Tagesschulen und schulergänzende Betreuungsstrukturen werden stetig ausgebaut. Dadurch möchte man dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung tragen und einen massgeblichen pädagogischen Mehrwert erzielen. Aber entsprechen die Angebote auch den kindlichen Bedürfnissen? Unter welchen Umständen wird der Hort von den Kindern als echte Bereicherung wahrgenommen? Und wann wird er eher als «Aufbewahrungsort für Lernende» empfunden? Diesen Fragen ging Franziska Wyss, Primarlehrerin und ehemalige Absolventin MAS Bildungsinnovation, in ihrer MAS-Arbeit auf den Grund.
Die Volksschule Kriens (LU) arbeitet seit einigen Jahren intensiv daran, Unterricht und Betreuung stärker miteinander zu vernetzen. In der Gemeinde werden schulergänzende Tagesstrukturen an sieben Standorten angeboten. Um die Horte auch künftig zielgerichtet weiterentwickeln zu können, nahm sich meine MAS-Arbeit der Frage an, inwiefern die schulergänzenden Tagesstrukturen in Kriens den Bedürfnissen der Kinder entsprechen.
Kinder wollen mitreden
In meiner Arbeit untersuchte ich dabei gezielt die Perspektive der Kinder. Im Rahmen zweier Gruppenwerkstätten erhielten insgesamt zwölf Kinder die Gelegenheit, ihre Sichtweise auf den Hort wiederzugeben. Bei der Gruppenwerkstatt handelt es sich um eine erweiterte Form der Gruppendiskussion, deren Ablauf an Bremer (2004) angelehnt wurde. Während der Datenerhebung zeigte sich eindrücklich, wie gerne sich Kinder an Diskussionen beteiligen und wie sehr sie es schätzen, um ihre Meinung gefragt und angehört zu werden.
Die Diskussion mit den Kindern wurde durch Impulse angeregt, welche sich stark an den kindlichen Bedürfnissen orientierten. Die Bedürfnisdefinition richtete sich dabei nach der Literatur von Brazelton & Greenspan (2002) und Largo (2019) aus. Die Aufzeichnung und Transkription der beiden Gruppenwerkstätte ermöglichte eine systematische Auswertung mithilfe eines Kodierleitfadens. Aus der zusammen-fassenden Inhaltsanalyse liessen sich aufschlussreiche Ergebnisse ableiten.
Kinder brauchen starke Beziehungen
Die Auswertung der Ergebnisse lässt den Schluss zu, dass es den schulergänzenden Tagesstrukturen in Kriens über weite Strecken gelingt, den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden. Viele besuchen den Hort gerne und erzählen begeistert von den Betreuer:innen und ihren Spielgefährten. Indes zeichnete sich in den Bereichen Mitbestimmung & Partizipation und in der Bereitstellung von Ruhe- und Erholungsräumen noch Entwicklungspotenzial ab. Die Kinder waren sich einig, dass es im Hort kaum gelingt, sich zurückzuziehen und zu erholen, wofür sie auch das geringe Platzangebot und den hohen Geräuschpegel verantwortlich machten.
Die Ergebnisse legen zudem nahe, sich vermehrt den Bedürfnissen älterer Kinder anzunehmen. Insbesondere ab circa zehn Jährige fühlen sich von den vorhandenen Spielangeboten nicht ausreichend abgeholt und geben an, dass der Hort allgemein eher auf jüngere Kinder ausgerichtet sei.
Die Datenerhebung brachte zudem hervor, wie wichtig es für die Kinder ist, zu den Betreuer:innen und zu anderen Kindern tragfähige Beziehungen aufzubauen. Sie erzählten rührend von ihren «Lieblingserziehern:innen» und bedauern sehr, wenn es innerhalb des Personals zu häufigen Wechseln kommt.
Kinder gehören ins Zentrum des Interesses
Die Ergebnisse der MAS-Arbeit wurden an der Schulleitungskonferenz in Kriens präsentiert und gaben Anlass zu spannenden Diskussionen.
Die schulergänzenden Tagesstrukturen werden auch künftig landesweit ausgebaut. Allzu oft wird die Debatte darum jedoch von wirtschaftlichen Argumenten dominiert oder fokussiert bestenfalls die Bedürfnisse der Eltern. Wie die Auswertung der Gruppenwerkstätte zeigt, sollten wir immer wieder die Meinung der Kinder und deren konkrete Bedürfnisse ins Zentrum des Interesses rücken. Wenn wir vermehrt mit statt nur über die Kinder sprechen, so gelingt es uns besser, Tagesstrukturen zu schaffen, welche für alle Beteiligten einen echten Mehrwert darstellen.
INFOBOX Im Rahmen des Hochschultages Ende Oktober 2021 wurde Franziska Wyss mit dem Studienpreis der Stiftung Pestalozzianum geehrt.
Zur Autorin
Franziska Wyss arbeitet als Primarlehrerin und setzt sich leidenschaftlich gerne mit pädagogischen, psychologischen und bildungspolitischen Themen auseinander. Dieses Interesse trieb die Luzernerin an, den MAS Bildungsinnovation an der PH Zürich zu absolvieren.
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: zVg
Quellen:
Brazelton, Thomas Berry und Stanley Greenspan. 2002. Die sieben Grundbedürfnisse von Kindern: Was jedes Kind braucht, um gesund aufzuwachsen, gut zu lernen und glücklich zu sein. Weinheim und Basel: Beltz.
Bremer Helmut. 2004. «Von der Gruppendiskussion zur Gruppenwerkstatt.» In Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel, hrsg. v. Michael Vester, Heiko Geiling u. Andrea Lange-Vester, 134-175. Münster: LIT Verlag
Largo, Remo. 2019. Kinderjahre: Die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung. München: Piper.