Informatik ist mehr als einfach ein neues Schulfach. Informatik ist in verschiedener Hinsicht sehr speziell und zwingt zu einem radikalen Umdenken. Stolpersteine sind garantiert.
Der folgende Text ist keine wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern der Versuch, anhand einiger typischer Beispiele aus dem ICT-Support zur Verständigung zwischen Schulleitungsmitgliedern, Lehrpersonen und den Personen im IT-Support beizutragen.
«Der Lehrer ist immer genervt, wenn er am Computer ist.»
Die Aussage stammt von einer Gruppe Schülerinnen und Schüler. Nicht das, was die Lehrperson im Unterricht sagt, sondern was sie vorlebt, bleibt bei den Schülerinnen und Schülern in Erinnerung. Die Lehrpersonen dienen als Rollenmodell, wie man mit der ICT-Infrastruktur umgeht. Niemand erwartet, dass die Lehrpersonen im Umgang mit dem Computer alles wissen. Im Gegenteil: Die Lehrpersonen sollen dazu stehen, wenn sie eine Problemstellung nicht selber lösen können. Es gibt verschiedene Arten der Reaktion: Die Lehrperson hat die nötige Kompetenz erarbeitet, um ein paar «erste Hilfe»-Schritte selber ausführen zu können und falls nötig eine Fehlermeldung zu erstellen. Oder: Sie bricht die Übung unaufgeregt ab und klärt die Lösung nach dem Unterricht mit dem Support. Eventuell kann auch ein Schüler oder eine Schülerin das Problem lösen oder hat eine Idee für eine kreative, unerwartete Lösung.
Tipp: Fehlerkultur entwickeln und leben. Kaum in einem schulischen Bereich wird so deutlich, dass die Lehrperson nicht alles wissen kann. Sie darf und soll dazu stehen, wenn sie etwas nicht weiss.
ICT-Lernkultur: Die Lehrperson hat kein Informationsmonopol. Im Gegenteil: Die Rolle der Lehrperson besteht darin, souverän Lösungswege und Problemlösestrategien aufzuzeigen oder vorzuzeigen, wie man Hilfe holen kann.
«Mit diesen Computern kann man nicht arbeiten!»
Und dabei hat es so schön angefangen: Neue ICT-Infrastruktur und neue Cloud-Lösung sowie auf individuelle Bedürfnisse abgestimmte ICT-Unterstützungsangebote wurden durch die Schule zur Verfügung gestellt. Und doch wird die neue ICT-Infrastruktur kaum genutzt. Was ist geschehen?
Mehrere Personen berichteten sich gegenseitig von technischen Problemen: Ein Login funktioniert nicht (das Passwort wurde vergessen), eine Datei lässt sich nicht öffnen (es wurde versucht die Datei mit einem unpassenden Programm zu öffnen) und jemand vermutet, dass Daten verschwinden (es wurde lokal gespeichert und anschliessend am falschen Computer gesucht). Aber statt Hilfe zu holen und die Probleme beheben zu lassen, haben sich die Lehrpersonen gegenseitig hochgeschaukelt. Aus zwei drei kleinen Mücken wird ein Elefant und plötzlich regt sich Widerstand.
Tipp: Niederschwellige Angebote wie Fragestunde oder «Lernpartner» anbieten. Widerstände entstehen meist aus Ängsten. Manchen Lehrpersonen fällt es sehr schwer, Hilfe zu holen. Umso wichtiger ist, dass alle im Team eingebunden sind und allenfalls ICT-Projekte gemeinsam angegangen werden.
ICT-Lernkultur: Alle helfen mit die ICT-Infrastruktur optimal zu nutzen. Schulpflegemitglieder, Schulleitung, Klassen- und Fachlehrpersonen, Heilpädagoginnen und nicht zuletzt die Schülerinnen und Schüler unterstützen einander und tauschen ihr Wissen aus.
«Wenn die anderen Tablets haben, müssen wir auch welche haben.»
ICT-Infrastruktur kann leicht zu einem Statussymbol werden. Häufig steht die Anschaffung von Hard- und Software im Vordergrund und das pädagogisch-didaktische Setting verschwindet aus dem Fokus. Um neue ICT-Infrastruktur im Unterricht gewinnbringend einsetzen zu können, braucht es eine gute Einarbeitung und vor allem Unterrichtsideen, die genau auf die vorhandene Infrastruktur abgestimmt sind.
