Anfangs November 2020 trafen sich rund 20 Behördenmitglieder zur Themenreihe «Fokus Schulbehörden» an der PH Zürich. Inhalt des Themenabends war «Beurteilung von Schülerinnen und Schülern». Niels Anderegg und Andrea Hugelshofer geben einen Einblick in diesen Abend, an dem die Auseinandersetzung mit der im Lehrplan 21 verankerten Form der Beurteilung und den Aufgaben und Pflichten von Behördenmitgliedern im Zentrum stand.
Die Beurteilung von Schülerinnen und Schülern ist primär eine operative Aufgabe, welche in der Verantwortung der Lehrerinnen und Lehrer und der Schulleitung liegt. Die Aufgaben, Zuständigkeiten sowie die Form der Beurteilung sind in einem gesetzlichen Rahmen eingebettet. Erst kürzlich wurde im Kantonsrat im Rahmen einer Initiative über diese gesetzlichen Vorgaben debattiert.
Auf Grund dieser Initiative wird sich die Kommission für Bildung und Kultur demnächst mit der Frage beschäftigen müssen, ob zukünftig von der 4. Klasse an nur noch mit Noten beurteilt werden soll.
Deutlich zeigt die aktuelle Diskussion der Medien und des Kantonsrats, dass vor allem die summative (Bilanzierung am Schluss einer Lernphase) und prognostische (Einschätzung bezüglich nächster Lernphase, Schulstufe oder Ausbildung) Beurteilung im Fokus liegt.
Summative Beurteilungen erfolgen am Ende eines abgeschlossenen Lernzyklus. Sie geben darüber Auskunft, inwiefern das von der Lehrperson gesetzte Lernziel erreicht worden ist. Eine solche Beurteilung kann mittels einer klassischen Prüfung erfolgen, es gibt aber auch viele weitere Möglichkeiten für eine solche Bilanzierung. Dabei können Noten als Form der Kommunikation gewählt werden. Da diese allein aber zu wenig aussagekräftig sind, sollten sie durch eine weitere Kommunikationsform – am besten durch einen Dialog – ergänzt werden.
Eine prognostische Beurteilung wird meist bei einem Stufenübertritt zum Beispiel beim Übergang von der Primarschule in die Sekundarstufe vorgenommen. Dabei steht die Frage im Zentrum, in welche Richtung sich die Leistungen einer Schülerin oder eines Schülers entwickeln können und damit auch die Frage, welche Stufe für das entsprechende Kind die richtige ist.
Die dritte und wichtigste Form ist die formative Beurteilung. Diese findet laufend während des Lernprozesses statt und unterstützt somit den Schüler und die Schülerin. Statt von formativer Beurteilung könnte man auch von förderorientierter Beurteilung sprechen.
Formative Beurteilung fördert den Aufbau von Kompetenzen und steht im Zentrum eines lernförderlichen und kompetenzorientierten Unterrichts.
Für Schulbehörden stellt sich die Frage, welche Aufgabe und Funktion ihnen im Bereich Beurteilung von Schülerinnen und Schülern zukommt.
Strategische Führung
Die Schulpflege ist für die strategische Führung einer Schule verantwortlich. In Zusammenarbeit mit der Schulleitung und den Lehrpersonen definiert sie die inhaltliche Grundorientierung einer Schule und schafft damit eine Grundlage für die pädagogische Arbeit und Entwicklung in der Schule.
Bezogen auf das Thema der Beurteilung von Schülerinnen und Schülern bedeutet dies, dass die Lehrerinnen und Lehrer ihre Beurteilungspraxis an dieser Grundausrichtung orientieren. Die Schulpflege definiert nicht, wie Lehrerinnen und Lehrer zu beurteilen haben, aber an welcher pädagogischen Ausrichtung sich diese zu orientieren hat.
