«Weshalb führen wir Schule noch nicht gemeinschaftlich?» – Erfahrungen aus der Praxis

Für die Tagung «Teacher Leadership – Schule gemeinschaftlich führen» vom November 2020 an der PH Zürich haben wir Interviews mit Personen in unterschiedlichen Funktionen und Aufgaben an Schulen geführt. In drei Beiträgen zeigen wir Ihnen Eindrücke aus der Praxis und den Erfahrungen der Praktikerinnen und Praktiker. Im dritten und letzten Beitrag geht es um die Frage, weshalb der Weg zur gemeinschaftlichen Führung vielleicht doch nicht so simpel ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Reto Kuster.

Gemeinschaftliche Schulführung ist mittlerweile für viele Schulen Teil einer erstrebenswerten Schulkultur geworden. Dass dem so ist, lässt sich unter anderem aus den für die Tagung durchgeführten Interviews mit Lehr-, Fach- und Führungspersonen heraushören.

Vielschichtige Argumente werden genannt: Ausgehend vom Bewusstsein, über das «sich gemeinsam auf den Weg machen» wird betont, dass der damit verknüpfte Austausch über Werte und Haltungen sowie ein Aushandeln von Zielsetzungen das Team stärker zusammenschweisst und eine gemeinsame Orientierung hinsichtlich einer wirkungsvollen Praxis des Lehrens und Lernens unterstützt. Als ebenso relevant werden die Wirkungen auf das einzelne Teammitglied beschrieben. Individuelle Stärken und professionsbezogene Perspektiven können unkompliziert eingebracht und genutzt werden, was die Sinnhaftigkeit und damit auch die Selbstwirksamkeit im Arbeitsalltag erhöht.

Da erstaunt es nicht, dass im Zusammenhang mit gemeinschaftlicher Schulführung mehrheitlich von positiven Effekten auf die Motivation sowie auf die Stimmung im Team berichtet wird. Müsste man sich also nicht sofort an die (Weiter-)Entwicklung einer solchen Kultur machen? Oder steckt der Teufel – wie so oft – im Detail? Drei aus den Interviewaussagen abgeleitete Vermutungen weisen darauf hin, weshalb es vielleicht doch nicht so simpel ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.

Ist gemeinschaftliche Schulführung die Lösung?

Gemeinschaftliche Schulführung ist keine kurzfristige Lösung für Herausforderungen im Schulalltag. Ungeduld und der Drang zu schnellen Ergebnissen erschweren einen solchen Weg. Mehrfach wird erwähnt, dass es Ausdauer braucht und man sich an diese Kultur zuerst gewöhnen muss. Aushandlungen über Rollen und Zuständigkeiten geschehen nicht von heute auf morgen. Die Beteiligten müssen ausprobieren und Erfahrungen sammeln dürfen.

Es braucht eine langfristige Strategie und mutige Teacher Leader, die Verantwortung aus dem Team heraus übernehmen und diese Stellung nicht als Profilierungs- oder Machtinstrument missbrauchen. Ihr Einsatz für eine konstruktive Aufgabenerfüllung stärkt Schritt für Schritt das Vertrauen in eine solche Führungskultur. Wir sprechen hier also von einer jahrelangen Entwicklungs- und Erprobungszeit, nicht nur von wenigen Monaten.    

Der Faktor Zeit ist nicht die einzige Investition, die nötig ist. Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass in den Schulteams jene Lehr- und Fachpersonen, die Lust auf eine Teacher Leader-Rolle haben, einfach so «gefunden» werden. Schulbehörden und Leitungspersonen sind gefordert, das nötige Bewusstsein für eine solche Führungskultur zu schaffen; am besten, indem sie es selbst vorleben. Und selbstverständlich müssen den Worten auch Taten folgen. Dazu gehören Rahmenbedingungen, welche es den Teammitgliedern erlauben, Führungskompetenzen aufzubauen und Führungserfahrungen in verschiedenen schulischen Kontexten zu sammeln. Teacher Leader brauchen Freiräume, ein unterstützendes Netzwerk und die Möglichkeit, ihre Führungskompetenzen zu reflektieren. Sie fallen nicht einfach vom Himmel.

Und schlussendlich dürfen die Grenzen gemeinschaftlicher Schulführung nicht unterschätzt werden. Eine solche Kultur bedeutet nicht, dass es die «offiziellen» Führungspersonen nicht braucht und die Arbeit den Teammitgliedern überlassen werden kann. Ganz im Gegenteil. Die formelle Führung hat dafür zu sorgen, dass Team- und Kooperationsstrukturen im Alltag jene Sicherheit bieten, welche eine wirkungsvolle Einflussnahme durch einzelne Teammitglieder erst möglich macht. Sie sind gefordert, den Blick fürs Ganze zu schärfen, für eine regelmässige Klärung von Schnittstellen zu sorgen, mit aufkommenden Teamdynamiken geschickt umzugehen und mitzuhelfen, Entscheidungsprozesse in den verschiedenen Teams sinnvoll zu strukturieren. Gemeinschaftliche Schulführung ist alles andere als ein Selbstläufer.

Machen Sie sich selbst ein Bild! Hören Sie ins nachfolgende Video hinein und erfahren Sie im Originalton, was Schul- und Betreuungsleitende, Rektoren sowie Lehr- und Fachpersonen aus verschiedenen Schulen zur Entwicklung einer Kultur der gemeinschaftlichen Schulführung meinen.

Video Teaser Tagung Teacher Leadership Interview

INFOBOX

Lesen Sie auch den zweiten Beitrag «Wie wir Teacher Leadership umsetzen» sowie den ersten «Wie wir Führung verstehen» mit Erfahrungen aus der Praxis inklusive Videos. Die gemeinschaftliche Schulführung ist am am 18. Mai 2021 in der Themenreihe «Zyklus-, Stufen-, Jahrgangsleitungen» zentral. Für Teacher Leader wird aktuell ein Produkt entwickelt, welches im Frühjahr hier ausgeschrieben wird.

Zum Autor

Reto Kuster ist Dozent im Zentrum Management und Leadership an der PH Zürich. Als Berater und Dozent beschäftigt er sich mit Themen rund um Schulführung und Schulentwicklung. Er leitet unter anderem den Lehrgang Pädagogische Schulführung und ist Mitglied der Gruppe QuinTaS  mit Schwerpunkt Qualität und Aufbau von Tagesschulen. Weiter ist er in der Beratung von Organisationen und Führungspersonen im Bildungsbereich tätig.

Redaktion: Melina Maerten

Titelbild: Screenshot aus dem Video

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