Führungspersonen müssen in ihrem Alltag verhandeln können. Welche Techniken braucht es dafür? Der Buchklassiker «Das Harvard Konzept» von Roger Fisher, William Ury und Bruce Patton, gibt Rat zum Thema Verhandeln. Niels Anderegg hat das Buch gelesen und stellt es Ihnen hier vor.
Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht: Ich liebe es zu verhandeln! Ein Beispiel? Vor einem Jahr fand die ICSEI, eine internationale Konferenz zu den Themen Schulentwicklung und -führung, in Marrakesch statt. In der wunderbaren Altstadt von Marrakesch kaufte ich mir in einem Basar eine metallene Schale. Der Preis wurde natürlich ausgehandelt. Der Händler erzählte mir, dass es eine ganz besondere Schale aus dem Gebirge sei. Es gebe nur noch einen alten Mann, der diese Schale von Hand mache und es sei sehr schwierig, solche Schalen noch zu bekommen. Ich erzählte ihm, dass ich schon eine ähnliche Schale habe und eigentlich keine brauche. Diese sei aber sehr schön und eine Erinnerung an diese wunderbare Stadt.
So erzählten wir uns Geschichten, nannten unsere Preisvorstellungen und nach einer halben Stunde und zwei Gläser Tee waren wir beide glücklich. Ich bezahlte den Preis, den mir die Schale wert war und der Händler verkaufte sie zu dem Preis, den er mir machen wollte. Durch das Verhandeln wird der Preis nicht durch einen objektiven, auf dem Preisschild stehenden Betrag, sondern einen subjektiven Wert bestimmt.
Aber nicht nur auf dem Basar, sondern in allen möglichen und unmöglichen Situationen des Führungsalltages muss verhandelt werden. Und da Führungspersonen auch Werkzeuge und Techniken brauchen, las ich über die Festtage endlich einmal den Klassiker unter den Ratgebern zum Thema Verhandeln, das Buch «Das Harvard Konzept» von Roger Fisher, William Ury und Bruce Patton. Im Sinne einer freien Buchrezension möchte ich euch den Inhalt des Buches in meinen eigenen Worten vorstellen.
Das Buch gliedert sich in drei Bereiche. Im ersten Bereich wird das Problem von Verhandlungen dargelegt, um dann im zweiten, längsten Bereich das Konzept mit den vier Prinzipien vorzustellen. Der letzte Abschnitt des Buches befasst sich mit Widersprüchen und Einwänden zum Konzept und widerlegt diese.
Das Problem
Die drei Autoren beschreiben zwei verschiedene Arten von Verhandlungen: Entweder verhandelt man «hart» und versucht seine Position durchzusetzen oder man verhandelt «soft» und stellt die Beziehung zum Gegenüber in den Mittelpunkt. Dabei geht es immer um Positionen und Beziehungen sowie der Frage, wer recht hat beziehungsweise den anderen über den Tisch zieht. Ein solches Feilschen braucht viel Zeit und läuft immer Gefahr, dass die Verhandlungen scheitern. Sie können sogar dann scheitern, wenn man auf der inhaltlichen Ebene wahrscheinlich relativ einfach eine gute Lösung hätte finden können.
Das Verharren in Positionen, das Gewinnen wollen, kann dazu führen, dass es nicht mehr um die Sache, sondern um Machtfragen geht. Das Gleiche gilt, wenn man «soft» verhandelt und nur die Beziehung in den Mittelpunkt stellt. So können schlechte Lösungen entstehen, weil man aus Angst seine Position und seine Wünsche nicht äussert. Dies könnte der Beziehung schaden.
Erfolgreiches Verhandeln steigt aus diesem Dualismus aus und stellt die Sache in den Mittelpunkt.
Die Methode
Die Methode besteht aus vier Elementen:
1. Trennung von Menschen und Sachfragen
Bei Verhandlungen geht es sowohl um die Sache als auch um die Beziehung. Der Dualismus zwischen «harter» und «softer» Verhandlung muss überwunden werden, in dem sowohl um die Sache verhandelt als auch die Beziehung weiter gepflegt wird. Dies gelingt, in dem man zwischen Menschen und Sachen unterscheidet. So kann man auch unter Freunden unterschiedliche Meinungen haben und doch Freunde sein. Auf Verhandlungen bezogen bedeutet dies Verständnis für die Position des Gegenübers zu haben, seine Perspektive einzunehmen, kommunikativ dieses Verständnis auszudrücken, aber auch seine eigene Position formulieren.
