. Freivogel beschreibt in aller Kürze anhand eines Beispiels, welche Elemente wesentlich waren für die Arbeit an Schulqualität:
Besondere Leistungen und Beiträge im Team sichtbar zu machen, schafft Anerkennung und stärkt die Handlungsspielräume von Teacher Leadern. Schulleitungen und andere Führungskräfte können hier ihren Beitrag leisten, wie Nina-Cathrin Strauss erläutert.
Sich selbst als kompetent und wirksam zu erleben, ist insbesondere im beruflichen Kontext ein Bedürfnis von Menschen. Das Erleben und Erwarten von Selbstwirksamkeit – dem der kanadische Psychologe Albert Bandura mit der Selbstbestimmungstheorie (1997) federführend zu grosser Bedeutung verholfen hat – ist nach wie vor ein grosses Thema im Bildungsbereich. Denn als Pädagog:innen und Fachpersonen im Bildungsbereich sind wir immer wieder konfrontiert mit dem eigenen und fremden Selbstwirksamkeitserleben. Warum ist das Konzept so wichtig für uns?
Karriereentwicklung oder Laufbahnmodelle sind im Lehrberuf auf den ersten Blick kein grösseres Thema. Oberflächlich könnte man auf drei Phasen schauen: Berufseinsteigende, die breite Mitte der Konsolidierung und die erfahrenen Lehrpersonen. Manchmal wird auch die Schulleitung als Karriereziel gesehen. Dabei lässt das Schulwesen viel mehr zu und es zeigen sich andere Möglichkeiten für Lehrer:innen – auch eine Frage in Hinblick auf die Attraktivität des Lehrberufs. Niels Anderegg und Nina Cathrin-Strauss über Beispiele von Teacher Leaders und deren Laufbahnen.
Laufbahnen im Lehrberuf sind ein historisches Thema, welches wissenschaftlich immer wieder einmal thematisiert wird. In den 1970ern schlug eine Expertenkommission vor, die Differenzierung der Lehrerschaft anhand von Rollen, Fächern oder Funktionen zu überlegen, was grössere Ablehnung auslöste. Diese kann auch als Stärkung der Vorstellung von Gleichheit unter den Lehrpersonen gelesen werden. Weder eine Hierarchisierung noch eine Differenzierung zwischen den Lehrer:innen war gewünscht. Eine LCH-Befragung zeigte vor knapp 20 Jahren, dass Lehrpersonen mehrheitlich offen für Laufbahnen sind, wenn sie denn Anerkennung bringen und keine grossen Konsequenzen für den eigenen Unterricht bedeuten.
Wo stehen wir heute? Unserer Ansicht nach gibt es die Differenzierung und auch Hierarchisierung unter den Lehrer:innen, auch durch die Beteiligung von Lehrpersonen an Führungsaufgaben. Auf unterschiedliche Weise ermöglicht Teacher Leadership Potenziale für Lehrer:innen, ihre Rolle zu erweitern oder Erfahrungen zu sammeln und Kompetenzen zu entwickeln. Dabei geht es nicht primär um Karriere im Sinne eines hierarchischen Aufstieges, sondern um die Stärkung und Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen im Dienste der ganzen Schule. Teacher Leadership kann, muss aber nicht ein Weg hin zur Schulleitung sein.
Drei (fiktive) Beispiele stehen in diesem Beitrag im Fokus, die aufzeigen, wie eine Weiterentwicklung in der Führungsrolle als Teacher Leader hilfreich und sinnvoll sein kann – für die einzelnen Personen aber auch die Schulen insgesamt.
Barbara Roux leitet die Schule für Sehbehinderte (SfS) im Kanton Zürich. Die Sonderschule bietet Schülerinnen und Schülern mit einer Sehbeeinträchtigung im Rahmen einer Tagesschule neben den üblichen Fächern ein vielfältiges Förderangebot an. Daneben beraten und unterstützen die Lehr- und Fachpersonen Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonen der Regelschule und Eltern zum Lernen mit einer Sehbehinderung. Im Interview spricht Barbara Roux mit Nina-Cathrin Strauss über Ansprüche und Anspruchsgruppen, Schulqualität und Entwicklung in einer Schule mit einem besonderen Angebot.
