Die Schulbehörde im digitalen Wandel

Wie gelangen Schulbehörden zu einem Verständnis von «Bildung im digitalen Zeitalter» und wie können sie diese Entwicklung unterstützen? Rahel Tschopp im Gespräch mit Schulpräsident Dominik Stöckli.

Herr Stöckli, weshalb ist «Bildung im digitalen Zeitalter» ein wesentliches Thema für Schulbehörden?

Bildung allgemein muss die Schulbehörde beschäftigen. Das Bildungsziel der Mündigkeit kann aber im digitalen Zeitalter nicht ohne Förderung der Medienkompetenz erreicht werden. In einer sich dauernd verändernden Gesellschaft sind neue Kompetenzen erforderlich. Schulbehörden haben darauf zu achten, dass die Chancengerechtigkeit auch in diesem Bereich gewahrt bleibt. Dies kann durchaus – über Jahre – kostenrelevant sein.

Das Thema wird oft auf die Technik reduziert. Zentraler ist aber die Schul- und Unterrichtsentwicklung, die das gesamte System Schule betrifft. Einverstanden?

Absolut! Der digitale Wandel soll für Unterrichtsentwicklung genutzt werden. Dabei sollen digitale Medien nicht nur Bestehendes ersetzen. Vielmehr sollen im Rahmen des digitalen Wandels die Unterrichtskonzepte hinterfragt und angepasst werden. Zudem können schulinterne Entwicklungen auch für die Ebene der strategischen Führung genutzt werden, beispielsweise bei Zusammenarbeitsformen.

Virtuelle Zusammenarbeit?

Ja. Innerhalb der Behörde wünsche ich mir konkret die Bereitschaft, zukünftig vermehrt ICT für die Zusammenarbeit zu nutzen. Im Sinne einer besseren Effizienz kann ich mir vorstellen, dass Sitzungen teils mittels Videocall abgehalten werden. Austausch und Zusammenarbeit kann mit sinnvollen Tools effizienter und nachhaltiger gestaltet werden. Dies erfordert möglicherweise viel Engagement von Schulpflegemitgliedern.

Was wünschen Sie sich für Ihre Behörde diesbezüglich?

Die Schulpflege soll sich offen zum Thema austauschen können. Eine gewisse Weitsicht scheint unabdingbar. Zudem wäre innerhalb der Behörde Knowhow wünschenswert: Berufliche Erfahrungen und Kompetenzen können hilfreich sein. Grundsätzlich wünsche ich mir Diskussionen mit verschiedenen Standpunkten. Der digitale Wandel betrifft aber nicht nur die einzelnen Gemeinden. Absprachen und Austausch ist auch hier angezeigt. Für die Umsetzung sind die nötigen finanziellen Mittel wichtig. Es reicht nicht, wenn nur die Schulbehörde Investitionen nachvollziehen kann. Vielmehr muss auch die Bevölkerung ins Boot geholt werden. Eine gute Kommunikation ist unerlässlich.

Welche Rolle kommt Ihrer Meinung nach der Schulleitung und den Lehrpersonen zu?

Der Schulleitung kommt selbstverständlich eine entscheidende Rolle zu. Eine transparente Beratung des Laiengremiums Schulpflege ist wichtig. Hierzu kann die Schulleitung ihrer Schulpflege Optionen für die Entwicklung aufzeigen. Grundsätzlich wünsche ich mir aber, dass der digitale Wandel im Schulzimmer und aus der Lehrerschaft heraus initiiert wird. Als Schulpräsident würde ich eine solche Dynamik, bzw. Initiativen von Lehrpersonen sofort unterstützen. Ich bin überzeugt, dass Entwicklung von Innen heraus am wirksamsten ist.

Wovor haben Sie Respekt?

Die Ziele des digitalen Wandels könnten in der Hitze des Gefechts schnell aus den Augen verloren gehen. Es ist wohl äusserst wichtig, dass klare und nachvollziehbare Ziele gesetzt werden. Kinder und Jugendliche sollen nicht nur Anwender sein. Das digitale Zeitalter erfordert neue Kompetenzen. Diese sind u.a. im Lehrplan 21 abgebildet, müssen aber auch weiterentwickelt werden.

