Führen, beraten, coachen

Führung klingt gleich viel freundlicher, wenn man es «Coaching» nennt

Führungspersonen im Schulumfeld – ob in einer hierarchischen Funktion oder in einer lateralen Führungsaufgabe – erleben im Alltag vielfältige Dilemmata, die mit einfachen Rezepten nicht lösbar sind. Eines dieser Spannungsfelder kann das Verständnis sein, dass man als Führungsperson Mitarbeitende berät oder coacht, sagt Andrea Hugelshofer.

Vielfältige Erwartungen von anderen – und von der eigenen Person wohl auch! – begegnen jemandem in der Führungsrolle. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und der Psychologe Friedemann Schulz von Thun erwähnen das Zitat eines Hamburger Politikers, welches sich sehr gut auf Führungsaufgaben in Bildungsorganisationen übertragen lässt:

„Die ideale Führungspersönlichkeit braucht die Würde eines Erzbischofs, die Selbstlosigkeit eines Missionars, die Beharrlichkeit eines Steuerbeamten, die Erfahrung eines Wirtschaftsprüfers, die Arbeitskraft eines Kulis, den Takt eines Botschafters, die Genialität eines Nobelpreisträgers, den Optimismus eines Schiffbrüchigen, die Findigkeit eines Rechtsanwalts, die Gesundheit eines Olympiakämpfers, die Geduld eines Kindermädchens, das Lächeln eines Filmstars und das dicke Fell eines Nilpferds.“

Um solche Spannungsfelder nutzbar zu machen, haben Schulz von Thun / Thomann ein Modell entwickelt, das Entwicklungsrichtungen der einzelnen Person mit ihrem professionellen Handeln als Führungskraft verbindet.

Viele Dilemmata der Führungsrolle lassen sich mit Grundstrebungen benennen und fassen: Nähe (Kontakt, Wertschätzung, Dialog auf Augenhöhe, partnerschaftliches Miteinander) versus Distanz (professionelle Distanz, Abgrenzung, Konflikte nicht scheuen, Autorität positiv einsetzen) sowie Dauer (klare Strukturen, Regeln, Absprachen) versus Wechsel (Dynamik, Prozessbewusstsein, Innovations- und Improvisationsfähigkeit).

Führen und beraten Grafik Modell Thomann Riemann
Quelle: Friedemann Schulz von Thun, in: Management-Seminare, Heft 2020, Januar 2015

Eine Art mit den unterschiedlichen Erwartungen und Dilemmata umzugehen, kann sein, sich als Coach der Mitarbeitenden zu verstehen. Dies beinhaltet, den Mitarbeitenden viel zuzutrauen, sie zu unterstützen, eigene Lösungswege zu finden und anzugehen – sich als Dialogpartnerin zu verstehen. Dies passt auch zu einem Beratungsverständnis, welches als vertrauensvoller Interaktionsprozess gestaltet wird, bei dem Handlungsalternativen erweitert werden und Leistungsfähigkeit gestärkt wird.

Gleichzeitig definiert der deutsche Coachingverband Coaching als freiwilligen, eigenverantwortlichen, vertrauensvollen Interaktionsprozess, der in einem geschützten Setting stattfindet. Ein Coach unterstützt den Klienten dabei, seine Selbstreflexion zu verbessern und Probleme eigenständig zu lösen sowie seine Potenziale zu aktivieren.

Mit dieser Definition wird aber deutlich, dass es nicht so einfach ist, Führung und Beratung gleichzusetzen. Wenn sich eine Führungsperson als Coach oder Beraterin versteht, definiert sie damit die Mitarbeiterin als Klientin. In einem Beratungssetting kann sich ein Klient öffnen, auch über Schwierigkeiten oder Schwächen sprechen, um sich weiter zu entwickeln. Doch eine Führungsbeziehung beinhaltet auch die Verantwortung der Führungsperson für den ganzen Leistungsbereich und bei Personalführung auch eine Leistungsbeurteilung. Für eine Mitarbeiterin ist in diesem Kontext nicht per se klar, wie ihre Führungsperson zum Beispiel mit persönlichen Reflexionen und allenfalls Schwächen umgehen wird.