Barbara, was beschäftigt euch momentan in der Schul- und Unterrichtsentwicklung?
Neben vielen anderen sind das konkret zwei Themen: Unruhe und Feedback. Aus Sicht der Schüler:innen stellen wir fest, dass sie im Rahmen unserer Angebote, zum Beispiel wegen des sehr spezifischen Fachunterrichts, in ihrem Alltag notwendigerweise mit vielen verschiedenen Lehrpersonen zu tun haben. Die ständigen Wechsel zwischen verschiedenen Räumen und Inhalten erzeugen Unruhe. Diesbezüglich suchen wir nach Lösungen, um mehr Ruhe in den Alltag zu bringen.
Feedback beschäftigt uns in Bezug auf den Unterricht. Das Feedback der Schüler:innen wird eingeholt, es gibt aber noch weitere Perspektiven, die wir hier systematischer abholen könnten. Wir denken über eine Art 360°-Feedback nach. Nicht nur die Angebote und die Expert:innen sind vielfältig, auch die Kompetenzen und Bedürfnisse der Schüler:innen. Hier würden wir für unsere Schul- und Unterrichtsentwicklung gerne mehr wissen.
Du sprichst die Vielfalt der Schüler:innen an. Wer geht bei euch zur Schule?
Schulen arbeiten an unterschiedlichen Qualitätsansprüchen, Themen und Entwicklungszielen. Dabei gehen Sie unterschiedliche Wege. Nina-Cathrin Strauss beschäftigt sich mit der Frage Schulqualität: quo vadis?
Für die Qualität von Schule spielen verschiedene Anforderungen und Ansprüche eine Rolle. Eine gute Schule hat viele und vielfältige Facetten: Sie ist inklusiv, gleichberechtigt, gesund, digital und nachhaltig, kooperativ, gemeinschaftlich und partizipativ organisiert und vor allen Dingen effektiv in Hinblick auf die Ressourcen und die schulischen Ziele wie Bildung und Leistung. Diese – sicher nicht abgeschlossene – Aufzählung an Ansprüchen ergibt sich aus ganz unterschiedlichen Quellen und je nach Gemeinde, Schule oder Schulhaus werden Prioritäten gesetzt, Schwerpunkte abgewogen und Ziele abgeleitet.
An Ansprüchen arbeiten
Solche Ansprüche an Schulqualität ergeben sich einmal aus Rahmungen und Vorgaben wie dem Lehrplan, Schulgesetzen oder Qualitätsrichtlinien von Kanton oder Berufsverband. Sie leiten sich aber auch ab aus persönlichen Erfahrungen und individuellen Überzeugungen davon, was Bildung, Lernen und Leistung ausmacht, wie Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene lernen und wie Schule gestaltet werden sollte, damit Lernen möglich ist.
Wir wissen, dass für die Entwicklung von Schule, Leitplanken «von oben» oder «von aussen» den Rahmen oder die Richtung einer Entwicklung steuern. Gleichzeitig zählen die Übersetzung, Anpassung und Umsetzung durch die Beteiligten in der einzelnen Schule für die Qualität von Schule. Es hat sich schon vor Jahren gezeigt, dass reine top-down Steuerungsbemühungen illusorisch sind. Dies bedeutet aber auch, dass viel Verantwortung für die gute Schule bei den liegt; bei den Lehr- und Fachpersonen, den Schulleitenden und den Schulbehörden, die auf unterschiedliche Weise an der Gestaltung von Schulqualität beteiligt sind.
Schulprogramme als Entwicklungsinstrumente
Dieses Zusammenspiel zeigt sich bei der Entwicklung von Schulprogrammen. Sie sind in den Schulen von unterschiedlicher Bedeutung, was auch mit ihrer Entwicklung zusammenhängt: Wer wird wann und wie eingebunden, wer kann sich wann und wie einbringen? Hier gibt es verschiedene Vor- und Nachteile, die abzuwägen sind. Wenn Schulleitende die Entwicklung stark steuern, Themen bestimmen, Ziele, Massnahmen und womöglich Beteiligte definieren, ohne in diese Aushandlung frühzeitig Lehr- und Fachpersonen oder Schulbehörden einzubeziehen, ist der Prozess straff und effizient. Womöglich wird er dann aber auch nicht getragen, Ziele versanden oder werden nicht geteilt und Massnahmen nicht umgesetzt.
