An der Pädagogischen Hochschule Zürich wird in einem grossen Reformprojekt die Schulleitungsausbildung neugestaltet, sodass diese den individuellen Bedürfnissen der einzelnen Personen, Funktionen und Aufgaben gerecht wird. Dabei liegt die Betonung auf dem ‘und’, denn die neue Ausbildung muss sowohl personalisiert sein, der Unterschiedlichkeit und der Vorbildung der einzelnen Personen gerecht werden, als auch die Anforderungen an die unterschiedlichen Funktionen und Aufgaben berücksichtigen. So steht die neue Ausbildung nicht nur Schulleiter:innen, sondern allen Führungspersonen von und in Bildungsorganisationen offen. Dabei sollen bedarfsgerecht unterschiedliche, aufeinander abgestimmte und anrechenbare Abschlüsse erzielt werden können. Niels Anderegg stellt erste Merkmale der Führungsausbildung vor.
Darüber, dass Schulen nicht hierarchisch-bürokratisch, sondern gemeinschaftlich geführt werden, besteht sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis Konsens. So spricht James Spillane davon, dass die Zeit der Supermänner und Wunderfrauen als Führungspersonen heute vorbei ist und die Wissenschaft von Modellen wie Shared oder Distributed Leadership und Konzepten wie Teacher Leadership ausgehen. Betrachtet man die Führungspraxis, dann zeigt sich sehr deutlich, dass verschiedenste Personen – Teacher Leaders, Fachleitungen, Schulleiter:innen, Behördenmitglieder oder Mitarbeitende der Schulverwaltung – in die Führung einer Schule involviert sind.
Was in der Theorie geklärt und in der Praxis gelebt wird, muss auch Auswirkungen auf die Aus- und Weiterbildung von Führungspersonen von und in Bildungsorganisationen haben. Diese soll auf die Pluralität von Führungsfunktionen und -aufgaben reagieren und sich von einer Schulleitungsausbildung hin zu einer Führungsausbildung für Bildungsorganisationen weiterentwickeln. Direkter ausgedrückt: Die Ausbildung muss agiler werden, um so der Diversität der verschiedenen, funktionalen und personalen Bedürfnisse sowie Ansprüchen gerecht zu werden.
Dies möchte die PH Zürich mit der neuen Schulleitungsausbildung berücksichtigen und umsetzen, die im Herbstsemester 2022 starten soll. Ich stelle erste Grundzüge davon vor, die ich am Beispiel des digitalen Wandels illustriere.
In Führung gehen
Ein wesentliches Element einer Führungsausbildung ist die Auseinandersetzung mit der Führungsrolle. Diese Auseinandersetzung kann nicht erst mit der Übernahme einer Schulleitungsstelle geschult werden, sondern beginnt bereits viel früher. Als Teacher Leader:in nehmen Lehrer:innen und andere Mitarbeitende Führung und Verantwortung für die Schule wahr. Hier setzt die neue Führungsausbildung an, indem sie bereits für Teacher Leaders ein Angebot macht, welches Teil der Schulleitungsausbildung ist. Diesen Herbst startet die PHZH mit den Grundlagen ‘Teacher Leadership’, welches die spezifische Führungsrolle von Lehrer:innen aufnimmt und stärkt.
Die Grundlagen ‘Teacher Leadership’ sind bewusst kein eigenständiger Lehrgang, sondern können mit verschiedenen thematischen Zugängen wie beispielsweise Digitalisierung, Schulqualität oder Begabungsförderung ergänzt werden. Teacher Leaders können so in die Führungsaufgabe an einer Schule einsteigen und sich weiterentwickeln. Durch die Modularität und Durchlässigkeit ist es möglich, sich schrittweise zur Schulleiterin oder zum Schulleiter auszubilden. Es ist aber auch möglich als Teacher Leader:in sich weiter zu professionalisieren, den für die Aufgaben relevanten Themen nachzugehen und nicht relevante Themen aussen vorzulassen.
Die Ausgestaltung der Führungsrolle ist ein stetiger Prozess, der Zeit braucht und sich zwischen der eigenen (Berufs)Erfahrung und der theoretischen Auseinandersetzung in der Reflexion bildet. Diesem Prozess wird auch in der neuen Führungsausbildung Rechnung getragen, indem die Teilnehmenden in unterschiedlichen Studien- und Lerngruppen sich immer wieder mit ihrer Rolle und Aufgabe auseinandersetzen, Neues integrieren und Gelungenes stärken. Schulleiter:in zu werden ist ein mögliches Ziel der Führungsausbildung, damit wir auch der Struktur der gemeinschaftlichen Schulführung Rechnung tragen, indem es nicht nur hierarchische, sondern auch agile Elemente von Führung gibt.
