Die Erfahrungen, die man mit dem Einstieg als Schulleiter:in macht, vergisst man wohl nie. Martina Arpagaus, hat den Schritt zur Schulleiterin gewagt und leitet seit dem Sommer 2021 eine Zürcher Primarschule. Im zweiten Beitrag teilt sie mit uns Erfahrungen, mit denen sie als Schulleiterin nicht gerechnet hätte, aber alles daransetzte, die herausfordernden Fälle zu managen.
Mein Schulleitungsbüro ist auch Labor, Zirkusdirektion, Notfallstation und Detektivbüro in einem. So aufregend habe ich mir meinen Job definitiv nicht vorgestellt. Auf folgende Spezialfälle und Situationen war ich nicht vorbereitet.
Herzrasen im «Detektivbüro»
Das Telefon im Schulleitungsbüro klingelt. «Ein Erstklässler fehlt!», meldet eine Lehrperson. Wir rufen im Hort an und stellen fest: Auch da fehlt von ihm jede Spur. Das Herz rast, im Büro herrscht hektisches Treiben, die Drähte laufen heiss. Wir versuchen detektivisch innert Kürze herauszufinden, wo das Kind zuletzt gesichtet wurde.
Ein Kind ist verschwunden. Das Schlimmste, was uns passieren konnte.
Rituelles Bibbern im «Labor»
Als hätten wir nicht schon genug Umtrieb: Jeden Dienstag verwandelt sich unser Büro in ein Covid-Labor. Dann stellen wir für die Reihentests Pools zusammen und Kisten mit Spuckröhrchen und Salzlösungen, Handschuhen, Kehrichtsäcken und Listen bereit. Danach wird die gemischte Spucke eingesammelt, die Teilnehmerliste bereinigt und eingegeben sowie der Kurier bestellt.
Sobald der hier war, beginnt das Warten; das kollektive Bibbern und Bangen im Schulleitungsbüro. Die Auswertung der Spucke entscheidet nun, ob wir ausserordentliche Massnahmen ergreifen müssen oder ob die Schule normal weiterfunktionieren kann.
Notfalleinsätze in der «Zirkusdirektion»
Und weil der Job sonst wirklich zu wenig aufregend wäre, haben wir nun auch noch eine Zirkus-Projektwoche, in welcher die Kinder von Kindergarten bis 6. Klasse gemischt in Ateliers arbeiten. Neuer Ort, neue Lehrperson, neue Gruppe – vor allem für die Kleinen eine ziemliche Herausforderung. Und auch da kommt die Schulleitung ins Spiel.
Als Notfallbüro: Wenn ein Kind nicht auftaucht, sich verletzt oder anderes Ungeplantes geschieht, ist die schnelle Eingreiftruppe unseres Büros gefragt. Denn wir können immer alles und sofort, weil wir uns ja meist um Dinge kümmern, die warten können; Personalrekrutierung, Mitarbeitendengespräche (MAGs), Finanzierungsanträge und Dispensationsgesuche.
Fluch und Segen der offenen Tür
Es gibt Tage, da habe ich meinen Pendenzenberg um keine einzige abgebaut. Täglich kommt unglaublich viel neue Arbeit ins Schulleitungsbüro; sicher auch, weil unsere Türe immer offensteht. Da gibt es selten eine Viertelstunde, in der nicht eine LP, ein Hauswart oder ein Kurier im Türrahmen erscheint. Die offene Tür – da bin ich ganz offen – nervt mich manchmal im Alltag ganz gewaltig. Trotzdem finde ich gut und richtig, dass sie offensteht – beispielhaft für unsere Haltung: Wir sind da für euch, hören euch zu und unterstützen euch, wo wir können. Dass dies nicht immer sofort möglich ist, muss ich noch lernen. Manchmal lösen sich die Probleme von selbst.
«Detektivbüro» 2: Mission completed
Mein Job ist noch viel vielfältiger und aufregender, als ich ihn mir ausgemalt habe. Übrigens: Wir haben das Kind nach 22 Minuten gefunden. Durch ein Telefonat mit einer Nachbarin, die zu Hause war. Sie hat den Jungen im Innenhof auf der Schaukel entdeckt. Seinen Schulthek hatte er vor der Haustür deponiert und dann zu spielen begonnen- und dabei Mittagessen und Schule schlicht vergessen.
INFOBOX Lesen Sie auch den ersten Beitrag von Martina Arpagaus zur Anfangszeit als Schulleiterin: Vom Schulzimmer ins Schulleitungsbüro.
Zur Autorin
Martina Arpagaus ist 47 Jahre alt. Nach ihrer Ausbildung als Kindergärtnerin arbeitete sie zwei Jahrzehnte als Radiojournalistin. Dann unterrichtete sie Deutsch als Zweitsprache und seit dem Sommer 2021 arbeitet sie als Schulleitung 2 in einer Zürcher Primarschule.»
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: zVg