Wo ist Expertenrat gefragt?

Das Tempo des digitalen Wandels erfordert Flexibilität. Trotzdem soll Entwicklung nicht überstürzt geschehen. Einfache und für Laien verständliche Hilfestellungen, z.B. Checklisten oder Umsetzungsvarianten wären sinnvoll. Zurzeit entwickeln sich die Schulen im digitalen Zeitalter sehr verschieden. Grosse Investitionen sind nötig. Es besteht die Gefahr, dass Fehlinvestitionen getätigt werden. Es ist daher äusserst wichtig, dass bei Beratung die Flexibilität von Modellen beachtet wird.

Wie sieht es bei Ihnen an der Schule Knonau konkret aus?

In unserer Primarschule stehen nur wenige ICT-Geräte im Klassenzimmer zur Nutzung bereit. Ein Pool an Geräten kann reserviert werden. Eine grundlegende Kompetenz von Schülern sollte der selbstbestimmte sinnvolle Einsatz von ICT-Geräten sein. Ich frage mich, ob nicht zusätzliche Geräte angeschafft werden müssten, damit Kinder selbst entscheiden können, ob sie für Aufgaben ein Tablet oder einen Computer nutzen möchten. Solche grundlegenden Fragen, beschäftigen mich immer wieder. Bildung kostet. Die Investitionen in ICT-Geräte, Netzwerke, Weiterbildung usw. muss irgendwie finanzierbar sein. Dies ist jedoch nicht jederzeit und allerorts sichergestellt.

Jetzt sprechen Sie aber wieder von den Geräten! Dabei ging es eben noch um Innovation. Wo sehen Sie diesbezüglich Herausforderungen?

Eine gewinnbringende Entwicklung scheint nur möglich, wenn die Lehrpersonen „den Takt“ angeben. Aus meiner Sicht heisst dies nicht, dass jede Initiative aus Lehrerkreisen kommen muss. Es muss aber unbedingt darauf geachtet werden, dass alle Beteiligten der Entwicklung folgen können und „auf dem Boot“ bleiben. Diesbezüglich kann es sein, dass immer wieder Zwischenstopps gemacht werden und Ziele angepasst werden müssen. Wie können Lehrpersonen motiviert und „an Board“ geholt werden? Wie kann die Bereitschaft für einen Rollenwechsel der Lehrpersonen beeinflusst werden?

Was mich aktuell auch noch umtreibt: Wie sollen wir als Schule beispielsweise bei einem Hackerangriff reagieren? Wie unsere Systeme und Inhalte konkret geschützt sind, ist mir zurzeit ehrlicherweise nicht ausreichend bekannt. Dies verunsichert doch ein wenig. Dieses Interview ist aber ein guter Anstoss, um sich der Sache anzunehmen.

Herr Stöckli, vielen Dank für das Gespräch!

INFOBOX

Dominik Stöckli ist seit 2009 Mitglied der Schulpflege Knonau und seit 2016 deren Präsident und damit Mitglied des Gemeinderates. Er ist dreifacher Familienvater und arbeitet als Schulischer Heilpädagoge an der Schule Hünenberg im Kanton Zug

Die Themenreihe Fokus Schulbehörde beschäftigt sich am Donnerstagabend, 2. Juli 2020 von 17.30 bis 20.30 Uhr mit dem Thema «Schule im digitalen Zeitalter». 

Ziel des Kurses ist es, Schulbehördenmitgliedern einen Einblick ins Verständnis von «Bildung im digitalen Zeitalter» zu geben. Es soll aufgezeigt werden, was in den Schulen passiert (oder passieren könnte) und wie Schulbehörden diese Entwicklung unterstützen können.

Hier geht’s zur Anmeldung:
https://phzh.ch/de/Weiterbildung/Weiterbildung-Volksschulen/anlassdetail-weiterbildung-fur-volksschulen/Schule-im-digitalen-Zeitalter-n144423438.htm

Zur Autorin

Rahel Tschopp Zentrumsleiterin Medienbildung und Informatik

Rahel Tschopp ist Zentrumsleiterin für Medienbildung und Informatik an der PH Zürich. Sie kennt sich in Projektleitungen, Prozessbegleitungen, Fachberatungen und Schulentwicklung im digitalen Wandel bestens aus.