Handlungsfelder von Führung
Führungspersonen von und in Bildungsorganisationen agieren in unterschiedlichen Handlungsfeldern. Sie sind für die Personalführung und -entwicklung, für das Qualitätsmanagement, für die Schulentwicklung, die pädagogische Gestaltung, das Schulmanagement sowie die Finanzen zuständig. Sie müssen adressatengerecht kommunizieren, die Rechtsgrundlagen beachten, mit den Eltern kooperieren, den Schulhausneubau begleiten, über die neue Verwaltungssoftware befinden und noch x-tausend andere Aufgaben übernehmen oder auf andere Personen verteilen.
Die Relevanz dieser und vieler anderer Zuständigkeiten ist nach Situation, Schule und Funktion sehr unterschiedlich. Idealerweise werden die Inhalte in der Ausbildung thematisiert und bearbeitet, wenn sie auch im Berufsalltag der Teilnehmenden relevant sind. Das Trainieren von Mitarbeitendengesprächen ist -um ein Beispiel zu nehmen – dann am effektivsten, wenn man auch tatsächlich Gespräche mit Mitarbeitenden führt. Die neue Führungsausbildung versucht diese ernst zu nehmen und die verschiedenen Angebote im Bereich der Handlungsfelder zu flexibilisieren. Die Teilnehmenden sollen Module in den verschiedenen Handlungsfeldern besuchen können, wenn sie für ihre Aufgabe relevant sind. Der Kompetenzaufbau soll so individuell, schrittweise und parallel zu den Führungsaufgaben passieren.
Die Teilnehmenden bringen zudem sehr unterschiedliche Vorerfahrungen und Kompetenzen mit. Auch darauf soll die neue Führungsaufgabe rücksichtnehmen und den Teilnehmenden in der Auseinandersetzung mit den eigenen Kompetenzen die Möglichkeit geben, gewisse Handlungsfelder zu vertiefen oder sich anrechnen zu lassen.
Den digitalen Wandel gestalten
Wir leben heute in einer digitalen Gesellschaft, welche für die Schule Veränderungen und Herausforderungen bedeutet. Diese gehen weit über die Frage des Einsatzes von digitalen Geräten im Unterricht hinaus und beinhalten auch Fragen wie Chancengerechtigkeit, Partizipation, Ethik und Sicherheit. Was mit der Frage nach dem Einsatz von Computern im Unterricht begonnen hat, weitete sich zu einem zentralen Schulentwicklungsthema aus. Soll der digitale Wandel an den Schulen so gelingen, dass Schüler:innen verantwortungsvoll die entstehende Zukunft gestalten können, muss dieser in der Schulführung auf verschiedenen Ebenen verankert sein. Und da Schulen sehr unterschiedlich sind und individuelle Wege gehen, gibt es keine Patentlösung, sondern Entwicklungslinien, welche Schulen individuell gestalten können.
Am Beispiel von zwei Führungspersonen, zeige ich auf, wie die neue Führungsausbildung ausgestaltet sein und genutzt werden könnte.
Untersucht man Schulen, welche im Bereich des digitalen Wandels bereits eine hohe Qualität aufweisen, dann findet man häufig eine Schulleitung, welche eine hohe Affinität zum Thema hat. Daraus könnte geschlossen werden, dass in der Ausbildung alle Schulleiter:innen eine intensive Ausbildung im Bereich des digitalen Wandels benötigen. Dies würde jedoch zu den Wunderfrauen und Supermännern zu Beginn führen, welche neben der Digitalisierung auch in allen anderen Themen wie Tagesschulen, Inklusion, Begabungsförderung oder nachhaltige Entwicklung kompetent sind. Dies ist weder zu leisten noch sinnvoll. Leistbar und sinnvoll ist jedoch, wenn die Schulleiter:innen in ihrer Ausbildung die beiden folgenden Themen vertiefen:
Einerseits benötigen sie ein gewisses Grundwissen über die Digitalisierung und deren Transformation auf Gesellschaft und Schule. Sie müssen sich bewusst sein, welchen Einfluss die Digitalisierung hat und warum das Thema für die Schulentwicklung relevant ist. Andererseits müssen sie das Konzept der gemeinschaftlichen Schulführung verstanden haben und an der eigenen Schule umsetzen können. Ihnen muss es gelingen, ihre Führungsrolle so zu gestalten, dass die Teacher Leaders das Thema vorantreiben und im Rahmen des pädagogischen Profils der Schule und des Schulprogramms umsetzen können.
