Niels Anderegg war Ende September auf Schulbesuch bei Persönlichkeitsgeograph Stefan Schmid und Schulleiter Erwin Müller. Daraufhin hat er sie bezüglich der Haltung «Gelbe Schule» interviewt. Es geht dabei darum, Menschen als Persönlichkeit zu achten und bei ihrer Entwicklung zu begleiten und wie auch Führungs- und Lehrpersonen eine solche Haltung einnehmen können.
Stefan Schmid, immer wieder hört man von Schulleitenden aber auch Lehrpersonen, dass es auf die richtige Haltung ankommt. Wie reagiert ihr auf solche Aussagen?
Der Begriff die «richtige» Haltung ist etwas diskussionswürdig und stellt die Frage nach der «richtigen» Haltung für welche Person? Für die Schüler:innen um in Verbindung mit der Lehrperson gehen zu können? Für Lehrpersonen, um mit zunehmenden Unterrichtsstörungen richtig umgehen zu können? Für Schulleiter:innen, um Schulentwicklung und Innovationen nachhaltig voranzubringen? Für administrative Ebenen, um neue Konzepte und Curricula umsetzen zu können?
Die «richtige» Haltung ist stets mit dem jeweiligen Menschen und seinen eigenen Ressourcen abgestimmt und basiert darauf. So kann es wohl keine pauschale Aussage über die «richtige» Haltung geben, sondern nur über die eigene, die persönliche Haltung. Sie führt dazu, dass das eigene Handeln und Entscheiden sicherheitsgebend für sich selbst und für andere sein kann. Damit ist authentisches Sein gemeint und dass «Führungspersonen, die ihr Umfeld mit dieser Haltung beschenken, nicht perfekt sein müssen!» Wie auch? Bei einer authentischen Haltung gibt man den anvertrauten Personen das gute Gefühl, dass jemand für sie da ist und Sicherheit gibt. Im Kontext Schule ist diese Haltung «Gelbe Schule».
Wenn sich allerdings der Einzelne stets überlegen muss, «ist das jetzt die richtige Haltung, in der ich grade bin, oder brauche ich eine andere?», dann führt das dazu, dass die Menschen wieder im Denken stecken bleiben und nicht ins Sein gehen. Und das würde die Haltung als eine Methode sehen, eine Vorschrift. Genau das ist «Gelbe Schule» nicht.
Was wird mit dem Begriff der Haltung konkret gemeint?
Mit dem Begriff Haltung meinen wir, dass der Mensch mit seinem Selbst abgestimmt ist, «an sich selbst orientiert ist», wie Julius Kuhl so schön sagt. Eine Haltung kann man also nicht denken, die muss man sein.
«Gelbe Schule» ist eine Haltung, die bedeutet, aus einer sicheren Verbindung heraus Menschen als Persönlichkeit zu achten und in ihrer Identitätsbildung zu begleiten.
Diese Haltung liegt allen beliebigen Methoden zugrunde und trägt sich durch die eigene ausgestrahlte, sichere und persönliche Verbindung der Lehrperson im Umgang mit sich selbst, Schüler:innen, Eltern und Kolleg:innen.
Woran erkenne ich, dass an einer Schule das Thema Haltung präsent ist?
An jeder Schule sind Menschen mit einer Haltung unterwegs, die Frage ist nur, mit welcher? Wenn die Haltung «Gelbe Schule» an einer Schule gelebt wird, dann ist die eben erwähnte Ausstrahlung von sicherer und persönlicher Verbindung über die Authentizität der Lehrperson in der Gesamtheit seines gesamten Arbeitsfeldes spürbar.
Diese Haltung überträgt sich logischerweise auch auf die Klasse und jede:n einzelne:n Schüler:in. Somit ist nicht nur im Unterricht der Lehrperson, sondern im Schulprofil «Gelbe Schule» innerhalb der Gesamtheit der Schüler:innen die sichere Verbindung zwischen Kolleg:innen und vor allem zwischen Schüler:innen und Kollegium spürbar. Die Kinder lernen und die Lehrpersonen arbeiten in gefühlter sicherer Verbindung an einer Schule, obwohl sich äussere Rahmenbedingungen in einer Art und Weise verändern, die einem Gefühl der Sicherheit eher abträglich sind.
