Informatik, aber nicht am Computer? Ja, das geht – und zwar durch analoge Aufgaben im Informatikunterricht. Dabei setzen Schüler:innen beim Lernen spielerisch unterschiedliche Materialien ein. Janine Trütsch erklärt, wie Unplugged-Aktivitäten genau aussehen können und welche Vorteile sie für Schüler:innen bieten.
Wirft man einen Blick in aktuelle Informatiklehrmittel der Volksschule, so zeigen sich darin viele Aktivitäten, für die es weder einen Bildschirm noch anderes technisches Zubehör braucht. In solchen Unterrichtseinheiten sortieren Schüler:innen Gegenstände nach verschiedenen Eigenschaften, führen Bastelanleitungen und Rezepte Schritt für Schritt aus oder programmieren einen Menschenroboter: Dabei spielt ein Kind ein Roboter und ein anderes erteilt ihm Befehle in Form von Karten, Pfeilen oder Rufen. Gleichzeitig lernen sie grundlegende Konzepte der Informatik spielerisch und handelnd kennen.
Unplugged-Aktivitäten, also solche ohne Strom, stellen einen möglichen Zugang zur Informatik dar. Weitere Zugänge zur Informatik, die in der Primar- und Sekundarstufe oft zum Einsatz kommen sind beispielweise Making, Robotik, sowie die Gestaltung und Teilhabe an der digitalen Welt (Computational Participation). Es entspricht der Vorstellung vieler Lehrpersonen, dass sich der analoge Zugang hauptsächlich für Schüler:innen im Kindergarten und der Unterstufe eignet.
Im Informatikunterricht fordern solche Aufgaben nicht nur für den Zyklus 1 geeignet sind, zeigen aktuelle Studien. Schüler:innen aller Altersstufen erzielen ein besseres Verständnis grundlegender Informatikkonzepte, verbessertes algorithmisches Denken und sogar eine höhere Selbstwirksamkeit beim Erlernen des Programmierens, wenn handelnde- den «plugged» Aktivitäten vorausgehen. Mit dem Unplugged-Ansatz steht Lehrpersonen ein universelles Instrument für den Informatikunterricht zur Verfügung, da sich sowohl für alle Altersstufen als auch zu allen Kompetenzbereichen des Informatiklehrplans (Algorithmen, Datenstrukturen, Informatiksysteme) passende Aufgaben finden lassen.
Unplugged-Aktivitäten vereinen viele Vorteile
Weshalb ausgerechnet die analogen Tätigkeiten im Informatikunterricht besonders lerneffektiv sind, lässt sich dadurch erklären, dass der Unplugged-Ansatz gleich mehrere Vorteile bietet:
Einerseits sprechen die handelnden Aktivitäten aufgrund ihrer spielerischen Natur Schüler:innen unterschiedlichen Alters an. Andererseits wird durch eigenes Handeln ein einprägsames Lernen begünstigt. Zudem werden komplexe Informatikkonzepte greifbar und können somit einfacher vermittelt werden. Oft behandeln Unplugged-Aufgaben Probleme aus dem Alltag und der Lebenswelt der Schüler:innen. Sie erkennen, dass digitale Phänomene einen Einfluss auf ihre Lebenswelt haben und setzen sich mit Ideen auseinander, die in unserer digitalen Welt Auswirkungen haben. Nicht zuletzt bringen diese Tätigkeiten Bewegung in den Medien- und Informatikunterricht, was eine willkommene Abwechslung zum Unterricht vor dem Bildschirm darstellt.
Variablen als Briefumschläge
Unplugged-Aktivitäten können als erster Schritt eingesetzt werden, um Schüler:innen zu helfen, algorithmische Schritte zu verstehen, bevor sie Code schreiben. Um sie beispielsweise mit der Funktionsweise von Variablen vertraut zu machen, können diese als Briefumschläge dargestellt werden. Die Lernenden zeichnen einen Roboter und beschriften drei Briefumschläge mit den Begriffen: «Name des Roboters», «Höhe in cm» und «Funktion». In jeden der drei Umschläge legen sie nun einen Zettel mit den entsprechenden Werten. Im Anschluss können mit den Variablen Geschichten geschrieben oder Rätsel gemacht werden. Ein kompletter Unterrichtsvorschlag finden Sie hier.
Die Schüler:innen entdecken auf handelnde Art und Weise, dass es sich bei Variablen (also den Briefumschlägen) um einen Platzhalter für eine Information handelt, die sich ändern kann. Die Zettel im Umschlag können nämlich beliebig ausgetauscht werden, währenddem sich der Name des Briefumschlages nicht ändert. In Computerprogrammen übernehmen Variablen die Funktion des Briefumschlages und können unterschiedliche Werte annehmen.
