Besonders begabte Kinder und Jugendliche mit sehr spezifischen Interessensgebieten sprengen in der Regel die Möglichkeiten der Begabungsförderung in der Regelklasse. Oft kann man ihren intellektuellen Bedürfnissen auch in Pullouts und Gruppenbegabtenförderung nicht gerecht werden. Wie können diese Kinder auf ihrem Weg zur Exzellenz begleitet und adäquat gefördert werden? Kathrin Berwerger Konzelmann über Mentoringprogramme, die mit der 1:1-Einzelbegabtenförderung Antworten liefern.
Die Höchstbegabung (IQ > 135) von Justin zeigte sich bereits früh. Noch vor dem Kindergarten brachte er sich selbst Lesen und Schreiben bei. Seine Lieblingsbeschäftigung als 7-Jähriger war das Studieren von Anleitungen für Steuererklärungen. Daneben liebte er es wie seine gleichaltrigen Freunde, im Sand und im Garten zu spielen.
Schon seit längerer Zeit fielen seine sehr intensiven Wutausbrüche auf, die für ihn untypisch waren. Dies führte zu einer Abklärung, welche höchste Ergebnisse zeigte. In Absprache mit der Schule war es möglich, dass er als Erstklässler in der 4. und später in der 5. Klasse am Mathematikunterricht teilnehmen konnte. Mit 11 Jahren kam Justin mit einer Mathematikbefreiung auf das Gymnasium.
Magali hat inzwischen mit 18 Jahren die Matura absolviert. Sie lebt erst seit der Primarschulzeit in der Schweiz. Magalis Tante ist Schachtrainerin und auch ihr Vater ist ein begeisterter Schach- und Backgammonspieler. So kam sie schon als kleines Kind zum ersten Mal mit Dame, König und den Schachregeln in Berührung.
In der Schweiz angekommen, trat sie einem Schachklub bei. Magalis’ Ausnahmetalent wurde vom Trainer erkannt und gefördert. Ihr Leistungsniveau stieg mehr und mehr auf internationales Niveau. Inzwischen ist sie dreimalige Schweizer Schachmeisterin. Sie wurde zeitweise von einem ukrainischen Grossmeister und einem armenischen Spitzenspieler begleitet. Magali wurde nie getestet. Ihr Umfeld erkannte aber ihre ausserordentliche Begabung und förderte sie entsprechend ihrem Leistungsniveau.
Individualisierte Begabtenförderung mit Mentoring
Die Beispiele von Justin und Magali zeigen: Aussergewöhnliche Begabungen und sehr spezifische Interessen erfordern individualisierte Lernwege, die von Fachexperten begleitet werden müssen. Das Projekt «Mentoring beschwingt» der Stiftung für hochbegabte Kinder setzt genau hier an. Sechs Säulen haben sich als sehr hilfreich für den Aufbau eines Mentoringangebots erwiesen. Dazu gehören eine verlässliche Trägerschaft, eine Kontaktperson, das lokale Beziehungsnetz, engagierte Mentor:innen, die Gestaltung des Settings des Mentorats und die Sicherung der Qualität.
Idealerweise wird das Konzept eines Mentoringangebots in ein bestehendes oder neu zu entwickelndes Begabungskonzept integriert. Damit dieser «Goldstandard der Pädagogik», wie er in der Literatur genannt wird, in der Praxis voll wirksam werden kann, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Laut aktueller Studien (Lemas Teilprojekt 21) tragen Faktoren wie eine angemessene Dauer, regelmässige Treffen, ein gutes Matching von Mentee und Mentor:in, Schulung und Begleitung der Mentor:innen, Zielvereinbarungen und Reflexion des Mentoringprozesses massgeblich zum Gelingen bei. Je mehr diese Faktoren beachtet werden, desto effektiver und messbarer ist der Erfolg der Förderung.
INFOBOX Das Projekt «Mentoring beschwingt», begleitet Schulen mit einem kostenlosen Coaching bei der Umsetzung eines Mentoringangebots, stellt Unterlagen zur Verfügung, vermittelt Wissen in Lernfilmen. In Kürze erscheint der Selbstlernfilm für die schulische Fortbildung. Impulsveranstaltungen «von good practices lernen» 13.3.2024 Mentoring auf der Primarschulstufe: Die Begabtenförderung der Stadt Bern stellt ihr Angebot vor. 13.11.24 Mentoring an Gymnasien. Wie gehen Sie im Schulalltag mit Schüler:innen mit besonderenen Begabungen am besten um und wie können Sie sie fördern? Das erfahren Sie im Lehrgang CAS Begabungs- und Begabtenförderung.
Zur Autorin
Kathrin Berweger Konzelmann engagiert sich seit 2021 im Projekt «Mentoring beschwingt». In ihrer Praxis Artcoaching Berweger begleitet sie seit über 15 Jahren Kinder in Mentoraten und Eltern mit videobasiertem Coaching. Ihr Schwerpunkt ist die Thematik Twice Exceptionality (hohes Potenzial und Lernschwierigkeiten).
Literaturnachweise:
Stiftung für hochbegabte Kinder (Hrsg.) (2019). Mentoring beschwingt. Grundlagen und Ideen zur Umsetzung in der Begabtenförderung.
LemaS Teilprojekt 21, Individualisierung durch Mentoring an Schulen.
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: zVg