Visit my School – eine Neuauflage der Initiative des Zentrums für Management und Leadership der PHZH, soll gute Schulführungspraxis erlebbar machen. Ab Herbst 2024 öffnen Schulen, die effektive Praktiken zu spezifischen Herausforderungen oder zu bestimmten Qualitätsbereichen entwickelt haben, ihre Türen. Nach Besuchen an der Schule In der Höh in Volketswil 2019 und der Allemannenschule in Wutöschingen 2021, gehen wir in diesem Jahr auf Besuch an die Schule Neftenbach.
Austausch unter Peers fördern
Im Vordergrund von Visit my School steht der Austausch unter Peers über Schulführungspraxis. „Peer“ bedeutet „Gleiche“ oder „Gleichgestellte“ und meint eine Begegnung unter Personen mit gleichem Hintergrund. Der Vorteil unter Peers ist, dass aufgrund der Ähnlichkeit meistens ein höheres Verständnis füreinander und die einzelnen Situationen besteht. Im Kontext von Schulen wird für Peers das Konzept der kritischen Freund:innen herangezogen, wodurch die Begriffe Peer und kritische Freund:innen inhaltlich ineinander verschwimmen und synonym werden. Damit wird ausgedrückt, dass die Beobachter:in durch ihre bzw. seine Kenntnisse und ihr Wissen über Schule darauf bezogene Problemfelder, Hindernisse und Schwierigkeiten benennen, einschätzen und aus einer ähnlichen und dennoch fremden Perspektive wahrnehmen kann. Kritische Freund:innen können somit eine Rolle einnehmen, in der sie den Schulen zugewandt sind und einen freundschaftlichen Blick auf die Schule werfen.
Besucher:innen: Rolle und Mehrwert
Während eines Schulbesuchs erhalten Besucher:innen einen Einblick, wie die gastgebende Schule mit Herausforderungen in einem spezifischen Qualitätsbereich umgeht und welche Praktiken sie entwickelt und etabliert hat. Dazu zählen beispielsweise der produktive Umgang mit den unterschiedlichen Bildungs- und Lernvoraussetzungen, Interessen und Leistungsmöglichkeiten der Schüler:innen innerhalb und ausserhalb des Unterrichts, demokratisches Engagement, Eigeninitiative und Gemeinsinn, die Zusammenarbeit mit ausserschulischen Partnern, Digitalisierung im Unterricht, Zusammenarbeit mit den Eltern sowie personelle, organisatorische oder administrative Belange. Die gastgebende Schule stellt ihre internen Prozesse transparent dar und macht sie nachvollzieh- und erlebbar. Die Besucher:innen agieren dabei als kritische Freund:innen: Sie teilen ihre Beobachtungen, geben Feedback und stellen offene Fragen.
Die gastgebende Schule als Türöffner
„Visit my School“ lebt davon, dass Schulen ihre Türen öffnen und Einblicke in ihre Schulführungspraxis gewähren, um zur Weiterentwicklung und Innovation im Bildungswesen beizutragen. Die gastgebende Schule fungiert dabei als Türöffner im doppelten Sinne: Einerseits öffnet sie buchstäblich ihre Türen für Besucher:innen, andererseits ermöglicht sie durch den Einblick und den Austausch neue Perspektiven und Ideen.
Die gastgebende Schule kann kritische Freund:innen, ähnlich wie bei einer klassischen Peer Review (externen Selbstevaluation), mit einem Beobachtungsauftrag oder einer spezifischen Fragestellung betreuen oder sie zu einem bestimmten Thema um Feedback bitten. Dies schafft eine Atmosphäre des Lernens und der Reflexion. Zusätzlich profitieren die gastgebenden Schulen von einer gesteigerten Sichtbarkeit und einer positiven Imagewirkung in der Öffentlichkeit.
Mitmachen können alle öffentlichen und privaten Schweizer Schulen von Zyklus 1 bis 3, bis und mit dem 10. Schuljahr, sowie Schulen der Sekundarstufe II (Berufsfachschulen, Fachmittelschulen, Gymnasien). Die gastgebende Schule hat volle Freiheit in der Organisation und Gestaltung des Schulbesuchs. Das Besuchsprogramm sollte einen anregenden Austausch und eine lebhafte Diskussion ermöglichen und in der Regel nicht länger als einen halben Tag dauern. Ein Apéro oder gemeinsames Mittagessen zu Selbstkosten für die Besucher:innen kann den Tag zusätzlich bereichern.
Gastgebende Schulen verstehen sich als lernende Institutionen, die ihre eigene Entwicklung und die Professionalisierung ihrer Lehrpersonen auf Grundlage aktueller Erkenntnisse systematisch vorantreiben. Dabei beziehen sie Akteur:innen der Schulgemeinschaft mit ein.
Bei der Planung, Durchführung und Administration werden gastgebende Schulen von der PHZH unterstützt.
Die Schule Neftenbach als unsere nächste Gastgeberin
Wir freuen uns, mit der Schule Neftenbach und Judith Germann die erste Gastgeberin gefunden zu haben. Ein erster ungewöhnlicher Aspekt betrifft das Schulleitungsteam, welches aus Leitung Bildung sowie Zyklus- bzw. Fachleitungen (Zyklus 1, Zyklus 2, Zyklus 3 und Sonderpädagogik) zusammengesetzt ist und dies trotz der Grösse der Schule mit rund 730 Schüler:innen. Die Schule Neftenbach geht auch hinsichtlich Schulentwicklung innovative Wege.