Zurück an den Bildschirm
Die Idee ist nicht, dass der Informatikunterricht ausschliesslich damit gestaltet wird. Wann immer möglich ist es sinnvoll, einen direkten Transfer der unplugged Aufgabe in eine Programmierumgebung zu machen. Nachdem die Schüler:innen das Konzept der Variablen in Form von Briefumschlägen verstanden haben, drängt sich die Frage auf: «Wie sieht denn eine Variable im Computer aus?» In Scratch lassen sich eigene Variablen definieren und in ein Programm einbauen. Als Transferaufgabe können die Schüler:innen in Scratch ein eigenes Quiz erstellen. Der/die Spieler:in trägt dabei Antworten ein. Diese werden im Programm als Variablen definiert. Probieren Sie es aus, hier finden Sie ein Beispiel für ein mögliches Quiz.
Was ist Computational Thinking?
In der Fachliteratur stösst man immer wieder auf den Begriff des Computational Thinking. Dabei geht es darum, dass Schüler:innen über eine Reihe von Fähigkeiten und Praktiken verfügen, die sie zur Lösung komplexer Probleme anwenden können. Zu den vier Grundpfeilern gehören:
- Dekomposition: komplexe Aufgaben in kleinere, handhabbare zerlegen.
- Abstraktion: eine geeignete Darstellung eines Problems aus mehreren Abstraktionsebenen auswählen und eine Lösung zu entwickeln, die für unterschiedliche Situationen geeignet ist.
- Mustererkennung: eine große Menge von Daten nach einem gemeinsamen Muster durchsuchen.
- Algorithmisches Denken: einen vielversprechenden Weg finden, um ein Problem Schritt für Schritt zu lösen.
Wenn wir nochmal auf die «Variablen in Briefumschlägen» zurückblicken, lassen sich die vier Grundpfeiler des Computational Thinking mit verschiedenen Aspekten der Aufgabe verbinden. Ganz selbstverständlich setzen die Schüler:innen eine Variable in der abstrahierten Form eines Briefumschlages ein und erkennen, dass diese in unterschiedlichen Aufgabenstellungen eingesetzt werden können (Mustererkennung). Später wenden sie das angeeignete Wissen zu Variablen in einer Programmierumgebung an und planen das Programm zuerst (algorithmisches Denken). Sie merken dabei, dass sie einen Teilschritt, nämlich den der Definition einer Variable, bereits verstanden haben und anwenden können (Dekomposition).
Unplugged-Aktivitäten erweisen sich als wirksames Instrument, um bei Schüler:innen aller Altersstufen eine Verbesserung der Fähigkeiten im Bereich des Computational Thinking zu erzielen.
Umsetzung leicht gemacht?
Der Ansatz von Computer Science Unplugged ist bereits seit 1998 bekannt und hat sich seither in Lehrmitteln und diversen Online- Materialsammlungen etabliert. Es lassen sich mühelos vielseitige Unterrichtsbeispiele finden. Ein solcher Unterricht benötigt zudem keine teure Infrastruktur und die Beispiele funktionieren auch noch ein Jahr später problemlos. Oft kann beobachtet werden, dass Lernende (sowie Lehrpersonen) ihre Vorurteile gegenüber Computer ablegen können und einen unbeschwerten Zugang zur Informatik erleben. Unplugged-Aktivitäten begünstigen eine höhere Selbstwirksamkeit beim Erlernen des Programmierens und steigern somit die Motivation und Lernfreude in einem anspruchsvollen Fachbereich.
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Zur Autorin

Janine Trütsch ist ausgebildete Primarlehrerin und hat während 12 Jahren auf verschiedenen Schulstufen unterrichtet. 2022 schloss sie den Masterstudiengang Fachdidaktik Medien und Informatik ab. Sie arbeitet seit September 2022 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentrum für Medienbildung und Informatik an der PH Zürich.
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: adobe stock/Patrick P. Palej
Urheberrechtslizenz Quiz: Open Government Licence
Literatur:
Brackmann, C. P., Roman-gonzalez, M., Robles, G., Moreno-leon, J., Casali, A., Barone, D., Federal, I., Iffar, F., Brackmann, C. P., Roman-gonzalez, M., Rey, U., Carlos, J., Rey, U., Carlos, J., Moreno-leon, J., Casali, A., & Barone, D. (2017). Development of computational thinking skills through unplugged activities in primary school. In M. Knobelsdorf & R. Romeike (Eds.), Proceedings in the 12th Workshop on Primary and Secondary Computing Education (pp. 65–72). Association for Computing Machinery. https://doi.org/10.1145/3137065.3137069
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