Ihr sprecht von der «Gelben Schule». Was versteckt sich hinter diesem Namen?
«Gelbe Schule» ist die Haltung «aus einer sicheren persönlichen Verbindung heraus Menschen als Persönlichkeit achten und sie bei ihrer Identitätsbildung begleiten». «Gelbe Schule» basiert auf aktuellen und wissenschaftlichen Theorien: der PSI (Persönlichkeit System Interaktionen) Theorie, der «Theorie der willentlichen Handlungssteuerung» von Prof. Dr. Julius Kuhl und der Polyvagal Theorie von Prof. Dr. Stephen Porges. Kuhl gibt zum Zugang zu seinem Selbst die Farbe Gelb, deshalb «Gelbe Schule».
Ergänzt wird «Gelbe Schule» von den Arbeiten zur pädagogischen Haltung von Prof. Dr. Claudia Solzbacher, der Prozess- und Embodimentfokussierten Psychologie PEP nach Dr. Michael Bohne und dem Zürcher Ressourcen Modell ZRM nach Maja Storch und Frank Krause. Die innovative Verbindung dieser wertvollen Theorien in permanenter Abstimmung mit der Praxis machen «Gelbe Schule» aus. Sie ist also keine Methode und kein Konzept, sondern eine Haltung, die auf der Wahrnehmung des Menschen basiert.
Können Haltungen verändert werden?
Selbstverständlich. Denken Sie nur an sich selbst und Ihr Leben, sei es beruflich oder privat, wie oft Sie schon eine neue Haltung zu einem bestimmten Thema eingenommen haben.
Nun haben wir gesehen, dass es für eine Lehrperson oder eine Schulleitung zu viele unbekannte Einflüsse gibt, wenn diese das Schulhaus beziehungsweise Lehrerzimmer oder Klassenzimmer betreten. So weiss ein:e Schulleiter:in zum Beispiel vorher nicht, aus welchem privaten Kontext seine oder ihre Kolleg:innen an die Schule kommen oder eine Lehrkraft weiss nicht, ob es auf dem Schulweg oder zu Hause für das Kind Situationen gab, die gefährlich waren.
Und da ist man mit Methoden allein schnell an seiner Grenze. Was bleibt, ist eine Haltung: Aus einer sicheren persönlichen Verbindung heraus Menschen als Persönlichkeit achten und sie bei ihrer Identitätsbildung begleiten. Diese Haltung kann man lernen. Dazu haben wir die «Gelbe Schule» Seminartage entwickelt, dessen ersten Teil wir bei Ihnen an der PH Zürich anbieten.
Wie kann eine Schulleitung oder auch ein Teacher Leader Einfluss auf die Haltung der Lehrer:innen nehmen?
Einflussnahme auf eigene persönliche Haltungen sind durch die Schulleitung /Teacher Leader gar nicht möglich, wenn der Mensch beziehungsweise die Lehrperson diese nicht selbst zulässt. Da es die Absicht von «Gelbe Schule» ist, dass die jeweilige Person sich selbst auf den Weg macht, Haltungen zu bauen, die sie in ihren persönlichen «stress» behafteten Situationen entlasten kann, kann es gar nicht möglich sein, als Schulleitung auf diesen persönlichen Bereich Einfluss zu nehmen.
Die einzige Einflussnahme ist die Vorbildwirkung der Schulleitung und der authentische «gelbe» Umgang mit den Menschen im Schulumfeld. Hier können Lehrpersonen Haltungen übernehmen, wenn diese zu ihnen selbst passen und mit ihren eigenen persönlichen Ressourcen abgestimmt sind. Und um diese eigenen persönlichen Ressourcen, vor allem die unbewusst erfahrenen, wertschätzen und nutzen zu können, bedienen wir uns der therapie- und trainingsbegleitenden Osnabrücker Persönlichkeitsanalyse.
Das sind Persönlichkeitstests, die von Prof. Dr. Julius Kuhl in 30 Jahren Forschung entwickelt wurden, die man online macht und die den Teilnehmenden zeigen, wie ihre Ressourcen – bewusst und unbewusst – aufgebaut sind, wie sie diese nutzen und damit ihre Handlungen unter Stress und Belastung steuern können. Gelingt diese sogenannte Stimmungsregulation einer Schulleitung oder einem Teacher Leader besonders in Stresssituationen gut, dann wissen wir, hat dies Einfluss auf die Haltung der Lehrpersonen, denn diese wollen dann auch so «sein».