Ist der Prozess von Beginn an offen, sind alle oder zumindest verschiedene Akteure und Perspektiven beteiligt und werden Ziele und pädagogische Schwerpunkte partizipativ ausgehandelt, kann die Schulprogrammarbeit sich hinziehen und Ressourcen und Energie absorbieren, wenngleich dann die Unterstützung und Beteiligung an der Umsetzung sehr viel breiter abgestützt ist. Natürlich gibt es zwischen diesen beiden Varianten einen grossen Graubereich. Denn die Arbeit an Schulprogrammen oder anderen Qualitätsinstrumenten ist auch ein Lernprozess, in dem Schulen kompetenter werden und für sie passende Lösungswege finden müssen.
Schulqualität als Führungsaufgabe
Das Abstimmen und Aushandeln von Schulqualität – den Überzeugungen, Ansprüchen und Zielen – zu steuern ist eine wesentliche Aufgabe von Schulleitenden. Sie halten den roten Faden der verschiedenen Projekte, Entwicklungsziele und Aktivitäten in der Hand und finden Wege, dem Anspruch an eine gute Schule nahe zu kommen. Sie sind auch diejenigen, die Strukturen aufbauen und Prozesse planen, damit eine möglichst effektive und effiziente Arbeit an der Qualität gelingt. Zudem prägen sie die Verankerung in den verschiedenen Bereichen und Ebenen von Schule, indem sie die gemeinschaftliche Verantwortung für gute Schule stärken.
Sie sind also Dreh- und Angelpunkt, müssen aber auch ihre Netzwerke in Richtung Behörde oder Kollegium aufbauen und nutzen. Steuergruppen oder eine Art mittleres Management mit Stufenleitungen oder Qualitätsbeauftragten, die eine transparente und akzeptierte Verantwortung für die Umsetzung des Schulprogrammes tragen, können hier eine wichtige Rolle spielen.
INFOBOX
Am 9. September startet die nächste Durchführung vom CAS Schulqualität an der PH Zürich unter der Leitung von Hansjürg Brauchli und Nina Strauss (PH Zürich) sowie Andreas Brunner (Fachstelle für Schulbeurteilung, Kanton Zürich). Der Lehrgang richtet sich an Interessierte im Schul- und Bildungsbereich, die sich mit Schul- und Unterrichtsqualität und deren datenbasierter Entwicklung beschäftigen.
Informationen direkt von den Lehrgangsleitungen erhalten und Ihre Fragen stellen, das können Sie an der Infoveranstaltung vom CAS Schulqualität.
Zur Autorin
Nina-Cathrin Strauss beschäftigt sich als Dozentin und Forscherin mit der Frage, wie gemeinschaftliche Führung zur Entwicklung als gute Schule beitragen kann. Neben dem CAS Schulqualität ist sie Ko-Leiterin im CAS Pädagogische Schulführung.
Wir haben für die Tagung «Teacher Leadership – Schule gemeinschaftlich führen» vom November 2020 an der PH Zürich Interviews mit Personen in unterschiedlichen Funktionen und Aufgaben an Schulen geführt. Wir zeigen Ihnen Videozusammenschnitte mit Eindrücken aus der Praxis und den Erfahrungen der Praktikerinnen und Praktikern. Nina-Cathrin Strauss legt im 2. Teil den Fokus auf das Verständnis von Teacher Leadership.
In den letzten Monaten haben wir uns hier im Blog immer wieder mit dem Thema Teacher Leadership beschäftigt. Wenn Lehr- und Fachpersonen in der Schule über ihre Klasse hinaus Führung übernehmen, setzen sie sich für bestimmte Themen, Ziele oder in bestimmten Arbeitsbereichen in der Schule für die pädagogische Entwicklung und das Lernen aller Schülerinnen und Schüler ein. So sind sie Teil einer gemeinschaftlich organisierten und verantworteten Führung, in der je nach Aufgabe oder Thema verschiedene Personen mit ihrer Kompetenz, Expertise oder mit Interesse Einfluss nehmen.