In einem zweitätigen Seminar setzen wir uns damit auseinander, wann Sie als Führungsperson als Beraterin und Dialogpartnerin gefragt sind, welche hilft, eigene Lösungen zu finden und Kreativität zu ermöglichen. Im Modell von Schulz von Thun könnte dies mit «Nähe» und «Wechsel» bezeichnet werden. Und andererseits beschäftigt uns, wo Führungspersonen gefragt sind, für Klarheit in Strukturen, Erwartungen, Absprachen etc. zu sorgen – und wie die beiden Aspekte sinnvoll gestaltet werden können. In Abwechslung mit Kurzinputs zu Führung und Beratung setzen wir uns mit konkreten Fällen aus der Berufspraxis auseinander.

INFOBOX

Führen und beraten: Dilemma oder Chance?
Dieser Frage wird im Modul für Führungspersonen und Mitglieder von Schulbehörden am 15.-16. April 2021 nachgegangen.

Literatur:

  • Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun: Kommunikation als Lebenskunst. Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens. Heidelberg: Carl-Auer Verlag
  • Deutscher Bundesverband Coaching (Hrsg.). (2012). Leitlinien und Empfehlungen für die Entwicklung von Coaching als Profession. Kompendium mit den Professionsstandards des DBVC (4., erw. Aufl.). Osnabrück: DBVC Geschäftsstelle.

Zur Autorin

Andrea Hugelshofer ist Dozentin im Zentrum Management und Leadership an der PH Zürich und Mitglied einer Kreisschulpflege in Winterthur. Sie beschäftigt sich als Beraterin und Dozentin mit Themen rund um Personalentwicklung, den Erhalt von Gesundheit und Leistungsfähigkeit sowie dem Umgang mit Konflikten. Insbesondere verantwortet sie spezifische Weiterbildungsangebote für Mitglieder von Schulbehörden.

Redaktion: Melina Maerten

Titelbild: pixabay.com von Keith Johnston

7 Gedanken zu „Führung klingt gleich viel freundlicher, wenn man es «Coaching» nennt“

  1. Das ist ein sensibles Thema im Führungsalltag der Schulleitungen, liebe Andrea Hugelshofer. Aus meiner Erfahrung heraus ist es doch besser, wenn eine Schulleitung doch eher ein professionelles Mitarbeitergespräch oder Entwicklungsgespräch führt. So kommt man nicht in einen Rollenkonflikt.
    Bei Gesprächen, die Probleme zum Anlass haben, kann man sehr menschlich reagieren, auch Verständnis signalisieren und ergebnisoffen sein.
    Mit einem Coach (wohlgemerkt als Profi) gehen Gespräche und Prozesse wesentlich tiefer und dort ist der Rapport im Vordergrund und eine professionelle Handlungsweise in der Sitzung.
    Ich bin beides, aber verwechsle diese Rollen niemals, sonst käme ich in ziemliche Konflikte.

    Danke für das Aufwerfen diese sensiblen Themas.

    Herzliche Grüsse
    Susanne Reuls

    1. Liebe Frau Reuls
      Danke für diesen Kommentar aus der Führungs- und Beratungspraxis. Sie unterstützen damit unsere Haltung sehr. Es gibt sicher Haltungen und „Tools“ aus dem Beratungskontext (lösungsorientierte Fragen o.ä.), welche die verständnisvollen, ergebnisoffenen Gespräche unterstützen können – aber auch dann bleibt das Gespräch in einem Führungskontext eingebettet.

