Daniel Jeseneg

5 Fragen an Daniel Jeseneg – Schulleiter Schule Zeihen

In unserer Rubrik «5 Fragen an…» interviewt Co-Schulleiter Victor Steiner den Schulleiter Daniel Jeseneg zu seiner Tätigkeit. Der Stafetten-Stab liegt nun bei ihm.

Die Schule Zeihen geht einen eigenen Weg im Bereich der Beurteilung. Kompetenzorientierte Beurteilung ist das Schlagwort. Kannst du das genauer erläutern und über Erfolge und Stolpersteine berichten?

So eigen ist unser Weg gar nicht. Wir machen eigentlich genau das, was uns die Laufbahnverordnung und der Lehrplan vorschreiben. Vielleicht haben wir diese zwei Dokumente ein wenig genauer und sorgfältiger wie andere Schulen studiert und wissen nun, welcher Spielraum uns offensteht. Kurzum: Die Ziffernnoten auf unseren Beurteilungsbelegen haben wir abgeschafft und sie im Rahmen der bilanzierenden Beurteilungen durch Wortprädikate ersetzt (sehr gut erreicht, gut erreicht, erreicht, noch nicht erreicht). Klassische schriftliche Lernstanderhebungen gibt es noch, aber sie reihen sich ein in Selbst- und Peereinschätzungen, Lernberichte, Produkte- und Prozessbeurteilungen – also Lernspuren, die dem Lernen dienen und nicht dem Daumen-hoch-oder-runter-Prinzip.

Bei einer solchen Beurteilungsvielfalt ist es für uns natürlich nicht mehr möglich, mit einer schlichten «Milchbüechlirechnung» (Notenschnitt) zur Zeugnisnote zu gelangen. Aber diese Zeugnisnoten müssen wir ja machen. Da führt kein Weg dran vorbei. Überall sonst braucht es keine Noten. Das kann man in der Promotionsverordnung schwarz auf weiss nachlesen.

Wir sind im Moment wirklich noch auf der Suche nach einem einigermassen mach- und leistbaren Rezept für den Ermessensentscheid bei der Zeugnisnote. Letztendlich offenbart sich aber genau hier das Dilemma zwischen einem zeitgemässen Lernverständnis – und da leistet der Lehrplan meines Erachtens wirklich Grossartiges – und einer Leistungsdokumentation (Zeugnis), die aus dem letzten beziehungsweise vorletzten Jahrhundert stammt. Dieses Dilemma ist wahrlich ein Stolperstein, wohl eher eine ganze Stolper-Geröllhalde. Hier wünsche ich mir sehnlichst mutige Pionierarbeit beziehungsweise Unterstützung durch die Volksschulämter.

Ihr praktiziert eine «Draussenschule». Was genau bedeutet das?

Bei uns lernt, spielt und arbeitet jedes Kind einen Vormittag pro Woche draussen. Die «Draussenschule» ist gewissermassen die offizielle Stundenplanbezeichnung dafür. Ein kompetenzorientierter Unterricht – dazu zähle ich unter anderem authentische Lernsituationen, die Förderung der Selbstwirksamkeit, individuelle Herausforderungen, die Weiterentwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten – kann meines Erachtens gar nicht ohne Aussenraum stattfinden. Eine Schule, die zu 95 Prozent nur auf Stühlen, an Tischen und vor Arbeitsblättern oder Bildschirmen stattfindet, schiesst doch deutlich am Bildungsauftrag vorbei.

Mit der «Draussenschule» machen wir die Lebenswelt unserer Schüler:innen zum Lerngegenstand. In den letzten Monaten haben unsere Mittelstufenschüler:innen Kleinstrukturen für den Feuersalamander gebaut und begleitend dazu Informationskampagnen für die Dorfbevölkerung erarbeitet. Unsere Unterstufenschüler:innen sind nun wahre Bauernhof-Experten. Fünf Höfe haben sie besucht und in ihrer Unterschiedlichkeit kennengelernt. Die Kindergärtner haben im letzten Jahr den Dorfbach inspiziert, abgewandert und in einem grossen Modell nachgebaut.

Als Schulleiter ist es mir ein grosses Anliegen, dass der Unterricht im Aussenraum nicht von einzelnen engagierten Lehrpersonen abhängig ist. Deshalb haben wir die «Draussenschule» als Unterrichtsgefäss fest in unserer Schul- und Unterrichtsorganisation verankert, leisten uns eine Naturpädagogin, die im Teamteaching mit den Lehrpersonen unterrichtet und kooperieren mit verschiedenen ausserschulischen Akteuren in der Gemeinde (Forst, Landwirte und Dorfmuseum.)

Eure Vision lautet: Wir verstehen das individualisierte Lernen und Lehren in Mehrjahrgangsklassen als Lernen und Lehren in der Gemeinschaft. Bitte erkläre, was bei euch individualisiertes Lernen in der Praxis bedeutet und wo du weiteren Handlungsbedarf siehst.

