Eine gemeinsame Beurteilungskultur an Schulen nach dem Lehrplan 21 setzt voraus, dass Beurteilen im Dienst des Lernens steht. Dies setzt voraus, dass es im Unterricht Lerngelegenheiten gibt, die Kompetenzen sichtbar machen. Talentportfolios werden diesem Anspruch gerecht und ermöglichen es, dass Schüler:innen zum Staunen über ihre eigenen Fähigkeiten angeregt werden. Christine Eckhardt über das Potenzial von Talentportfolios.
Ein Portfolio ist «eine Sammlung von Originaldokumenten und Leistungsbelegen, die Schüler:innen selbst erstellen und die Wesentliches über ihre Lernprozesse und -ergebnisse aussagt. Meist gehört dazu eine reflektierte Auswahl durch die Lernenden selbst, die dadurch an der Evaluation ihrer eigenen Lernprozesse stärker beteiligt werden.» (Keller u. König 2017, 11)
An dieser allgemeinen Definition von Portfolios lässt sich erkennen, dass es nicht das eine Portfolio gibt. Neben Themen- / Lernentwicklungs- oder Sprachenportfolio ist das Talentportfolio in der Literatur und auch in Schulen weit verbreitet. In Talentportfolios, in der Sekundarstufe auch als Berufswahl-,Bewerbungs-Portfolio oder Kompetenzportfolio bekannt, dokumentieren Lernende anhand von Nachweisen und Reflexionen ihre Stärken, Begabungen und Fähigkeiten.
Warum Talentportfolios einsetzen?
Talentportfolios werden, wie alle Typen von Portfolios, dem Lernverständnis des Lehrplans 21 sowie der formativen Beurteilung gerecht. Explizit werden Portfolios in der Handreichung des Volkschulamtes des Kantons Zürich (VSA) – neben Lernkontrollen, Beobachtungen, Produkten und Gesprächen – als Möglichkeit der kompetenzorientierten Beurteilung genannt. Mit Talentportfolios lassen sich beispielsweise fachliche Kompetenzen in Deutsch und Bildnerischem Gestalten beziehungsweise bei digitaler Ausführung in Medien und Informatik sowie eine Vielzahl überfachlicher Kompetenzen, unter anderem Selbstreflexion, Dialog- und Kooperationsfähigkeit, der Umgang mit Vielfalt sowie Sprachfähigkeit, der Lernenden sichtbar machen.
Talentportfolios stärken die Kinder und Jugendlichen in ihrem dynamischen Selbstbild und helfen ihnen, eine realistische Vorstellung über ihre eigenen Fähigkeiten zu gewinnen. Von Stolz erfüllte und leuchtende Kinderaugen, wenn eine Urkunde vom Podestplatz beim Sportturnier in der Klasse vorgestellt und anschliessend im Talentportfolio abgelegt wurde, kommen mir aus meiner eigenen Lehrtätigkeit in der Primarschule hierzu in den Sinn. In der Sekundarstufe kann dieses Potenzial von Talentportfolios – sich seiner persönlichen Fähigkeiten und Begabungen bewusst zu sein – hervorragend für die Berufswahl beispielsweise, zur Gegenüberstellung der Anforderungen eines Berufes im Vergleich zu den eigenen Stärken genutzt werden.
Ein weiterer Vorteil dieser lustvollen persönlichen Identitätsbildung ist, dass der Heterogenität der Schülerschaft angemessen begegnet sowie Vielfalt und Verschiedenheit positiv besetzt werden können. Alle leistungsstarke sowie leistungsschwache Schüler:innen werden in ihrer eigenen Leistungsfähigkeit durch die gesammelten Nachweise und die Anerkennung der Klasse wertgeschätzt.
Warum es Talentportfolios als Teil einer gemeinsamen Beurteilungskultur braucht
Talentportfolios können sowohl zeitlich begrenzt als auch über eine längere Zeit – gesamte Primar- oder Sekundarschulzeit – kontinuierlich eingesetzt werden. Diese Variante hat den Vorteil, dass sie die Lerngeschichte, die Verbindung von Stärken aber auch daraus abgeleiteten Lernetappen der Schüler:innen über die Schuljahre hinweg dokumentiert. Sehr gerne erinnere ich mich an Abschlüsse der Primarschulzeit, bei denen die Kinder mit Staunen über ihre eigene Entwicklung ihr Talentportfolio durchgeblättert haben. Um dieses «Aha»-Erlebnis, «der kleine, gesunde Stolz», wie (Thomann, 2017, 125) es bezeichnet, den Lernenden zu ermöglichen, braucht es eine Verankerung des Talentportfolios in einer gemeinsamen Beurteilungspraxis im Schulhaus.
INFOBOX Die Auseinandersetzung mit Portfolios im Rahmen der Beurteilung wird neben anderen Elementen einer lernförderlichen und vielseitigen kompetenzorientierten Beurteilungspraxis in der neu konzipierten Weiterbildung Tangram oder Tangram light angeboten. Lernen Sie die Leitung des Kurses sowie die einzelnen Kursthemen bei den Informationsveranstaltungen am Montag, 9. Mai 2022 oder Donnerstag, 9. Juni 2022 kennen.
Zur Autorin
Christine Eckhardt, Primar- und Sekundarlehrperson, ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der PH Zürich in der Aus- und Weiterbildung sowie Forschung tätig. Sie leitet unter anderem das Weiterbildungsangebot «Tangram / Tangram light – Fundiert, vielseitig und kompetenzorientiert beurteilen».
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: Christliche Schule Hochrhein, 2020
Literaturquellen:
Vgl. Winter 2018, 176
Thomann 2017, 125
Eisenbart et al 2010, 103 – 119
Thomann 2017, 125; Winter 2018, 176
Thomann 2017, 130f
Lötscher et al 2021, 66
Winter 2018, 176
Bildungsdirektion Kanton Zürich, o.J., 6
Danke für den tollen Beitrag, Christine!
Ich halte Portfolios als ein sehr wichtiges und wertvolles Instrument für den Schulalltag. In unserem Buch ‘Leadership for Learning: Gemeinsam Schule lernwirksam gestalten’, welches im Herbst 2022 erscheinen wird, berichtet Angelika Knies, die ehemalige Schulleiterin der Anne Frank Schule in Bargteheide, wie sie als Schulleiterin das Portfolio an ihrer Schule eingeführt hat und dies ein wichtiges pädagogisches Instrument für die Schule wurde.
Herzliche Grüsse Niels