In der Rubrik «5 Fragen an…» interviewt Schulleiterin Evamaria Brigitta Kaiser die Schulentwicklerin Rahel Tschopp zu ihrer Tätigkeit und reicht damit den Stafetten-Stab weiter:
Rahel Tschopp, was bewog Sie dazu, Schulentwicklerin zu werden?
Ursprünglich bin ich Heilpädagogin; parallel dazu setze ich mich seit vielen Jahren mit digitalen Medien auseinander. Diese Kombination liess mich immer wieder fragen: Worum geht es eigentlich? Als Zentrumsleiterin Medienbildung und Informatik wurde mir das thematische Wirkungsfeld mit der Zeit zu eng: In der Kultur der Digitalität geht es um Haltungen und Werte, um einen ganzheitlichen Blick und um Grundsatzfragen.
Als selbstständig wirkende Person kann (und muss) ich selbst entscheiden, welche Schwerpunkte ich setze. Und dies empfinde ich als Luxus. Der Lernraum Wald ist mir genauso wichtig wie der digitale Lernraum.
Wie können Sie diesen Beweggründen nachkommen?
Ich bin in der glücklichen Lage, dass meine Angebote gut abgeholt werden. Ich muss mich fachlich nicht verbiegen, um dem Markt gerecht zu werden, sondern darf aus dem Vollen schöpfen. Dass dies auch finanziell aufgeht, ist keine Selbstverständlichkeit.
Ich darf Schulen und Kantone auf dem Weg in die Kultur der Digitalität begleiten. Diese ist etwas ganz anderes als eine digitale Schule. Die Vorstellung, dass alle Kinder einer Klasse regelmässig und gleichzeitig am Computer sitzen sowie die dieselbe Übung absolvieren, gibt mir Gänsehaut. Das ist ein Rückschritt.
Was wünschen Sie der Volksschule?
Viel Mut und starke Persönlichkeiten, die erkennen, dass die alte Grammatik der Schule neu geschrieben werden muss. Mein persönlicher Wunsch ist, dass das Schweizer Fernsehen in positiver Form über öffentliche Schulen berichtet, die selbstbewusst und mit grosser Sorgfalt neue Wege beschreiten. Denn diese Schulen gibt es bereits. Statt «Mini Hütte, dini Hütte» hiesse diese Serie dann «Mini Schuel, dini Schuel.» Wir brauchen das Bewusstsein der Öffentlichkeit, dass sich mit der Gesellschaft auch die Schule ändern muss.
Wie ändert sich Ihrer Meinung nach das Schulwesen in den kommenden 10 Jahren?
Die alte Grammatik der Schule muss aufgebrochen werden. Wir müssen uns überlegen, wie die Schule unter den Bedingungen der Kultur der Digitalität sein müsste. Die Technologien entwickeln sich in horrendem Tempo: Wie gehen wir damit um, wenn adaptive Lernsysteme so stark sind, dass sich die Kinder und Jugendlichen viele Kompetenzen selbstständig erarbeiten können? Wo liegt in Zukunft die Legitimation der physischen Schule? Und welche Kompetenzen werden unsere Kinder künftig brauchen, um unsere grossen Probleme auf diesem Planeten lösen zu können?
Wir müssen uns würdevoll vom alten Schulsystem verabschieden, das in die Jahre gekommen ist. Und wir müssen neue Konzepte ins Leben rufen. In der Volksschule wie auch in der Ausbildung der Lehrpersonen.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach der «digital divide» in der Schule der Zukunft?
Für mich ist es klar, dass wir uns dieser neuen Kultur stellen müssen, auch als Schule. Sich der neuen Realität zu verweigern, das geht nicht, denn so ist irgendwann auch die Volksschule nicht mehr überlebensfähig. Die Rahmenbedingungen des Schulsystems zu belassen und «nur» zu digitalisieren, das frisst enorm viel Ressourcen und Geld. Wir müssen lernen, mutig zu sein und heilige, traditionelle Kühe zu opfern.
INFOBOX Evamaria Brigitta Kaiser wurde von Schulleiter Stefan Ruppaner in unserer Rubrik "5 Fragen an" auch interviewt. Die Fragen und Antworten erfahren Sie im letzten Beitrag.
Zur Person
Rahel Tschopp ist Primarlehrerin, schulische Heilpädagogin sowie Schulleiterin. In Hamburg studierte sie Change-Management (M. A.). Sie arbeitete während vielen Jahren an der Pädagogischen Hochschule Zürich in der Weiterbildung von Lehrpersonen, zuletzt als Leiterin des Zentrums Medienbildung und Informatik. 2021 hat sie sich mit ihrer Denkreise GmbH selbstständig gemacht.
Zur Autorin
Evamaria Brigitta Kaiser Lehrerin, Medienpädagogin und Schulleiterin im Kindergarten und der Primarschule Davos Platz. In unterschiedlichen Funktionen und Schulentwicklungsgremien weltweit durfte sie bedeutsame Erfahrungen sammeln, die ihr ein klares Bild einer Schule der Zukunft mit Leitbild und Haltung vermittelt haben.
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: zVg