Karriereentwicklung oder Laufbahnmodelle sind im Lehrberuf auf den ersten Blick kein grösseres Thema. Oberflächlich könnte man auf drei Phasen schauen: Berufseinsteigende, die breite Mitte der Konsolidierung und die erfahrenen Lehrpersonen. Manchmal wird auch die Schulleitung als Karriereziel gesehen. Dabei lässt das Schulwesen viel mehr zu und es zeigen sich andere Möglichkeiten für Lehrer:innen – auch eine Frage in Hinblick auf die Attraktivität des Lehrberufs. Niels Anderegg und Nina Cathrin-Strauss über Beispiele von Teacher Leaders und deren Laufbahnen.
Laufbahnen im Lehrberuf sind ein historisches Thema, welches wissenschaftlich immer wieder einmal thematisiert wird. In den 1970ern schlug eine Expertenkommission vor, die Differenzierung der Lehrerschaft anhand von Rollen, Fächern oder Funktionen zu überlegen, was grössere Ablehnung auslöste. Diese kann auch als Stärkung der Vorstellung von Gleichheit unter den Lehrpersonen gelesen werden. Weder eine Hierarchisierung noch eine Differenzierung zwischen den Lehrer:innen war gewünscht. Eine LCH-Befragung zeigte vor knapp 20 Jahren, dass Lehrpersonen mehrheitlich offen für Laufbahnen sind, wenn sie denn Anerkennung bringen und keine grossen Konsequenzen für den eigenen Unterricht bedeuten.
Wo stehen wir heute? Unserer Ansicht nach gibt es die Differenzierung und auch Hierarchisierung unter den Lehrer:innen, auch durch die Beteiligung von Lehrpersonen an Führungsaufgaben. Auf unterschiedliche Weise ermöglicht Teacher Leadership Potenziale für Lehrer:innen, ihre Rolle zu erweitern oder Erfahrungen zu sammeln und Kompetenzen zu entwickeln. Dabei geht es nicht primär um Karriere im Sinne eines hierarchischen Aufstieges, sondern um die Stärkung und Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen im Dienste der ganzen Schule. Teacher Leadership kann, muss aber nicht ein Weg hin zur Schulleitung sein.
Drei (fiktive) Beispiele stehen in diesem Beitrag im Fokus, die aufzeigen, wie eine Weiterentwicklung in der Führungsrolle als Teacher Leader hilfreich und sinnvoll sein kann – für die einzelnen Personen aber auch die Schulen insgesamt.
Als Teacher Leader Schulqualität managen
Mit der Einführung des Lehrplans 21 und den drei Zyklen hat eine Schule sich entschieden, altersdurchmischte Doppelklassen einzuführen und die Schule in Stufenteams zu organisieren. Die Einführung ist gut geglückt und nun nach einigen Jahren Erfahrung, möchte die Schule genauer wissen, wie das Lernen im altersdurchmischten Unterricht funktioniert, was die Schüler:innen unterstützt, wo Schwierigkeiten bestehen und was die nächsten Entwicklungsschritte sein könnten.
In einer Steuergruppensitzung wird eine Evaluation dazu beschlossen. Um einen möglichst hohen Nutzen für die Schule zu erreichen, soll die Evaluation intern durchgeführt werden. Eine Lehrerin wird mit der Planung und Durchführung betraut. Ihr Auftrag ist die Durchführung in allen Stufen, weshalb sie auf die Zusammenarbeit mit den Stufenteams angewiesen ist. In einer Weiterbildung baut sie das nötige Wissen auf und setzt die Evaluation danach erfolgreich um. Die Resultate geben der Schule wichtige Hinweise zur Weiterentwicklung des altersdurchmischten Unterrichts in den verschiedenen Stufen und den nächsten Schritten.
Aus dieser Erfahrung heraus entscheidet sich die Schule, ihre Qualität regelmässig zu überprüfen, Feedbacksysteme aufzubauen und im Schulprogramm die Überprüfung weiterer Teilbereiche oder Fragen zum Lernen der Schüler:innen aufzunehmen. Auch soll eine Person mit dem Qualitätsmanagement beauftragt werden. Durch die Erfahrung der Evaluation hat die Lehrerin grosses Interesse an dieser Aufgabe und so wird entschieden, dass sie als Teacher Leader diese Funktion mindestens für die Dauer des neuen Schulprogramms offiziell übernimmt und verschiedene Ressourcen dafür erhält.
Eine Ressource ist die Sichtbarkeit und Klarheit der Aufgabe im Schulprogramm und durch die Mitteilung im Newsletter, die ihr Anliegen in der Schule stärkt. Eine weitere sind zeitliche Ressourcen, die ihr ermöglichen, Konzepte zu entwickeln oder Befragungen von Kolleg:innen, Schülerschaft oder Eltern durchzuführen. Weiter ist sie regelmässig Teil der Steuergruppe als Schnittstelle zur Schulentwicklung.
