Spielerisches Lernen

Spielen als «Game Changer» in der Schulentwicklung

Das Spiel ist die zentrale Lernform bei 4- bis 8-Jährigen*. Wenn Kinder spielen, lernen sie gleichzeitig – durch das Erleben mit allen Sinnen, ganz beiläufig. Das bewusste Lernen setzt erst nach und nach ein. Diese Erkenntnis aus der Forschung spiegelt sich im Lehrplan 21 wider und bewirkt einen pädagogisch-didaktischen Paradigmenwechsel. Die Folge sind Veränderungsprozesse im Kindergarten, in der Schule und der schulergänzenden Betreuung – und entsprechend auch in der Schulentwicklung.

*Kinder im Alter von 4 bis 8 Jahren entsprechen der Altersgruppe im 1. Zyklus (Schweizer Bildungssystem: Kindergarten bis 2. Klasse). Der 1. Zyklus wird im Folgenden auch Elementarbildung genannt.

Damit das Spiel als Lernform bei 4- bis 8-jährigen Kindern institutionell verankert werden kann, benötigt es neben einem inhaltlichen auch einen strukturellen Prozess im Kontext einer Schulentwicklung (Lieger, Ganz, 2021, S. 145). Dieser kann aus einem internen Bedürfnis heraus entstehen oder extern initiiert sein. Im ersten Fall zum Beispiel durch Heterogenität in den Klassen, Verbesserung der Übergänge, Anpassung der Spiel- und Lernumgebung. Im zweiten Fall zum Beispiel durch Integration von Kindern mit besonderen Bedürfnissen, Lehrplan, Förderung der fachlichen und überfachlichen Kompetenzen in Spielprozessen.

Schulentwicklungsprozesse zielen auf die Verbesserung der Qualität in einer Bildungsinstitution und der Passung ab. Es kommt zu einem Wandel in den Bereichen der Organisations-, Personal- und Unterrichtsentwicklung («Drei-Wege-Modell der Schulentwicklung» von Hans-Günter Rolff (2012)).

1. Organisationsentwicklung

Bei der Organisationsentwicklung geht es um institutionelle und organisatorische Faktoren. Innerhalb der Institution in Bezug auf den Unterricht und bei der Gestaltung der Lernumgebungen wird ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Verantwortung beim spielerischen Lernen von Kindern entwickelt. («Shared accountability», McBeath, Dempster, 2009).

Dabei spielen partizipative Ansätze eine wesentliche Rolle: Einbindung des Teams in den Entwicklungsprozess, Einbindung der Perspektive des Kindes (Klassenräte, Schülerparlament). Eine vermehrte Zusammenarbeit stellt die Basis für die Arbeit der Pädagoginnen und Pädagogen dar. Es kommt zur wechselseitigen, materiell, fachlich-didaktischen Nutzung von Ressourcen, Expertinnen und Experten-Wissen, Unterlagen, Ideen sowie Umsetzungen werden gegenseitig ausgetauscht.

Der lancierte Schulentwicklungsprozess wird durch Weiterbildungsmassnahmen, die Bereitstellung von ausreichenden Zeitgefässen und die Dokumentation von Erfahrungen zu Spielprozessen positiv unterstützt. Dazu gehört eine externe Prozessbegleitung sowie eine interne, aber auch gegenüber Behörden, Eltern und der Öffentlichkeit transparente und regelmässige Kommunikation.

Der Schulleitung kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Sie stellt die Kontinuität im Prozess sicher und übernimmt durch gezielte Interventionen die Qualitätssicherung.

2. Personalentwicklung

In Bezug auf die Personalentwicklung innerhalb des Schulentwicklungsprozesses bedeutet dies, dass die einzelnen (Fach)-Lehrpersonen, die Therapeutinnen und Therapeuten und die Fachpersonen in der Betreuung gefördert werden. Dies hinsichtlich ihres individuellen Beitrags zur Qualität der Umsetzung vom spielerischen Lernen und der organisationalen Entwicklung der Schule. Dadurch wird jeder Einzelne befähigt, aber auch multiprofessionelle Teams.

Die fachliche Weiterentwicklung und Professionalisierung im Bereich Spiel wird durch den kontinuierlichen Austausch im Team, in den Stufen und Fachgruppen sowie den entsprechenden Weiterbildungen und allfälligen Fachberatungen unterstützt und verankert. Das Schulteam entwickelt eine gemeinsame Haltung gegenüber dem Spiel als Lernform (Spielverständnis) – nicht «nur» im Kindergarten, sondern über den ganzen Zyklus 1 hinweg. Bei der Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden sind Spielkompetenz (Spieldidaktik) und das Wissen um die Bedeutung des spielerischen Lernens für Kinder im Alter von 4 bis 8 Jahren ein Kriterium.

