Schulleitungsformen

Agile oder hierarchische Schulführung?

Nach der Einführung von Schulleitungen in der deutschsprachigen Schweiz vor etwa 20/30 Jahren wurde in jüngster Zeit häufiger die Frage nach einer weiteren Hierarchisierung der Schulführung gestellt. So haben verschiedene Schulen unterdessen Gesamtschulleitungen eingeführt. Und verschiedene Untereinheiten wie Jahrgangs-, Stufen- oder Zyklusteams haben eine eigene Leitung erhalten. Damit bewegt sich die Schule scheinbar in eine andere Richtung als der momentane Trend zu flexibleren und agileren Strukturen und flacheren Hierarchien hin. Niels Anderegg argumentiert, dass die entscheidende Frage nicht die Strukturierung von Führung, sondern deren Ausgestaltung ist.

Bei der Einführung von Schulleitungen in der deutschsprachigen Schweiz fand eine Hierarchisierung innerhalb der Schulen statt. Die Lehrpersonen haben eine Chefin oder einen Chef erhalten und diese/dieser wurde mit einigen entscheidenden Kompetenzen ausgestaltet. Was damals stark umstritten war und zu intensiven Diskussionen innerhalb des Kollegiums führte, ist heute breit anerkannt und kaum jemand kann sich noch eine Schule ohne Schulleitung vorstellen. Betrachtet man die Ausgestaltung der Schulleitungsfunktion, so zeigen sich – zumindest mein subjektiver Eindruck – sehr unterschiedliche Formen der Schulführung.

Systematische Schulführung

In vielen Schulen wird Führung systemisch verstanden und verschiedene Personen nehmen in ihren Funktionen entsprechend Führung wahr. Nicht nur die Schulleitung leitet, sondern auch verschiedene Lehrpersonen nehmen Führung und Verantwortung wahr. Dabei geht es nicht um ein konkurrenzierendes, sondern ergänzendes Handeln. Den Aufgaben und persönlichen Kompetenz entsprechend erkennen verschiedene Personen innerhalb der Schule ihre Verantwortung. Dadurch wird die Schule gemeinschaftlich weiterentwickelt und geführt.

Hierarchische Schulführung

Es gibt jedoch auch Schulleitungen, die stärker hierarchisch führen. Plakativ könnte man davon sprechen, dass die Schulleitung leitet, die Lehrpersonen unterrichten und die Schülerinnen und Schüler lernen. Diese Form habe ich auch schon als hilfreiche Fehlkonstruktion betitelt. Hilfreich, weil so zumindest an den Schulen die Kultur der Gleichheit unter den Lehrpersonen aufgehoben wurde. Das an Schulen weitverbreitete Autonomie-Paritäts-Prinzip besagt, dass alle Lehrpersonen gleich sind und innerhalb ihrer Klassenzimmer hohe Autonomie haben.

Salopp ausgedrückt, könnte man auch vom Königreich Klassenzimmer sprechen. Von diesem haben sich Schulen hoffentlich nun längst verabschiedet und verstanden, dass es auch innerhalb des Kollegiums eine hohe Diversität gibt, die für die Gestaltung der Schule genutzt werden kann. Zum Glück gibt es Lehrpersonen, welche schon lange eine hohe Affinität zu Computern und digitalen Medien hatten und immer noch haben. Sie unterstützen die Schule im digitalen Wandel und agieren beispielsweise als pädagogische ICT Supporterinnen und Supporter. Andere Lehrpersonen haben andere Interessen sowie Kompetenzen. Hoffentlich werden diese für die Schule genutzt.

Führung in einer Organisation von Expertinnen und Experten

Anerkennt und nutzt man die unterschiedlichen Kompetenzen und Interessen der Lehrpersonen, dann kann man eine Schule nicht hierarchisch führen. Die verschiedenen Expertinnen und Experten nehmen in ihrem Bereich Verantwortung wahr und Führung wird dadurch zu einer gemeinschaftlichen Sache. Wichtig dabei ist, zu verstehen, dass es nicht um ein entweder oder geht: Also nicht hierarchisch oder agil. Schulen brauchen hierarchische Strukturen, um Stabilität zu erhalten. So ist es beispielsweise die Aufgabe der Schulleitung, die Interessen der ganzen Organisation im Auge zu haben, während Teacher Leaders auf ihr spezifisches Themenfeld blicken können. Dies entlastet beide Seiten und gibt Freiraum für Entwicklung und gute Lösungen.

Werden an Schulen nun neue Hierarchiestufen eingesetzt, so stellt sich weniger die Frage nach dem Sinn und Unsinn von weiteren Stufen, sondern sehr viel stärker die Auseinandersetzung mit der Gestaltung dieser Aufgaben.

Zyklus-, Stufen- oder Jahrgangsleitungen

Viele Schulen haben damit begonnen, ihre Lehrpersonen in professionelle Lerngemeinschaften – teilweise wird auch von pädagogischen Teams oder Unterrichtsteams gesprochen – zu strukturieren. Aus der Forschung wissen wir, dass solche Teams eine hohe Innovationsfähigkeit haben und gerade für die pädagogische Arbeit sehr wertvoll sein können.

