In Schulen trifft man auf verschiedene Auffälligkeiten an: Spracherwerbsstörung, Autismus-Spektrum-Störung, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, psychische Traumata, Störung des Sozialverhaltens, Ängste, depressive Störung, Enkopresis, Enuresis und Allergien. Für das Unterrichten von Kindern mit einer solchen Auffälligkeit wird immer mehr in interdisziplinären Teams gearbeitet. Diese haben die anspruchsvolle Aufgabe, die Kindergruppen zu unterrichten, zu therapieren und zu betreuen. Dies fordert von allen Teammitgliedern grosses fachliches Know-how, Flexibilität und Teamfähigkeit. Till Lother, Bereichsleiter Schule und integrative Sonderschulung, Sprachheilschule Unterägeri, teilt mit uns seine Erkenntnisse aus seiner MAS Forschungsarbeit zum Thema «Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams».
Überall, wo Menschen aus verschiedenen Fachrichtungen zusammenarbeiten, gibt es Auseinandersetzungen, andere Erwartungshaltungen, andere Grundwerte und verschiedene Führungsverständnisse. Die Führungsarbeit von interdisziplinären Teams ist sehr vielseitig und spannend, aber auch sehr anspruchsvoll und herausfordernd. Es müssen oft unpopuläre und nicht den Erwartungen entsprechende Entscheide getroffen werden.
Jochen Schümann (2008), Steuermann und Sportdirektor von Alinghi mit einem Team von 15 verschiedenen Nationen, fasste es so zusammen: «Russell und mir lag viel daran, in unserem Team keine Egos heranwachsen zu lassen. Wir haben uns weder gescheut, einen zu übermütigen Segler für eine Weile vom Boot zu nehmen, noch davor, täglich die Positionen wechseln zu lassen, bis alle im Team unsere Botschaft begriffen hatten. Ich denke, wir haben von Anfang an ein relativ striktes Regiment gegen allzu abgehobene Sprüche und schräge Egos geführt. Unsere Disziplin hat zu einem Zusammenrücken des gesamten Teams geführt» (S. 14).
Als Grundlage ist es wichtig, dass man sich in seiner Führungsrolle wohlfühlt und dabei authentisch bleibt. Dass es auch immer persönliche und zwischenmenschliche Aspekte gibt, welche die einen bevorzugen und andere eher ablehnen, ist ganz normal. Trotzdem sollte man als Führungskraft auf professioneller Ebene möglichst allen Mitarbeitenden gerecht werden können, was wiederum eine grosse Herausforderung darstellt.
MAS Arbeit zum Thema «Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams»
Meine Masterarbeit untersucht, welche Faktoren eine gute Führung auszeichnen und ob es disziplinäre Unterschiede bei den Vorstellungen einer guten Führung gibt. Um die Fragestellungen zu klären, werden mit vier verschiedenen Berufsgruppen (Sozial-pädagoginnen und Sozialpädagogen, Heilpädagogen und Heilpädagoginnen sowie Logopädinnen und Ergotherapeutinnen) Gespräche geführt. Die zentralen Aussagen in diesen Gruppendiskussionen werden transkribiert und danach qualitativ anhand der dokumentarischen Methode ausgewertet. Zusätzlich zur Durchführung der Untersuchung wird die Literatur zu diesem Thema durchforscht und die wichtigsten Erkenntnisse werden dargelegt.
Sowohl in der Theorie wie auch in der Empirie zeigt sich, dass verschiedene Faktoren wie eine klare Vision und Kommunikation, Vertrauen, Wertschätzung und Unterstützung der Mitarbeitenden für eine Schulleitung essenziell sind. Es kristallisieren sich elf Faktoren heraus, die eine gute Führung auszeichnet (siehe Titelbild). Die Vorstellung einer guten Führung vonseiten der Mitarbeitenden ist oft deckungsgleich. Es gibt aber disziplinäre Unterschiede. Alle Bereiche haben ein oder zwei Themen, die für sie zentral sind. Diese zentralen Themen findet man aber auch in den anderen Bereichen. Sie werden dort eher am Rande besprochen. Im Weiteren werden die verschiedenen Bereiche analysiert und das Fokusthema herausgeschält.