3. Unterrichtsentwicklung

«Als Unterrichtsentwicklung [versteht man] alle systemischen und gemeinsamen Anstrengungen der am Unterricht Beteiligten, die zur Weiterentwicklung des Lernens und Lehrens der schulinternen Bedingungen beitragen» (Bastian, 2007, S. 29). In der Unterrichtsentwicklung spielen die Pädagoginnen und Pädagogen dementsprechend eine zentrale Rolle. Gezielte Aus- und Weiterbildungsangebote zu Spiel als Lernform unterstützt sie bei der Aneignung betreffend didaktischer Fähigkeiten und der Erweiterung ihres pädagogisch-didaktischen Repertoires. Spielerisches Lernen wird zu einem wichtigen Qualitätsmerkmal von gutem Unterricht. Und das Kind steht ganz im Zentrum seines Lernens.

Elementarbildung (Zyklus 1) als Einheit

Das Schuljahr definiert, wann welches Kind in Bildungsinstitution respektive die schulergänzende Betreuung eintritt und wann der Übertritt in die 1. oder 2. Klasse erfolgt. Doch zu Beginn eines Schuljahres sind die Kinder in ihrer Entwicklung nicht alle am selben Ort.

Das Spiel bietet eine ideale Basis für die individuelle Förderung des Kindes in seiner Entwicklung – es ist eine binnendifferenzierte Förderung zum Beispiel der Sprache, Kreativität und Selbstständigkeit bereits ab Kindergarten möglich (Sandra Hürlimann, Interview 27.05.2020). Die Lernkultur des Spiels kann bis zum Ende der Elementarbildungszeit – und darüber hinaus – eingesetzt werden. Dadurch werden die Übergänge fliessender, ohne Bruch in der Pädagogik. Es findet eine kontinuierliche, altersadäquate Förderung und Unterstützung des Kindes statt (Lieger, Ganz, 2021, S. 159).

Mit der Umsetzung des Spiels als zentrale Lernform wird die Schulentwicklung zum „Game Changer“ für das 4- bis 8-jährige Kind und sein individuelles, entwicklungsorientiertes und altersadäquates Lernen.

Infobox

Die Pädagogische Hochschule Zürich forscht und arbeitet intensiv zum Thema Spiel. Unter anderem im Projekt „Spielen Plus“, an welchem 35 Pilotklassen im Kanton Zürich sowie Schulen aus den Kantonen Zug und Basel teilgenommen haben.

Autorin Catherine Lieger

Catherine Lieger

Catherine Lieger, Dr. phil., ist Leiterin im Schwerpunktprogramm Elementarbildung an der PH Zürich, Dozentin und Beraterin. Zudem ist sie in verschiedenen Entwicklungs- und Forschungsprojekten tätig.

Autorin Katharina Ganz

Katharina Ganz

Katharina Ganz, M.Sc., Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Ko-Leitung CAS «Spielen Plus» an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Erfahrung als Lehrperson und Abteilungsleitung Bildung. Tätigkeit in nationalen und internationalen Entwicklungs- und Forschungsprojekten. CAS ETH Development and Cooperation und CAS Führen einer Bildungsorganisation. Schwerpunkte: entwicklungs- und kompetenzorientiertes Lernen, förderliche Spiel- und Lernumgebungen.

Redaktion: Melina Maerten

Titelbild: Zentrum Elementarbildung

Literaturquellen

Bastian, Johannes. 2007. Einführung in die Unterrichtsentwicklung. Weinheim: Beltz.

Hürlimann, Sandra. 2020. Interview Schulentwicklung.

Lieger, Catherine, Ganz, Katharina. 2021. Spielen als Element gemeinsamer Schulentwicklung. In: Lieger, Catherine, Weidinger, Wiltrud. Spielen Plus. Ein Handbuch für Kindergarten, Schule und Betreuung. Bern: HEP Verlag, 2021, S.143 – 162.

Lieger, Catherine, Weidinger, Wiltrud. 2021. Spielen Plus. Ein Handbuch für Kindergarten, Schule und Betreuung. Bern: HEP Verlag.

Lieger, Catherine, Weidinger, Wiltrud, Ganz, Katharina. 2021. Spielen Plus. 48 Filme zu Spiel als zentrale Lernform.

McBeath, John und Neil Dempster. 2009. Connecting Leadership and Learning: Principles for Practice, New York: Routledge. 

Rolff, Hans Günther. 2012. Grundlagen der Schulentwicklung. In: Buhren, C. G.; Rolff, H.-G. (Hg.): Handbuch Schulentwicklung und Schulentwicklungsberatung, S. 12ff. Weinheim: Beltz. 

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