Ist es ethisch vertretbar, wenn die Schulleitung Einfluss auf die Haltung der Lehrer:innen nimmt?
Es ist nicht vertretbar, weil wie bereits erwähnt der Mensch beziehungsweise die Lehrperson selbst im Mittelpunkt steht, sei es, ob er sich auf den Weg macht, dieser Zeit der Veränderung mit neuen Haltungen zu begegnen oder nicht. «Gelbe Schule» lässt somit den Lehrpersonen die Freiheit, sich selbst mit den eigenen Ressourcen zu beschäftigen beziehungsweise sich neue Haltungen im Umgang mit kraftraubenden Situationen zu «bauen». Trotzdem gibt «Gelbe Schule» ein Leitbild für Schule vor: Den Menschen als Persönlichkeit zu achten und bei seiner Identitätsbildung zu begleiten!
Als «Menschen» sind hier nicht nur Schüler:innen, sondern besonders auch Lehrpersonen, Eltern und alle an der Schule beteiligten Personen inkludiert. Die Wege, um dieses Leitbild zu erreichen, sind vielfältig und bleiben den beteiligten Menschen frei wählbar. Die Seminare «Gelbe Schule» stellen da sicherlich ein wertvolles Angebot dar und geben diesbezüglich Erkenntnisse an die Hand, die von vielen Lehrpersonen genutzt werden. Jedoch ist es wichtig, dass dies nicht «von oben» verordnet wird.
Ihr werdet Ende Januar an der PH Zürich ein Modul zum Thema Haltung für Führungspersonen abhalten. Was erwartet die Teilnehmenden und warum lohnt es sich daran teilzunehmen?
Führung beginnt bei Selbstführung und so kann es sehr guttun, sich in dieser nicht immer «stress- und angstfreien» Zeit, diese Tage für sich und seine Ressourcen zu nehmen. Hier nimmt man sich bewusst Zeit für sich und seine Führungsaufgaben im privaten und beruflichen Kontext, um umso gestärkter in den Alltag zurückzukehren.
In Einzelarbeit sowie begleitet durch kurzweilige Vorträge und Beispiele aus der Schulpraxis einer Brennpunktschule mit 450 Schüler:innen aus 40 Nationen und 300 Schüler:innen im schulischen Ganztag werden die Theorien der Gelben Schule und die Haltung der sicheren persönlichen Verbindung und Gelassenheit mit der Alltagspraxis bei Unterrichtsstörungen, Elternarbeit und Schulentwicklung verknüpft. Hier erfahren sie, was «gelb sein» bedeutet und warum der niederbayrische Begriff «Goassgschau» im stressigen (Schul-)Alltag sehr wichtig werden kann.
INFOBOX Am 27. Januar 2023 und am 10. Februar 2024 findet an der PH Zürich das Modul Pädagogische Haltung in der «Gelben Schule» für Führungspersonen von und in Schulen statt. Das Modul wird von Stefan Schmid und Erwin Müller geleitet und verspricht zwei intensive Tage und Auseinandersetzung mit dem Thema Haltung. Das Modul kann als Wahlpflichtmodul der neuen Schulleitungsausbildung, dem DAS Schulleitung, angerechnet werden.
Zu den Autoren
Niels Anderegg leitet an der Pädagogischen Hochschule Zürich das Zentrum Management und Leadership. Seine Arbeitsschwerpunkt sind Teacher Leadership und gemeinschaftliche Schulführung, Leadership for Learning und Professionalisierung von Führungspersonen.
Stefan Schmid, der Persönlichkeitsgeograph, arbeitet nach seinem Studium der Geografie und der Betriebswirtschaftslehre und verschiedenen Führungspositionen in grossen Marketingagenturen als selbständiger Coach und Trainer. Er ist in PSI, der Polyvagal Theorie, PEP und ZRM ausgebildet.
Erwin Müller ist seit 2012 Schulleiter an der Grundschule in Plattling mit 450 Kindern aus 40 Nationen. Er ist qualifizierter psychologischer Beratungslehrer und Bezirksvorsitzender der KEG, einem deutschen Lehrerverband.
Redaktion: Jasmin Kolb
Titelbild: Screenshot von gelbeschule.de