2. Interesse und nicht Positionen in den Mittelpunkt stellen
Bei Verhandlungen geht es nicht um Sieg oder Niederlagen, sondern um das Finden einer guten Lösung für beide Seiten. Will man gewinnen, dann muss der andere verlieren. Verhandlungen werden zum Kampf und zu Machtspielen. Will man aber für sich eine gute Lösung finden, muss man die Position und auch die gute Lösung des Gegenübers miteinbeziehen. Dabei geht es weniger um Sachfragen als um die dahinterstehenden Interessen.
Das klassische Beispiel sind Lohnverhandlungen. Warum will ich mehr Lohn und warum ist mein Arbeitgeber nicht bereit, mehr Lohn zu bezahlen? Geht es mir um Anerkennung meiner Leistungen (alle anderen verdienen mehr als ich), brauche ich das Geld für meinen Lebensunterhalt (meine Kinder stehen in der Ausbildung)? So wie ich unterschiedliche Gründe habe, so hat sie auch der Arbeitgeber.
Von Interesse und nicht Positionen auszugehen bedingt eine grosse Portion Vertrauen ins Gegenüber, gleichzeitig aber auch die Gefahr, sich vorschnell von seiner Position abbringen zu lassen und nur «soft» zu verhandeln.
3. Verschiedene Optionen entwickeln und nicht auf einer einzigen Lösung stehen bleiben
Um in Verhandlungen flexibel bleiben zu können, ist es wichtig, unterschiedliche Lösungen sich vorstellen zu können. Dazu muss man in den Lösungsraum gehen und sich verschiedene Optionen mit ihren Vor- und Nachteilen erarbeiten. In diesen Raum zu gehen bedeutet aber auch, die Grenzen der Lösung zu kennen. Ab wann ist für mich eine Lösung keine gute mehr? Diese Grenzen zu kennen, hilft auch dem Gegenüber. Wesentlich ist jedoch, dass diese Grenzen auch echte und nicht nur taktische sind.
4. Objektive Kriterien anwenden
Um den Boden bei Verhandlungen nicht zu verlieren und sich immer auch wieder einmal justieren zu können, ist es hilfreich, objektive Kriterien zu kennen. Um auf das Lohnbeispiel zurückzukommen: Es hilft, wenn man weiss, was eine Person in meiner Position normalerweise verdient, wie hoch der Lohn meiner Kolleginnen und Kollegen ist ect. Objektive Kriterien helfen häufig, den Verhandlungsspielraum zu klären.
Der Kern
Im Kern geht es bei Verhandlungen darum, die Sache und nicht die Personen in den Mittelpunkt zu stellen. Bei Verhandlungen geht es nicht um Machtfragen oder um Positionen, sondern um das Suchen einer Lösung, welche für beide Seiten akzeptabel ist. Dazu ist es notwendig, dass man auch die Position des Gegenübers einbezieht und nach Lösungen sucht, welche die Bedürfnisse und Interessen beider Seiten abdeckt.
Hilfreich ist es, wenn man dazu verschiedene Lösungsoptionen erarbeitet, um dann in der Verhandlung selbst flexibel zu sein und allenfalls weitere Lösungen zu suchen. Für Fisher, Ury und Patton bestehen Verhandlungen deshalb auch nicht «nur» auf den kommunikativen Akt des Verhandelns, sondern schliesst auch die Vorbereitung mit ein. Sie sprechen dabei von Analyse und Planung.
Ich kann das Buch sehr empfehlen. Die teilweise ausschweifende Sprache hilft, seine eigene Position zu finden und sich zum Inhalt des Buches positionieren zu können. So ist es gut möglich, dass irgendjemand diese Rezension anders geschrieben und andere Schwerpunkte gesetzt hätte. Das Buch ist in diesem Sinne kein Rezeptbuch und auch kein Ratgeber, sondern eher ein Begleiter, der sehr konkret und anschaulich ist.
INFOBOX Am 13. April 2021 findet der Kurs «erfolgreich Verhandeln» mit Franziska Schneebeli als Kursleiterin statt. Im Kurs geht es um die Frage, wie es gelingen kann, das Gegenüber zu überzeugen, ohne zu überreden und Lösungen zu finden, welche für beide Seiten von Vorteil sind. Mit Franziska Schneebeli haben wir bewusst eine Person als Kursleiterin ausgewählt, welche vorwiegend ausserhalb von Bildungsorganisationen tätig ist und damit einen anderen Blick einbringt. Niels Anderegg wird selbst am Kurs teilnehmen.
Zum Autor
Niels Anderegg leitet das Zentrum Management und Leadership an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Pädagogische Schulführung und Professionalisierung von Führungspersonen von und in Bildungsorganisationen.
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: Buchcover/Lernmedienshop