      1. Liebe Frau Hugelshofer
        Meinen Kommentar hat es „verschluckt“ – ich setze nochmal neu an. Vielen Dank für Ihre Antwort und die so bedeutsame Erweiterung.
        Sie haben Recht, man darf den Führungskontext nie vergessen und in diesem gestaltet sich die Beziehung. Diese ist beruflicher Natur. Natürlich können wir als Führungspersonen emphatisch, zugewandt und offen menschlich sein. Aber hier ist es sinnvoll, seine Grenzen einzuhalten (auch zum Schutz der Personen) und sich auf den Kontext zu fokussieren. So gerne man machmal auch anders handeln möchte.
        Ein Coach baut auch eine professionelle Beziehung auf, dieses Mal zum Klienten. Hier ist sich der Klient dessen bewusst, dass er eine andere Rolle hat. Deswegen ist diese Arbeit ja so zielführend.
        Dennoch finde ich es ganz gut, wenn man über wirklich einschneidende Erlebnisse der Kollegen Bescheid weiss, um auch menschlich anständig reagieren zu können. Hier gibt es noch viele Berührungsängste.
        Aber ich schätze die kurzen Gespräche an der Kaffeemaschine oder beim Znüni sehr, wo man seine Rollen kurz auch mal loslassen kann.
        Kann dies eine sinnvolle Unterscheidung sein, die noch weiter professionalisiert? Was denken Sie?

        Ich freue mich auf den Austausch.
        Herzliche Grüsse!

  2. Liebe Frau Reuls
    schön, wenn man das zusammenbringt – die Warmherzigkeit, das Interesse an anderen, das z.B. an der Kafimaschine zum Zug kommt – und wenn man gleichzeitig die Professionalität der Führungsrolle bzw. den Respekt vor der Privatsphäre der Mitarbeitenden wahren kann. Da ist es evtl. auch wichtig, wie ich als Führungsperson mit solchen Informationen aus der Znünipause umgehe, damit diese nicht zu einem Stolperstein in der Führungsbeziehung werden.
    Mir gefällt, wie Sie das formulieren – menschlich anständig sein können – und dass es da teilweise fast zu grosse Berührungsängste gibt.

    1. Liebe Frau Hugelshofer
      Da haben Sie sehr recht. Es ist zeitweise eine anstrengende Gratwanderung zwischen dem „Menscheln“ und einem klaren Führungsgespräch im Sinne eines echten Mitarbeitergesprächs. Ich persönlich halte zum Beispiel Entwicklungsgespräche im beruflichen Kontext ergebnisoffen. Das kommt sicherlich aus dem Coach heraus, nur verlasse ich dort den Rahmen nicht. Geht es aber um private Probleme, kenne ich meine Grenzen und empfehle sogar, sich ausserhalb Hilfe zu holen.
      Es kann leichter fallen, eine Unterscheidung zu treffen, wenn man den Ort wie eine Art Anker verwendet. Die Kafimaschine ist der Raum, an dem man sich ausserhalb des Rollenkontextes begegnen kann und das Büro oder das Lehrerzimmer ist dann der Ort, an dem man im „offizielleren“ Rahmen miteinander spricht. Ich habe auch gute Erfahrungen damit gemacht aus dem Büro rauszugehen und zu den Lehrpersonen zu gehen und nicht umgekehrt.

      Könnte das weiterhelfen? Seien Sie ganz herzlich gegrüsst!

      1. Liebe Frau Reuls
        das gefällt mir sehr gut, wie Sie sich selbst für Ihre Rollenklarheit gute Rahmenbedingungen setzen – im Entwicklungsgespräch mit offenerem Rahmen, indem sicher viele Beratungselemente gut passen. Und dann die Aufmerksamkeit bei der Kafimaschine oder im Gang, ob das Gespräch noch dorthin passt oder besser im Büro oder in sonstigem „offiziellerem“ Raum fortgeführt wird.
        Schön, dass Sie immer wieder zu den Lehrpersonen gehen und nicht (nur) umgekehrt!
        Herzliche Grüsse auch Ihnen!

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