Im dritten Beitrag über das erste Jahr als Schulpräsidentin in Uitikon, stellt sich Caroline Čada Fragen zur Rolle der Schule als Lern- und Lebensort.
Vor ein paar Tagen stand ich auf dem Pausenplatz unseres Schulhauses. Lässige Musik ertönte aus dem Radio, die Schüler:innen tanzten, unterhielten sich und spielten. Es war gleichzeitig Besuchsmorgen, viele Eltern waren anwesend. Erwachsene und Kinder genossen entspannt die Frühlingssonne. In diesem Moment dachte ich an die Rolle der Schule als Lern- und Lebensort.
Die Schüler:innen, die Lehrpersonen und die Schulleitung verbringen meistens mehr Zeit in der Schule als zu Hause. Man kennt sich. In der Schule als Lebensort werden Werte und Haltungen vermittelt, gewisse Verhaltensweisen gefordert und andere abgelehnt, Kinder unterschiedlicher Herkunft zusammengebracht und Toleranz gelehrt. Die Schule bringt Stabilität und Struktur. Im Auftrag unserer Gesellschaft verfolgt sie höhere Ziele: die Vermittlung von Bildung im umfassenden Sinne, die Förderung der Kreativität und des kritischen Geistes, das Schaffen von künftigen mündigen Bürgern, die für sich selbst und ihre Umwelt Verantwortung übernehmen.
Auf dem Pausenplatz stehend, erinnerte ich mich an dieses Gedicht von Khalil Gibran:
«Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken,
Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.
Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen,
Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen.»
Gemäss Gibran sollten wir die Köpfe unserer Kinder nicht mit starren Vorstellungen füllen, «…denn das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es im Gestern…».
Klare Strukturen und lange Prozesse – Wie viel davon braucht es wirklich?
Gleichzeitig dachte ich an unser ausgebautes Schulsystem. Wir haben Formulare für dies und das, Konzepte für fast alles und komplexe Informationsflüsse auf den meisten Ebenen. Es gibt den Berufsauftrag, die jährlichen Mitarbeitergespräche, das «Pensen-Patchwork» der Lehrpersonen, die Förderplanungen, die Protokolle, die runden Tische und den Lehrplan mit all seinen Facetten.
Selbstverständlich braucht jedes System Ordnung, Struktur, Zuverlässigkeit und Vorhersehbarkeit. Doch als ich die Schüler:innen auf dem Pausenplatz beobachtete, habe ich mich gefragt, ob wir es immer schaffen, die höheren Ziele der Schule und das Essenzielle der Kinder im Auge zu behalten, während wir uns mit organisatorischen Belangen beschäftigen.
Wieviel Energie stecken wir in das System im Verhältnis zur Bildung? Schaffen wir es, hinter einer Regel ihren Sinn zu erkennen, statt sie blind anzuwenden? Ich würde sagen, ja, oder zumindest hoffe ich es sehr. Denn wenn der Sinn einer Regel oder eines Systems verstanden ist, können Prozesse und Lösungen freier gestaltet werden. Wenn nötig, kann man kreativ dissident sein und trotzdem auf einer Linie bleiben. Als Schulpräsidentin versuche ich es, dies zu berücksichtigen.
INFOBOX Schulpräsidentin Caroline Čada schrieb auch über die Schulraumplanung und Generation Z an der Schule Uitikon. Hier gelangen Sie zu ihrem letzten Beitrag.
Zur Autorin
Caroline Čada ist seit Juli 2022 Schulpräsidentin und Gemeinderätin in Uitikon. Nach einem Abschluss in Psychologie und Politikwissenschaften an der Universität Zürich führte sie ihr Weg in die Privatwirtschaft. Mit der Geburt ihrer vier Kinder wechselte sie von der Wirtschaft ins non-profit Umfeld. Kompetenzen und Kenntnisse baut sie konsequent aus, zum Beispiel mit dem CAS Schulqualität von der PHZH, den sie im Herbst 2022 erfolgreich abschloss.
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: adobe stock