Eine andere überaus wichtige Ressource ist die eigene Kompetenz, welche die Lehrerin im Bereich Qualität aber auch für ihre Führungsrolle weiterentwickeln will. Sie setzt sich mit der Frage von Führung auseinander und besucht die Grundlagen Teacher Leadership. So wird sie sich ihrer spezifischen Führungsaufgabe als Teacher Leader und ihrer Handlungsmöglichkeiten bewusst und kann diese stärker für ihre Aufgabe in der Schule nutzen. Daran anschliessend entwickelt sie ihre Kompetenzen im Bereich Qualitätsmanagement weiter und beschäftigt sich auch immer wieder mit pädagogischen Fragen, da für sie die Rückbindung ihrer Erfahrungen an Schulentwicklung und das Lernen in ihrer Schule wie auch in ihrem Unterricht wichtig sind.
Als Teacher Leader Begabung fördern
Vor einigen Jahren hat sich ein Lehrer im Bereich Begabungsförderung weitergebildet und einen Lehrgang absolviert, weil er die Begabungen der Schüler:innen fördern will. Ihm ist das Thema sehr wichtig und mit viel Engagement und Herzblut sowie Fachwissen unterstützt er einzelne Schüler:innen, vor allem in seiner Klasse. Er hat als Fachperson Begabungsförderung ein Begabungsatelier aufgebaut, doch ist immer wieder frustriert, weil seine Kolleg:innen ihn aus seiner Perspektive in seinem wichtigen Anliegen zu wenig unterstützen – es gäbe zu viel andere wichtige Themen und Herausforderungen. Und so schicken die meisten Lehrer:innen die Kinder aus ihrer Klasse in das Begabungsatelier, haben aber kein Interesse, den eigenen Unterricht begabungsfördernder zu gestalten. Man hört ihm an den Schulkonferenzen zwar höflich zu, aber im Unterricht ändern sie nichts. Der Schulleiter versteht sein Anliegen, hat aber selbst kaum Kapazitäten aktiv zu werden und ist selbst nicht davon überzeugt, dass er sich in das Unterrichtsgeschehen einmischen sollte.
Nachdem der Lehrer sich wieder einmal bei dem Schulleiter beschwert hat, macht ihm dieser den Vorschlag, sich im Bereich Führung weiterzubilden, um zu lernen, wie er sein grosses Wissen einbringen und als Kollege und Experte Einfluss nehmen kann. Die Fachperson Begabungsförderung ist zwar skeptisch, entscheidet sich dann aber doch für eine Weiterbildung in diesem Bereich. In den Grundlagen Teacher Leadership beschäftigt er sich mit Werkzeugen und entwickelt Strategien und Kompetenzen, die ihm im Alltag helfen und seine Rolle stärken. Besonders wertvoll ist für ihn aber der Austausch in der Lerngruppe mit anderen Teacher Leadern und die Auseinandersetzung mit seiner eigenen Situation und den Möglichkeiten, sich innerhalb seines Systems, seiner Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln. In der Auseinandersetzung mit der Rolle als Teacher Leader und dank den verschiedenen Werkzeugen gelingt es ihm, sich mehr Raum zu verschaffen, das Thema als Schulentwicklungsziel zu stärken und mit den Lehrer:innen immer besser in einen Dialog zu kommen, um ihnen Wege aufzuzeigen Begabungsförderung an der Schule zu verankern und zu leben.
Als Teacher Leader Schulleiterin werden wollen
Eine Lehrerin unterrichtet seit mehreren Jahren an einer Mittelstufenklasse, hat sich im Unterricht Routinen entwickelt, ist im Austausch mit Kolleg:innen, nimmt regelmässig an Weiterbildungen teil und übernimmt immer wieder das ein oder andere Ämtli. Zuletzt war sie in der Projektgruppe für den Schulsilvester. Sie schätzt die Arbeit als Lehrerin mit den Schüler:innen, spürt für sich aber, dass sie mehr Verantwortung übernehmen möchte und in drei oder vier Jahren eine Stelle als Schulleiterin antreten will. Noch ist ihr der Sprung in die Funktion zu gross.
Im jährlichen Mitarbeitergespräch thematisiert die Schulleitung diese Möglichkeit und schlägt ihr vor, bereits jetzt einzelne Führungsaufgaben innerhalb der Schule zu übernehmen. Sie hat kein bestimmtes Thema, dem sie sich widmen möchte, und die Schulleitung diverse Baustellen und Herausforderungen, an denen sie arbeitet, wie beispielsweise die Anwerbung, Einstellung und Eingliederung neuer Lehrer:innen. Ganz konkret müsse sich hier auch jemand um die Kommunikation gegen aussen kümmern. Die Schule will sichtbarer werden und professioneller auftreten, doch die Homepage ist veraltet und auch die Kommunikation zu den Eltern unsystematisch. Sofort kommen der Lehrerin verschiedene Ideen, wie die Kommunikation professioneller und systematischer gestaltet werden könnte und eine lebhafte Diskussion zwischen den beiden entsteht.