So wird die Sekundarschule als Mosaik-Schule geführt. Das ist ein Konzept für individuelles Lernen, wobei Mosaik für: Motivation, Selbstständigkeit, altersdurchmischtes Lernen, Individualität, Kooperation, steht. Die Schüler:innen arbeiten nicht mehr in Jahrgangsklassen, sondern in alters- und niveaudurchmischten Gruppen. Der Unterricht wird individualisiert geführt. Die Schule hat einen Vertrag mit Kulturagent:innen Schweiz, welche sie in der kulturellen Bildung der Schüler:innen mit Kulturintensivwochen, Ausstellungs- und Projektcontainern unterstützt.
Im Forschungsatelier Neftorama lernen Schüler:innen wie im Technorama, in dem sie selbstständig zu ausgewählten Themen experimentieren und ihre individuellen Begabungen und Stärken fördern. Mit dem Neftorama wurde die Schule Neftenbach mit dem Bildungsinnovationspreis von EDUCREATORS als eines von zehn „Leuchtturmprojekten“ ausgezeichnet. In einem Raum werden dazu zahlreiche Experimente zu verschiedenen Themen aufgestellt und mit kurzen Lernvideos erklärt, damit die Schüler:innen selbstständig sein können und nicht immer auf die Unterstützung der Lehrperson angewiesen sind. Jede Primarschulklasse besucht das Neftorama einmal pro Schuljahr während einer Schulwoche.
Modell 4T: Anstatt alle 45 Minuten eines der 10 verschiedenen Fächer zu wechseln, setzen einige Klassen im 2. auf flexible Zeitblöcke: Teamzeit, Trainingszeit, Themenzeit und Talentzeit.
Das Lernlabor ist ein Angebot für alle Kinder im zweiten Kindergartenjahr und findet jede Woche während zwei Lektionen statt. Inhaltlich stehen im Lernlabor verschiedene Materialien und Spiele für die Förderung der individuellen Denkfähigkeit und Entwicklung verschiedener Problemlösestrategien zur Verfügung, welche die Schüler:innen nach eigenen Interessen auswählen können. Um jedes Kind in seinen individuellen Interessen und Fähigkeiten zu fördern, wird das Material binnendifferenziert aufbereitet. Im Vordergrund stehen das selbständige Handeln, Erforschen, Ausprobieren und Begreifen.
Der Schulbesuch der Schule Neftenbach findet im Herbst statt. Anmeldungsmöglichkeiten sowie das genaue Datum und Programm werden Ende Juni auf dem Schulführungsblog zu finden sein.
INFOBOX
Peer Reviews bieten eine wertvolle Gelegenheit für Schulen, ihre Bildungsprogramme und Lehrmethoden zu präsentieren, voneinander zu lernen und wertvolle Netzwerke zu knüpfen. Indem Schulen sich für Schulbesuche bereitstellen, öffnen sie Türen, um sich mit neuen Modellen vertraut zu machen und schaffen eine Umgebung des Austauschs und der kontinuierlichen Weiterentwicklung. Falls Sie Interesse haben, Ihre eigene Schule vorzustellen und Einblick in die Schulpraxis zu gewähren, können Sie sich gerne bei franziska.kamm@phzh.ch oder jasmin.kolb@phzh.ch melden. Die Gestaltung des Schulbesuchs wird auf individueller Ebene ausgehandelt. Wir freuen uns auf Ihre Ideen.
Zu den Autorinnen
Franziska Kamm hat demokratiepädagogische Schulentwicklung und soziale Kompetenzen an der FU Berlin studiert. Sie ist im Zentrum für Management & Leadership als Lehrgangsleiterin im CAS Quereinstieg Schulleitung tätig und berät Lehrpersonen, Schulleitungen, Behörden sowie Schulen. Sie beschäftigt sich mit der Frage, welchen Beitrag Führung zur Gestaltung, Entwicklung und Realisierung von demokratischen Schulen leisten kann. Sie hat jahrelang ein Ideenbüro geleitet und war in zahlreichen demokratiepädagogischen Projekten aktiv. Die wichtige pädagogische ‚Arbeit‘ besteht für sie darin, Gelegenheiten für einen ‚Realitätscheck‘ zu schaffen.
Jasmin Kolb hat pädagogische Psychologie an der Universität Fribourg studiert und arbeitet im Zentrum Management und Leadership als wissenschaftliche Assistentin. Sie beschäftigt sich vor allem mit wissenschaftlichen Evaluationen und der Weiterentwicklung der Schulleitungsausbildung.
Redaktion: Jasmin Kolb
Titelbild: adobe stock
Literaturnachweise:
- Plaum, Maren. 2023. Peer Reviews zwischen Schulen im Rahmen von Schulnetzwerken: ein Verfahren für Schulentwicklung. Netzwerke im Bildungsbereich, Band 11. Münster New York: Waxmann. https://elibrary.utb.de/doi/epdf/10.31244/9783830996439 .