Barbara Roux leitet die Schule für Sehbehinderte (SfS) im Kanton Zürich. Die Sonderschule bietet Schülerinnen und Schülern mit einer Sehbeeinträchtigung im Rahmen einer Tagesschule neben den üblichen Fächern ein vielfältiges Förderangebot an. Daneben beraten und unterstützen die Lehr- und Fachpersonen Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonen der Regelschule und Eltern zum Lernen mit einer Sehbehinderung. Im Interview spricht Barbara Roux mit Nina-Cathrin Strauss über Ansprüche und Anspruchsgruppen, Schulqualität und Entwicklung in einer Schule mit einem besonderen Angebot.
Barbara, was beschäftigt euch momentan in der Schul- und Unterrichtsentwicklung?
Neben vielen anderen sind das konkret zwei Themen: Unruhe und Feedback. Aus Sicht der Schüler:innen stellen wir fest, dass sie im Rahmen unserer Angebote, zum Beispiel wegen des sehr spezifischen Fachunterrichts, in ihrem Alltag notwendigerweise mit vielen verschiedenen Lehrpersonen zu tun haben. Die ständigen Wechsel zwischen verschiedenen Räumen und Inhalten erzeugen Unruhe. Diesbezüglich suchen wir nach Lösungen, um mehr Ruhe in den Alltag zu bringen.
Feedback beschäftigt uns in Bezug auf den Unterricht. Das Feedback der Schüler:innen wird eingeholt, es gibt aber noch weitere Perspektiven, die wir hier systematischer abholen könnten. Wir denken über eine Art 360°-Feedback nach. Nicht nur die Angebote und die Expert:innen sind vielfältig, auch die Kompetenzen und Bedürfnisse der Schüler:innen. Hier würden wir für unsere Schul- und Unterrichtsentwicklung gerne mehr wissen.
Du sprichst die Vielfalt der Schüler:innen an. Wer geht bei euch zur Schule?
Wir haben in der Tagesschule Klassen von 6-8 Schüler:innen vom Kindergarten bis zur Oberstufe. Darin unterrichten Fachlehrpersonen und Assistenzen zum einen orientiert am Lehrplan 21 die üblichen Fächer. Zum anderen gibt es Förderangebote wie Low Vision, Punktschrift oder ICT. Die Kinder und Jugendlichen bringen ganz unterschiedliche Kompetenzen mit: Sie können zum Beispiel lesen, aber oft eher basal. Sie haben alle eine Sehbeeinträchtigung, aber auch diese unterscheidet sich natürlich.
Ihre Sehbehinderung ist ein Thema, aber sie haben auch andere. Autismus ist zum Beispiel eines, was einige Schüler:innen mitbringen und das auch seine Aufmerksamkeit braucht. Hier suchen wir nach kreativen Lösungen und holen, wenn nötig, Beratung in die Schule. Unser Ziel ist, dass jedes Kind mit seinen und Bedürfnissen Kompetenzen gut lernen kann.
Als Team müsst ihr dann viel spezifisches Wissen mitbringen.
Genau, wir haben viele Expert:innen für bestimmte Bereiche und Aufgaben, die immer gut ausgebildet sein müssen. Wir haben 54 Mitarbeitende, die stark engagiert sind. Die Herausforderung ist, dass Fachwissen und Erfahrungen im Team geteilt werden. Wir bieten interne Weiterbildungen an, das heisst, Lehrpersonen geben Inputs zu ihren Fachbereichen und geben so ihr Wissen und ihre Erfahrungen an die Kolleg:innen weiter. Wir stellen Zeitgefässe für Fallbesprechungen und Intervision zur Verfügung und planen die Einarbeitung neuer Mitarbeitenden sorgfältig.
Wissensmanagement und das Sichern von Erfahrungen sind wichtig für uns, gerade wenn es zu Wechseln der Mitarbeitenden kommt. Hier beschäftigt uns auch die Rekrutierung in einigen Bereichen wie bei den Reha-Lehrpersonen. Ihr Fachwissen ist für unsere Schule unverzichtbar und die Ausbildungen sind aufwändig. Wir sind als Schulleitung dafür verantwortlich, dass uns dieses Fachwissen erhalten bleibt und wir ein hohes Niveau behalten.