Besucht nun eine Schulleiterin die Ausbildung, so kann sie wählen, wann und wie intensiv sie sich mit dem Thema Digitalisierung auseinandersetzen will, wobei eine gewisse Grundkompetenz Voraussetzung für das Erlangen des Abschlusses ist (Handlungsfeld). Während der ganzen Ausbildungszeit wird sie sich mit der Gestaltung von Führung und ihrer eigenen Rolle immer wieder auseinandersetzen müssen (Gestaltung von Führung).
Neben der Schulleitung sind Teacher Leaders wesentliche Führungspersonen im Bereich des digitalen Wandels. Viele Schulen in der deutschsprachigen Schweiz kennen die pädagogischen ICT-Supporter:innen (PICTS). Ihre Aufgabe besteht in der pädagogischen Unterstützung der Lehrer:innen. Als Vorbereitung auf diese Aufgabe besuchen sie den CAS Pädagogischer ICT Support und werden dort in die verschiedenen Aufgabenfelder eingeführt. Nach den ersten Erfahrungen als PICTS entstehen allenfalls neue Fragen und Bedürfnisse. Vielleicht will sich ein:e Suporter:in im Bereich der Schulentwicklung weiterentwickeln und besucht das Modul ‘Schule entwickeln’. Oder sie benötigt vertieftes Wissen bezogen auf Fragen der Pädagogischen Schulführung und besucht den Lehrgang oder einzelne Module daraus.
Schrittweise entwickelt sich daduch die Supporter:innen weiter und haben in Zukunft vielleicht die Möglichkeit sich auf der Stufe eines DAS- oder sogar MAS-Studienganges als Führungsperson im Bereich ICT abzuschliessen. Möchten sie später einmal Schulleiter:in werden, dann können sie die noch fehlenden Kompetenzen – beispielsweise im Bereich Personalführung – sich über verschiedene Module und Lehrgangselemente aneignen und als Schulleiter:in abschliessen. Die Flexibilität der Ausbildung soll dazu führen, dass die verschiedenen Führungspersonen ihren individuellen Fragestellungen und Anforderungen nachgehen können und gewissermassen in einem Baukastensystem sich ihre Ausbildung zusammensetzen.
Investition in die Zukunft
Als Führungsperson wird man nicht geboren, sondern entwickelt sich schrittweise. Zu einer guten Schulführung gehört auch dazu, dass immer wieder Ausschau gehalten wird, wo Lehrer:innen und andere Mitarbeitenden sich für eine Führungsaufgabe eignen würden. Diese gezielt zu fördern, stärkt die Schulführung und die Qualität der Schule. Auch dazu soll die neue Führungsausbildung ihren Beitrag leisten.
INFOBOX Die neugestaltete Führungsausbildung soll im Herbstsemester 2022 starten. Momentan wird die Studiengangsarchitektur für die Schulleitungsausbildung entwickelt. Diese ist auf der Ebene eines MAS-Studienganges konzipiert, wobei bei einem Zwischenschritt auf der Ebene DAS die Anerkennung als Schulleiter:in erreicht wird. Erste Elemente der neuen Ausbildung – die Grundlagen ‘Teacher Leadership’ und der CAS Quereinstieg Schulleitung – sind bereits fertig entwickelt und ausgeschrieben. Sie bilden den neuen Zugang zur Schulleitungsausbildung und können bereits diesen Herbst absolviert werden. Weitere Profile und Schwerpunkte innerhalb der Führungsausbildung sollen nachfolgend dazu entwickelt werden.
Zum Autor
Niels Anderegg leitet das Zentrum Management und Leadership an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Pädagogische Schulführung und Professionalisierung von Führungspersonen von und in Bildungsorganisationen. Er leitet die Lehrgänge ‘Pädagogische Schulführung’ und ‘Schulführung und Inklusion’. Zusammen mit Nina-Cathrin Strauss hat er das Buch «Teacher Leadership – gemeinschaftliche Schulführung» in der Reihe «Führung von und in Bildungsorganisationen» herausgegeben.
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: pexels.com
Das tönt vielversprechend. Wichtig ist es, dass auch „Experten“ aus der Praxis in die Ausbildung einbezogen werden.