Tipp: Vorsicht bei Anschaffungswünschen zu denen keine konkreten Unterrichtsszenarien genannt werden. Neue Geräte und Software in Betrieb zu nehmen ist ein nicht zu unterschätzender Aufwand. Nur wer konkrete Ziele vor Augen hat und sich den Einsatz im Unterricht genau vorstellen kann, wird die Geräte auch regelmässig einsetzen.
ICT-Lernkultur: Entweder die Einarbeitung in die neue ICT-Infrastruktur anhand von konkreten Unterrichtsideen gemeinsam im Team mit viel Elan anpacken. Oder: Die Haltung pflegen: «Lasst uns das beste machen aus dem, was wir haben!» Der pädagogische ICT-Support kann in jedem Fall wertvolle Unterstützung bieten.
«Wir haben keine Schulung gehabt.»
Wenn es keine Schulung gibt, kann es auch nicht verlangt werden – so die vorherrschende Meinung bei nicht wenigen Lehrpersonen. Die Digitalisierung geht jedoch so schnell voran, dass es unmöglich wird, für alles und jedes eine Schulung anzubieten. Eine «digitale Kluft» zwischen jenen Lehrpersonen, die sich interessiert und neugierig mit neuen Technologien auseinandersetzen und den anderen, die auf die Schulung warten, bahnt sich an.
Tipp: Niederschwellige Angebote zum Austausch im Team. In jedem Lehrerteam ist sehr viel Know-How vorhanden. Meist wird das Wissen aber nicht geteilt, sei es, weil die einen sich nicht trauen zu fragen, oder weil diejenigen, die etwas wissen sich nicht aufdrängen wollen. Ganz ohne Strukturen findet kaum ein Austausch statt. Wird jedoch z.B. an einem Mittag im Monat ein «Compi-Kafi» zu einem Thema ausgeschrieben, so kann der Prozess des Wissensaustausches etwas angekurbelt werden. Wichtig ist aber, dass das keine Schulungen sind, bei denen die Lehrpersonen passiv konsumieren, sondern ein gegenseitiges Geben und Nehmen stattfindet.
ICT-Lernkultur: Die Verantwortung für die persönlichen ICT-Kenntnisse trägt jede und jeder selber. Neugier, Interesse, Freude am Ausprobieren, Eigeninitiative, innovative Projektideen, unkonventionelle Herangehensweisen und Mut zu Neuem sollen unterstützt werden.
«Die Schülerinnen und Schüler können das sowieso schon.»
Schülerinnen und Schüler sind oft sehr talentiert im Präsentieren ihrer Computerfertigkeiten. Lehrpersonen sollen sich durch das gut inszenierte Halbwissen jedoch nicht blenden lassen. Wenn ein Schüler eine Animation in der Präsentationssoftware erstellen kann, heisst das nicht, dass er auch ein Bild einfügen und in der Grösse skalieren kann. Abgesehen davon, dass die Schülerinnen und Schüler sich der Wirkung der Präsentation und der Rechte an den Bildern oft nicht bewusst sind.
Tipp 1: Den Unterrichtsstoff unbeirrt durchziehen. Wenn die Schülerinnen und Schüler die Inhalte tatsächlich schon kennen, sind sie halt schneller mit den Aufgaben fertig und können ihr Wissen noch vertiefen.
Tipp 2: Echte Überflieger (ja, die gibt es gelegentlich auch) können sich im ICT-Support nützlich machen. Als «Compi-Kid» können sie Verantwortung übernehmen für die Schülergeräte im Schulzimmer, sicherstellen, dass alle Computer am Netz angeschlossen sind, anderen Kindern beim Aufräumen ihrer Dateien helfen oder neue Programme erproben.
ICT-Lernkultur: Das Wissen der Schülerinnen und Schülern kann und soll gewinnbringend im Unterricht eingesetzt werden.
Dr. Bettina Waldvogel (Dipl. Informatik-Ing. ETH) arbeitet als PH-Dozentin, Lehrerin und im IT-Support einer Primarschule