Die Schule Zeihen lässt sich schon lange von dieser Vision leiten und tragen. Auch meine Vorgänger:innen haben sich bereits an den Ansprüchen einer individualisierenden Gemeinschaftsschule orientiert und ihre Spuren in der Schul- und Unterrichtsentwicklung hinterlassen.

Diese Ausgangslage hat mich sehr angesprochen, als ich vor drei Jahren die Schulleiterstelle in Zeihen übernahm: Eine klare Vision, die im konkreten Schul- und Unterrichtsalltag ihre Spuren hinterlässt. Ich traf auf viele Elemente, die ich bereits aus meiner AdL-Unterrichtstätigkeit kannte, die stark von Edwin Achermann und Heidi Gehrig geprägt war. Dieses AdL-Konzept wird in Zeihen aber nicht in «Reinform» umgesetzt, sondern mit verschiedenen weiteren Ideen und Einflüssen ergänzt, abgeändert und weiterentwickelt.

Der Kern einer individualisierenden Gemeinschaftsschule liegt uns aber sehr am Herzen: Individualisierung verstehen wir nicht als abgeschottete, personalisierte Lernarrangements, sondern immer im Austausch und in der Kooperation mit dem Gegenüber (von-, mit- und nebeneinander lernen). Im Schulalltag kann man dieses Anliegen an verschiedenen Stellen beobachten. Unser Unterricht startet und endet immer im Kreis. Die Fördergefässe (Lernatelier, IHP-Stunden, Draussenschule) stehen allen Kindern offen. Regelmässige Projektformate haben sich auf allen Stufen etabliert.

Im Bereich des individualisierten Lernens sind wir an der Erarbeitung und Umsetzung von stufenübergreifenden Lernarrangements. Einen gemeinsamen Matheunterricht und die Leseförderung haben wir bereits zum Leben erweckt. Weitere Kompetenzbereiche werden folgen. Mit diesen stufenübergreifenden Lernumgebungen möchten wir die Kinder konsequent an jene Lernaktivitäten und Materialien heranführen, die ihrem Lern- und Entwicklungsstand entsprechen. Eine vorbereitete Lernumgebung – wie dies bei euch an der Grundacher-Schule anzutreffen ist – dürfte gewissermassen das Fernziel unserer Bemühungen sein.

Was sind aus deiner Sicht die Vorteile von Mehrjahrgangsklassen?

In Zeihen wäre eine Schule ohne Mehrjahrgangsklassen gar nicht vorstellbar – das kommt uns natürlich sehr entgegen. Für mich gibt es aber grundsätzlich keinen Unterschied zwischen einer Jahrgangs- und einer Mehrjahrgangsklasse.

In beiden Systemen herrscht eine grosse Heterogenität vor, die als Ausgangspunkt für das Lernen akzeptiert und genutzt werden muss. Sieht man in einer Jahrgangsklasse eine homogene Gruppe, würde man sich die Augen vor der Realität gehörig verschliessen.

Welches sind deine wichtigsten Themen als Schulleiter, welche die Schule Zeihen vermutlich prägen werden?

Für mich muss sich zwingend das Bild von der Lehrperson als Einzelkämpfer:in hin zur/zum Teamplayer:in wandeln. Nur so können wir stufenübergreifende Lernumgebungen und wirksame Lernbegleitungen schaffen. Verfolgt man diesen Weg konsequent, werden sich Räume, Materialien und Begegnungszonen in der Schule grundlegend verändern. Ich bin fest davon überzeugt, dass eine zukunftsgerichtete Schule sich in erster Linie nicht mehr als «der» Ort der Vermittlung versteht, sondern als ein Ort, wo die jungen Menschen entsprechend ihrer Potenziale und Talente wachsen können.

Lesen, schreiben, rechnen – die Entwicklung dieser Grundkompetenzen werden sicherlich auch in Zukunft zentrale Themen für die (Primar-)Schulen darstellen. Auf welchen Lernpfaden, mit welchen Hilfsmitteln und in welchem Tempo diese Grundkompetenzen angeeignet werden – dafür müssen Schulen flexibler werden. Lernen, wie man lernt – das gilt es zu fokussieren!

Zur Person

Daniel Jeseneg

Daniel Jeseneg ist seit drei Jahren Schulleiter an der Schule Zeihen. Vorher war er als Klassenlehrer an den Schulen Wittnau, Laufenburg und Schleitheim tätig. Ursprünglich absolvierte er eine Berufslehre als Hochbauzeichner und liess sich an der Hochschule Luzern – Design & Kunst zum Filmschaffenden ausbilden.

Zum Autor

Victor Stadler

Victor Steiner ist Co-Schulleiter der Grundacher Schule in Sarnen. Er ist Mitbegründer der privaten Tagesschule und war massgeblich am Ausbau bis zur 9. Klasse beteiligt. Vorher war er Klassenlehrer auf allen Stufen der Volkschule. Neben seiner Leitungs- und Begleitfunktion im Schulalltag gibt er auch Weiterbildungen in den Bereichen Altersdurchmischtes Lernen (AdL), personalisiertes Lernen und Arbeit mit Kompetenzrastern.

Redaktion: Melina Maerten

Titelbild: zVg

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