Am Ende beschliessen sie, dass die Lehrerin zunächst ein Konzept für die Kommunikation gegen aussen entwirft und sich in diesem Zusammenhang überlegt, was neue Lehrpersonen brauchen, um sich in der Schule zurechtzufinden. Dafür enthält die Lehrerin zeitliche Ressourcen aus dem Schulleitungspool. Mit Blick auf die Weiterentwicklung der Lehrerin überlegen beide, welche weiteren Grundlagen sie braucht. Da sie bei der Entwicklung des Konzepts zunächst von ihren eigenen Erfahrungen profitiert, vereinbaren beide, ihre Führungskompetenzen auch mit Blick auf weitere Aufgaben zu stärken.
Sie soll die Grundlagen Teacher Leadership besuchen und beginnt so mit dem Einstieg in die Schulleitungsausbildung. Ob sie auch in 3-4 Jahren wirklich in die Schulleitung einsteigen will, wird sich zeigen. Dank den Erfahrungen als Teacher Leader kann sie besser einschätzen, ob eine solche Aufgabe zu ihr passt oder ob sie lieber weiterhin als Lehrerin Führungsaufgaben und -verantwortung übernehmen will. Mit den Grundlagen Teacher Leadership und verschiedenen Wahlpflichtmodulen hat sie bereits einen Teil der Schulleitungsausbildung absolviert und der Einstieg in die Schulleitungsrolle kann ihr leichter fallen.
Erweitern und anreichern oder aufsteigen?
Die Beispiele beschreiben Möglichkeiten von Lehrpersonen, ihre Aufgaben zu erweitern oder anzureichern oder sich auf die Übernahme neuer Aufgaben wie in der Schulleitung vorzubereiten. Im Fokus steht dabei nicht die Karriere im Sinne von ‘Aufstieg, sondern die berufliche Weiterentwicklung. Uns erscheint wichtig, dass es um Laufbahnen als Teacher Leader im Schulwesen geht, die die individuellen Bedürfnisse und Kompetenzen, aber auch das System in den Blick nehmen – zeitliche Ressourcen, Raum und Sichtbarkeit von Funktionen und Aufträgen oder eine unterstützende Schulleitung als wichtige Rahmenbedingung. Ebenso wichtig für Lehrpersonen mit Führungsaufgaben sind Angebote, die sie in der Wahrnehmung ihrer Rolle stärken und ihnen helfen, als Teacher Leader kompetent und professionell Einfluss zu nehmen und so die Schule und damit das Lernen aller Schüler:innen zu stärken – wie die Angebote zu Teacher Leadership.
INFOBOX Mit den Grundlagen Teacher Leadership bietet die PH Zürich eine Führungsausbildung für Lehrer:innen an. In den Grundlagen geht es um die Auseinandersetzung mit Führung als Teacher Leader. In einem dreitägigen externen Modul – dem Einstieg Teacher Leadership – werden dafür wichtige Grundlagen gelegt. Ergänzend zu den Grundlagen Teacher Leadership können Wahlpflichtmodule der neugestalteten Schulleitungsausbildung absolviert werden. Je nach Aufgabengebiet können Teacher Leaders so spezifische Inhalte mit der Auseinandersetzung der eigenen Führungsrolle wählen und stärken. Bei einem späteren Entscheid für den Weg in die Schulleitung ist bereits ein Teil der Schulleitungsausbildung absolviert, da die Grundlagen Teacher Leadership und die verschiedenen Wahlpflichtmodule bis maximal 10 ECTS-Punkte angerechnet werden.
Zur Autorin
Nina-Cathrin Strauss ist unter anderem Mitglied der Lehrgangsleitungen «Führen einer Bildungsorganisation» und «Schulqualität». Sie beschäftigt sich als Dozentin und Forscherin im Zentrum Management und Leadership mit Teacher Leadership und gemeinschaftlicher Führung im Schulfeld sowie der Professionalisierung von Führungspersonen in Bildungsorganisationen.
Zum Autor
Niels Anderegg leitet das Zentrum Management und Leadership an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Pädagogische Schulführung, Teacher Leadership und Professionalisierung von Führungspersonen von und in Bildungsorganisationen.
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: adobestock/MarenWinter
Literaturnachweise
Strauss, Nina-Cathrin, und Niels Anderegg, Hrsg. Teacher Leadership – Schule gemeinschaftlich führen. Bd. 1. Führung von und in Bildungsorganisationen. Bern: Hep, der Bildungsverlag, 2020.
Leutwyler, Bruno, und Priska Sieber. „Der Lehrberuf im Wandel? – Über Grenzen von Leadership“. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften 28, Nr. S (2006): 57–76.
Hallo!
Bezugnehmend auf mein Spezialgebiet Emotionen habe ich mich mit dem Thema einfach Lernen beschäftigt und gehörig dazu geschrieben.!
Die Unterrichtsfächer lassen sich in einer Stunde erklären und der* Schüler* kann von selbst weiterlernen.
Folglich kann auch ein Berufswunsch näher erklärt werden, aber änderbar ist. Wie es so ist.
Mlg