Siehst du Unterschiede zu den Regelschulen in euren Qualitätsansprüchen?
Eigentlich nicht. Wir sind eine Art «Zwischenschule», also klar eine Sonderschule, aber nah dran an den Regelschulen. Das unterscheidet uns vielleicht ein wenig von anderen Sonderschulen. Ansonsten arbeiten wir wie die Regelschulen an unserer Schulqualität, wir entwickeln Konzepte, haben ein Schulprogramm und Qualitätstage, Arbeitsgruppen zu bestimmten Themen und kämpfen wohl mit ähnlichen Herausforderungen, was unsere Entwicklung angeht.
Wir wollen manchmal zu viel. Und hier muss ich als Schulleiterin dann auch mal auf die Bremse treten. Wir kennen den Entwicklungsbedarf, müssen aber auch die Ressourcen im Blick haben und manchmal Prioritäten setzen. Dazu sind wir im Leitungsteam auch immer im Austausch. Unser Qualitätsanspruch ist es, Lösungen für alle zu finden, also für die Bedürfnisse der Kinder, aber auch der Eltern, der Lehrpersonen und Schulen und der verschiedenen Gemeinden, mit denen wir zusammenarbeiten. Wir sind mit jeder einzelnen Gemeinde in der Abklärung, das braucht auch eine gewisse administrative Qualität.
Eure Anspruchsgruppen sind sehr vielfältig. Was bedeutet das für euch?
Wir müssen uns immer wieder positionieren: Was können wir bieten? Und zwar nach innen und nach aussen. Wenn wir zum Beispiel Kinder haben, die neben einer Sehbehinderung auch eine stark ausgeprägte Verhaltensauffälligkeit mitbringen, fragen wir uns: «Wo sind unsere Grenzen, was können wir noch leisten?» Auch im Sinne des Kindes natürlich, das eine unterstützende Umgebung braucht.
Unsere Low-Vision-Abklärungen nehmen zu, der Bereich Integration wächst und wir werden präsenter, man nimmt uns wahr. Das ist toll, aber kann sich auch zu einem Ressourcenproblem entwickeln. Und hier wollen und müssen wir schauen, dass wir unser hohes Niveau, unsere Qualität behalten.
INFOBOX Am 9. September startet die nächste Durchführung vom CAS Schulqualität an der PH Zürich unter der Leitung von Hansjürg Brauchli und Nina-Cathrin Strauss (PH Zürich) sowie Andreas Brunner (Fachstelle für Schulbeurteilung, Kanton Zürich). Der Lehrgang richtet sich an Interessierte im Schul- und Bildungsbereich, die sich mit Schul- und Unterrichtsqualität und deren datenbasierter Entwicklung beschäftigen. Informationen direkt von den Lehrgangsleitungen erhalten und Ihre Fragen stellen, das können Sie an der Infoveranstaltung vom CAS Schulqualität vom 7. Juli 2021. Wie soll man mit Ansprüchen an Schule und Führung umgehen? Mit dieser Frage hat sich Nina-Cathrin Strauss in ihrem letzten Beitrag zum Thema Schulqualität beschäftigt.
Zu den Autorinnen
Nina-Cathrin Strauss beschäftigt sich als Dozentin und Forscherin mit der Frage, wie gemeinschaftliche Führung zur Entwicklung als gute Schule beitragen kann. Neben dem CAS Schulqualität ist sie Ko-Leiterin im CAS Pädagogische Schulführung.
Barbara Roux leitet die Schule für Sehbehinderte im Kanton Zürich seit 5 Jahren als Gesamtleiterin. Die Schule für Sehbehinderte ist eine Sonderschule für Schülerinnen und Schüler mit einer Sehbeeinträchtigung. Sie führen eine Tagesschule in Zürich Altstetten vom Kindergarten bis zur Oberstufe und unterstützen und beraten in die Regelklasse integrierte Schülerinnen und Schüler an ihrem Wohnort. Als Teilnehmerin des CAS Schulqualität hat Barbara Roux das Kommunikationskonzept ihrer Schule weiterentwickelt.
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: Schule für Sehbehinderte Kanton Zürich/stadt-zuerich.ch