Nun stellt sich die Frage, wie diese Teams geführt werden. Es gibt erfolgreiche Teams, welche sich selbst im Sinne von ‘Shared Leadership’ führen. Je nach Situation und Thema übernimmt eine andere Person Führung. In anderen Teams wird eine feste Leitung wie Zyklus-, Stufen- oder Jahrgangsleitungen installiert. Sinnvollerweise wird diese Leitung auch in die Schulleitung als Mitglied eingebunden.

Damit entsteht eine Verbindung zwischen den einzelnen professionellen Lerngemeinschaften und die verschiedenen Teams sind direkt in die Schulleitung involviert. Die Teamleitung ist dann nicht Briefträgerin oder Briefträger der Schulleitung, sondern deren Mitglied und kann bei vielen Fragen mitbestimmen. Sie ist jedoch keine ‘Mini-Schulleitung’, sondern vor allem einmal Lehrerin oder Lehrer. Was dies bedeutet, verdeutliche ich am Beispiel Personalführung.

Die Schulleitung hat die Aufgabe, die Lehrerinnen und Lehrer zu beurteilen. Diese Aufgabe ist dann wesentlich, wenn es darum geht, Lehrpersonen mit mangelnder Leistung zu identifizieren und zu begleiten. Niemand kann ein Interesse daran haben, dass an einer Schule schlechte Lehrpersonen unterrichten und Schülerinnen und Schüler darunter leiden. Diese Aufgabe der Beurteilung kann nur die Schulleitung machen und sollte nicht von einer Zyklus-, Stufen- oder Jahrgangsleitungen übernommen werden.

Zum Glück haben wir an unseren Schulen sehr viele gute Lehrerinnen und Lehrer. Hier besteht die Aufgabe der Personalführung ihnen die Möglichkeit zu geben, sich weiterzuentwickeln und zu professionalisieren. Dazu gibt es sehr viele Möglichkeiten wie gegenseitige Hospitationen, Fallbearbeitungen oder die Arbeit mit Vignetten, welche vorwiegend innerhalb der Teams stattfinden müssen. Die Aufgabe der Schulleitung besteht darin, die Lehrpersonen zu unterstützen, ihnen Wertschätzung entgegenzubringen und Gelder für Weiterbildungen zur Verfügung zu stellen.

Die Teamleitung hat die Aufgabe, Prozesse innerhalb der Teams anzustossen, sodass gemeinsame Entwicklungen möglich werden. Für diese Prozesse braucht es jedoch alle Teammitglieder. Zum Beispiel Verordnete und von den Teams nicht verstandene oder gewünschte kollegiale Hospitationen verkommen zu höflichen Pflichtübungen und verpassen die Chance einer echten kollegialen Rückmeldung und Beratung.

Den Wechsel von höflichen Besuchen zu echten Feedbacks kann jedoch nur in den Teams erfolgen. Wenn diese die Chance sehen und eine entsprechende Kultur leben, gelingt eine intensive Weiterentwicklung und Professionalisierung. Weder eine Schulleitung noch eine ‘Mini-Schulleitung’ kann dies erreichen. Dazu braucht es eine gemeinschaftliche Schulführung mit Teacher Leaders. Ob ein Zyklus, eine Stufe oder ein Jahrgang nun von einer Lehrperson geführt wird oder ob sich das Team selbst leitet, ist dabei zweitrangig. Wesentlich ist, dass sie gemeinsam voranschreiten und die Form wählen, welche für sie hilfreich ist.

INFOBOX

Im Rahmen der Themenreihe «Gemeinschaftliche Schulführung» findet am Dienstag, 18. Mai 2021 von 18-20 Uhr ein Themenabend zum Thema «Zyklus-, Stufen-, Jahrgangsleitung» statt. Im Fokus dieses Themenabends steht die Frage nach der Aufgabe und der Funktion dieser Führungsposition und dem Zusammenspiel zwischen Teacher Leadership und gemeinschaftlicher Schulführung. Sowohl aus theoretischer Sicht als auch mit Einblicken in die Praxis zwei unterschiedlicher Schulen aus unterschiedlichen Stufen (Primarschule und Oberstufe), soll diese funktionsorientierte Form von Teacher Leadership im Zusammenspiel mit gemeinschaftlicher Schulführung diskutiert und analysiert werden.

Zum Autor

Niels Anderegg leitet das Zentrum Management und Leadership an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Pädagogische Schulführung und Professionalisierung von Führungspersonen von und in Bildungsorganisationen. Er leitet die Lehrgänge Pädagogische Schulführung und Schulführung und Inklusion. Zusammen mit Nina-Cathrin Strauss hat er das Buch «Teacher Leadership – gemeinschaftliche Schulführung» in der Reihe «Führung von und in Bildungsorganisationen» herausgegeben.

Redaktion: Melina Maerten

Titelbild: Anna Tarazevich von pexels.com

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