Die Heilpädagoginnen und Heilpädagogen finden es wichtig, dass die Schulleitung eine klare Linie verfolgt und bei Themen ihre Haltung vertritt. Dazu gehört, Entscheide zu fällen und hinter diesen zu stehen. Dieser Punkt taucht am Rande auch bei den Logopädinnen auf.
Die Logopäden und Logopädinnen erachten es als wesentlich, dass die Schulleitung klare Rahmenbedingungen setzt. Die Strukturen und Abläufe im Schulalltag müssen geklärt sein und die Mitarbeitenden müssen wissen, was von ihnen erwartet wird. Zudem ist die Autonomie im Beruf für die Logopädinnen essenziell. Sie wollen Stärken und neue Ideen einbringen und ihren Berufsalltag kreativ gestalten können. Diese zwei Punkte findet man in allen anderen Bereichen als Nebenthemen.
Für die Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen ist es relevant, dass die Schulleitung individuell führt. Empathie und Interesse am individuellen Menschen sind ebenso wichtig wie ein offenes Ohr auch für persönliche Anliegen. Dieser Aspekt taucht am Rande auch bei den Heilpädagoginnen und Heilpädagogen und bei den Logopädinnen auf.
Die Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten schätzen es als bedeutsam ein, dass die Schulleitung offen gegenüber Anliegen ist. Sie hat ein offenes Ohr für Anliegen und Fragen und nimmt diese ernst. Sie nimmt sich Zeit, sie anzuhören und ist gegenüber den Mitarbeitenden auf Augenhöhe. Diesen Punkt findet man in keinem anderen Bereich.
Diese Ergebnisse sind nicht abschliessend und können sicherlich noch ergänzt werden. Es kann hilfreich sein, beim Übernehmen einer Führungsposition oder einer Selbstreflexion als Schulleiter:in diese Faktoren präsent zu haben. Es sind Grundthemen, die bei einer guten Führung eine wichtige Rolle spielen. Auch das klare Bewusstsein von Führen verschiedener Berufsgruppen ist essenziell. Es gibt bei den Vorstellungen einer guten Führung disziplinäre Unterschiede und man ist gut beraten, wenn man diese als Schulleitung ansatzweise kennt.
Was mir die Erkenntnisse als Schulleiter heute bringen
Ich bekam einen vertieften Einblick in das Thema «Erwartung an eine Führungsperson in interdisziplinären Teams». Durch die Gruppendiskussionen und meine eigenen Erfahrungen spürte ich, dass dieses Thema bei den Mitarbeitenden im Schulalltag aktuell ist.
Der persönliche Nutzen dieser Arbeit war sehr gross. Einerseits lernte ich das Führen einer Gruppendiskussion und das qualitative Forschen kennen und anderseits eignete ich mir ein grosses Fachwissen über das Thema «Führung» an. Die gewonnenen Erkenntnisse kann ich direkt in meinem Berufsalltag als Schulleiter anwenden und weiterentwickeln. Es hilft mir, in schwierigen Situationen professionell zu handeln und zu reagieren.
Zudem werde ich nächstes Schuljahr die pädagogisch-therapeutische Leitung an der Sprachheilschule Unterägeri übernehmen. Diese beinhaltet die Führung von vier verschiedenen Berufsgruppen. Das Wissen der verschiedenen disziplinarischen Vorstellungen von Führung hilft mir, mich in den verschiedenen Bereichssitzungen angemessen zu verhalten. Dies gibt mir die Möglichkeit, auf die Eigenheiten der Berufsgruppen Rücksicht zu nehmen.
Zum Autor
Till Lother arbeitet an der Sprachheilschule Unterägeri in den Funktionen Bereichsleitung Team IS, Bereichsleiter Schule, Schulischer Heilpädagoge (MS I). Er machte seine Ausbildung als Primarlehrer, Schulischer Heilpädagoge sowie Schulleiter CAS, DAS, MAS (noch nicht beendet.)
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: zVg