Martina Arpagaus übt sich seit dem Sommer darin, professionell Schulleitung zu betreiben und stösst dabei immer mal wieder an ihre oder andere Grenzen. Die Grenze zwischen privat – und Berufsleben ebenso wie die finanziellen und personellen Grenzen der Schulbudgets beschäftigten sie aktuell.
Ich geniesse frühmorgens unter der Dusche das warme Wasser und blitzartig ist dieser Junge da. Er dominiert meine Gedanken und treibt sie vor sich hin. «Hey! Du hast bei mir in meiner Dusche nichts verloren! Geh weg!», denke ich – sage es sogar – und vertreibe so die Gedanken an ihn mit Entschiedenheit und etwas Groll. So was nennt man dann wohl Abgrenzung.
Urplötzlich ist er erschienen: Der herzige, blonde Bub aus der Unterstufe, der uns mit seinem Verhalten massive Sorgen bereitet. Die Lehrpersonen kommen mit ihm an ihre Grenzen, ebenso das Betreuungsteam. Der Schulpsychologische Dienst ist eingeschaltet, die Schulsozialarbeiterin und ich als Schulleiterin sowieso. Es geht darum, wie seine persönliche und schulische Entwicklung unterstützt werden kann, welche Ressourcen wir haben und wie wir unser Personal entlasten können.
Distanz üben und doch voll Engagement anpacken
Ich habe die sogenannten Schüler:innenfälle unter meiner Obhut. Dazu gehören selbstredend auch immer die Eltern, die bekanntlich untrennbar mit ihren Kindern zusammenhängen und die nicht selten Teil des Problems, aber auch immer der Lösung sind. Es geht um Dispensationen für Kinder, deren Eltern aus fernen Ländern für Familienfeste oder religiöse Rituale ihre Ferien verlängert haben wollen. Da muss ich mit Verstand, Herz und Augenmass abwägen: Schulpflicht gegenüber Tradition und Herkunft.
Viel häufiger geht es um Kinder, die in unserem Schulsystem Probleme haben. Um Kinder, die anders funktionieren und lernen als der Durchschnitt. Denen wollen und müssen wir in unserer Regelschule trotzdem einen Platz und Lernort bieten. Bei diesen Integrationsanstrengungen stossen wir mit erschreckender Regelmässigkeit immer wieder an unsere Grenzen. Oft sind es auch solche personeller und damit finanzieller Art.
Über das Feilschen auf dem Basar der Ressourcen
Haben wir erst mal eine Diagnose und die Bedürfnisse des Kindes und parallel dazu jene unserer Lehrpersonen geklärt, geht das Feilschen um Ressourcen los. Es gibt verschiedene Geldtöpfe – darunter zum Beispiel jenen für sogenannte Härtefälle. Logisch, dass jede Schulleitung der Ansicht ist, dass ihr Fall Anspruch auf diesen Topf hätte und dass die Behörde darauf bedacht ist, die Finanzen zielführend und fair zu verteilen.
Ich finde mich ergo in Sitzungen oder Telefonaten wieder, in denen ich versuche, Behörden und Fachleute von der Dringlichkeit und der Notwendigkeit meines Falles zu überzeugen – im Wissen darum, dass es in jeder Schule solche Kinder hat und auch sie mehr Unterstützung bräuchten. Gelegentlich komme ich mir vor wie auf einem Basar. Manchmal habe ich gut gemarktet und bringe Ressourcen heim, manchmal lag viel weniger drin, als ich gehofft hatte. Auch hier macht wohl Übung die Meisterin. (Privat übrigens kann ich spektakulär schlecht markten…).
Übrigens, das Unterstufenkind unter meiner Dusche profitiert gegenwärtig von unserem Verhandlungsgeschick: Wir können ihm sehr viel 1:1-Betreuung durch eine Klassenassistenz bieten. Schon bald allerdings müssen wir das überprüfen, denn die Ressourcen sind nicht endlos. Womit wir wieder beim Thema Grenzen angekommen wären. Immerhin ist der Bub bisher nicht mehr in meiner Dusche aufgetaucht.
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Zur Autorin
Martina Arpagaus ist 47 Jahre alt. Nach ihrer Ausbildung als Kindergärtnerin arbeitete sie zwei Jahrzehnte als Radiojournalistin. Dann unterrichtete sie Deutsch als Zweitsprache und seit dem Sommer 2021 arbeitet sie als Schulleitung 2 in einer Zürcher Primarschule.»
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: adobe stock
Danke für diese tollen und bereichernde Einblicke in deinen Schulleitungsalltag!
Dieser Bericht spiegelt für mich eine grosse Reichweite an Menschlichkeit, Wissen und grosser Kompetenz wieder.
Ein großes Geschenk für diese Schule, eine solche Schulleiterin zu haben.