Redaktion: Jörg Berger

Titelbild: Blick aus dem Schulhaus Aeschrain, Knonau

Fernlernen – und jetzt?

Das Fernlernen stellte die meisten Schulen vor riesige Herausforderungen. Einige Schulen digitalisierten gewisse Prozesse, hielten gleichzeitig an vielen Abläufen fest, andere Schulen nutzten die Chance, in dieser Ausnahmesituation neue Wege zu gehen. Wie geht es weiter? Rahel Tschopp über Wünsche nach der Corona-Zeit.

Bald ist es soweit: Die Schulen öffnen ihre Türen wieder. Das Fernlernen – da müssen wir uns alle nichts vormachen – wurde sehr unterschiedlich gestaltet. Einige Schulleitungen zeigten ihre hervorragenden Krisenmanagementqualitäten, andere versanken ins Schweigen. Einige Lehrpersonen lebten auf, zeigten bravourös ihre pädagogischen Künste, andere wiederum fielen in den «Arbeitsblätterverteilundkorrigierhamsterrad-Modus».

Gewisse Kinder lebten auf, erhielten durch das Fernlernen den Raum, den sie brauchen, andere Kinder verloren in dieser Zeit voll und ganz die Struktur eines Alltags, einige Jugendliche wurden durch die Lehrpersonen eng getaktet und kontrolliert durch den Tag geführt.
Die Erfahrungen könnten unterschiedlicher nicht sein.

Was passiert ab dem 11. Mai, nach der Corona-Zeit?

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«Im Pyjama und ungeschminkt»

Der Gewinn digitaler Entwicklung für Schulleitende und Lehrpersonen und wie Schulleitende diesen Prozess unterstützen können; Darüber hat Heike Beuschlein mit Marc Weder, Leiter des Bereichs «Digitale Bildung und Forschung» bei Microsoft, gesprochen.

Durch Daten das Bauchgefühl sinnvoll stützen

Die erste Aufgabe am Morgen ist ein zehnminütiger Datencheck. So sieht Marc Weder, Microsoft Verantwortlicher für die Bildungskunden in der Schweiz und in Liechtenstein, die moderne Schulführung.

Während in den Anfängen seiner Aufgabe der Fokus in den Schulen auf der Awareness der digitalen Medien lag und sich in den darauffolgenden Jahren auf die Sinnhaftigkeit der Digitalisierung verschob, wird sich seiner Meinung nach zukünftig der Blickwinkel auf eine sinnvolle Nutzung der Daten fokussieren. Das ist zum Beispiel durch ein «Business Intelligence Cockpit» möglich. Intuitive Entscheidung der Schulleitenden sollen durch gezielte Daten verschiedener Kenngrössen wie beispielsweise über Abwesenheiten, Notenentwicklung und Prüfungskollisionen untermauert werden.

Personalführung und Personalentscheidungen basieren in zunehmendem Masse auf gesammelten Daten und ermöglichen so, dem Profil der Schule, den Erfordernissen des Unterrichts und den Bedürfnissen der Lehrpersonen entsprechend strategisch zu handeln. Was zunächst sehr mathematisch und wenig menschlich klingt, kann dem Schulleitenden jedoch helfen, professionell zu handeln.

Lehrpersonen ermutigen

Marc Weder unterstützt mit seinem zehnköpfigen Team Kindergärten, Schulen und Hochschulen auf ihrem Weg in die Digitalisierung. Für ihn ist der erste Schritt, Lehrpersonen für eine zunehmende Digitalisierung zu motivieren, das vorbildhafte Verhalten der Schulleitung. Nur Schulleitungen, die selbst ihre Hemmschwelle überwinden und ein offenes Lernverhalten für digitale Medien zeigen, können Lehrpersonen vorleben, dass es nicht nur erlaubt, sondern absolut akzeptabel und manchmal wichtig ist, Fehler zu machen.

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