Aufsicht
Die Schulleitung als operative Führung ist der Schulpflege gegenüber Rechenschaftspflichtig. Sie weist gegenüber der Schulpflege jeweils die Qualität der Schule aus und zeigt auf, wie sie die strategischen Ziele der Schulpflege verfolgt und erreichen will. Im Gegensatz zu vielen Wirtschaftsunternehmen muss die Qualität von Bildungsorganisationen über Softfaktoren nachgewiesen werden, welche nicht eindeutig messbar sind. Dies macht die Aufgabe der Aufsicht schwieriger und verlangt ein vertiefteres Verständnis der schulinternen Prozesse.
Wenn eine Schulleitung darüber Auskunft gibt, wie an der Schule die Beurteilung von Schülerinnen und Schülern gestaltet wird – beispielsweise, weil von der Fachstelle Schulbeurteilung eine Entwicklungsempfehlung in diesem Bereich formuliert wurde – dann ist es wichtig, dass Behördenmitglieder dieser folgen und sie verstehen können. Dazu müssen sie keine Fachpersonen sein, aber über ein Basiswissen verfügen.
Rekursinstanz
Schulen agieren innerhalb von rechtlichen Vorgaben und müssen diese zwingend einhalten. Die Schulbehörde hat die Aufgabe, dies zu überprüfen und bei Rekursen – gerade bei Beurteilungsfragen ein doch ab und an angewendetes Instrument – allenfalls auch zu entscheiden. Sie hat deshalb höchstes Interesse, dass die Schule über eine rechtlich korrekte und sinnvolle Beurteilungspraxis verfügt.
Öffentlichkeit
Behördenmitglieder sind Vertreterinnen und Vertreter einer Stadt- oder Dorfbevölkerung und stehen damit in der Öffentlichkeit. Sie werden von Eltern oder Bewohnerinnen und Bewohnern angesprochen und mit Erwartungen konfrontiert. Damit agieren Behördenmitglieder auch als Dolmetschende der Schule und haben eine bindende Funktion zwischen Schule, Dorf und Stadt.
Fazit des Weiterbildungsabends: Die Beurteilung von Schülerinnen und Schülern ist eine emotionale Angelegenheit und kann bei Schülerinnen und Schülern sowie Eltern teilweise Frustration, Ratlosigkeit, Ängste und vieles mehr auslösen. Gerade deshalb ist es wesentlich, dass Behördenmitglieder eine professionelle Basis-Auskunft geben und gleichzeitig die Lehrerinnen und Lehrer in ihrer anspruchsvollen Aufgabe unterstützen.
INFOBOX Broschüren der Bildungsdirektion des Kantons Zürich zum Thema: - Kompetenzorientiert beurteilen - Beurteilung und Schullaufbahnentscheide – Über das Fördern, Notengeben und Zuteilen
Zum Autor
Niels Anderegg leitet das Zentrum Management und Leadership an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Zusammen mit Nina-Cathrin Strauss ist er Herausgeber des Buchs «Teacher Leadership – Schule gemeinschaftlich führen». Unter anderem ist er in den Lehrgängen CAS Pädagogische Schulführung und CAS Schulführung und Inklusion tätig.
Zur Autorin
Andrea Hugelshofer ist Dozentin im Zentrum Management und Leadership an der PH Zürich und Mitglied einer Kreisschulpflege in Winterthur. Sie beschäftigt sich als Beraterin und Dozentin mit Themen rund um Personalentwicklung, den Erhalt von Gesundheit und Leistungsfähigkeit sowie dem Umgang mit Konflikten. Insbesondere verantwortet sie spezifische Weiterbildungsangebote für Mitglieder von Schulbehörden.
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: Alessandro Della Bella
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es die Noten <4 nicht braucht: hätte ein Schüler/eine Schülerin eine Tiefnote, wäre er/sie an der falschen Schule, in der falschen Abteilung, in der falschen Klasse.
Lieber Herr Rüedi
wie man z.B. an den Diskussionen im Kantonsrat sieht, sind solche Fragen wieder sehr aktuell – und ich bin gespannt, wie solche Aspekte der passenden Förderung von Kindern sowie die formativen Anteile von Beurteilung in die öffentliche Diskussion einfliessen.