Der von Esther Dominique Klein, Universität Innsbruck und Nina Bremm, PH Zürich, im Mai 2020 im Springer-Verlag herausgegebene Sammelband «Unterstützung – Kooperation – Kontrolle» geht der Frage nach, wie sich das Verhältnis von Schulaufsicht und Schulleitung in den letzten Jahren verändert hat, wie sich die Rollen der Akteure neu definieren und wie sich das veränderte Verhältnis auf Schulentwicklungsprozesse auswirkt. Eine Rezension von Heike Beuschlein.
Der Band «Unterstützung – Kooperation – Kontrolle» von Esther Dominique Klein und Nina Bremm, lässt viele namhafte Vertreter der Bildungswissenschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu Wort kommen und erlaubt deshalb einen umfassenden und jeweils sehr detaillierten Blick auf ein Themenfeld, indem sich in den letzten Jahren aufgrund der Autonomisierung von Schulen spannende Verschiebungen der Steuerungsverantwortlichkeiten in Schulen ergeben haben. Wegen der enormen Dichte an Ergebnissen erlaube ich mir, aus diesem wissenschaftlich orientierten Buch punktuell in meinen Augen wichtige Erkenntnisse für die Praxis herauszunehmen und sie hier aufzuführen.
Martina Diedrich wirft den für die Qualitätsentwicklung von Schulen interessanten Gedanken der «brauchbaren Illegalität» auf, was bedeutet, dass die Beteiligten im Schulentwicklungsprozess institutionelle Grenzen (zum Beispiel Funktions- oder Handlungsgrenzen) akzeptiert überschreiten können. Was aber nur funktioniert, wenn eine kontinuierliche Selbstreflexion stattfindet, eine hohe Handlungskompetenz vorhanden ist und die Handlungen eng abgestimmt werden.
Ein von mehreren Autoren angesprochener Aspekt qualitativer Schul- und Unterrichtsentwicklungssteuerung zunehmend autonomer Schulen ist die Bedeutung evidenz- und evaluationsbasierter Erkenntnisse. Dies heisst, dass sowohl Schulleitung als auch Schulaufsicht vermehrt einerseits wissenschaftliche Ergebnisse als auch in der eigenen Schule erhobene Daten berücksichtigen müssen, wenn sie Entwicklungsziele nachhaltig erreichen wollen.
Schule sollte sich als «lernende Organisation», Schulaufsicht als primär beratende und unterstützende Einrichtung verstehen. Laut Böttcher und Luis ist aus diesem Grund eine permanente neue Aushandlung des Verhältnisses notwendig. Dadurch soll Vertrauen entstehen, ein gemeinsamer Kommittent geschaffen werden und ein Agieren auf Augenhöhe stattfinden. Brüsemeister und Gromala vertiefen diese Aussage und stellen neben der Informations- und Mitteilungs- die dienende Funktion der Schulaufsicht in den Mittelpunkt. Hangartner und Svaton fordern eine stärkere gegenseitige Bedingtheit von Fremd- und Selbststeuerungstechniken der beiden Akteure.
Interessant ist, dass Schulleitende sich nach Schwanenberg, Brauckmann & Klein neben der Ressourcenfrage hauptsächlich bei der Frage, wie Lehrpersonen dazu bewegt werden können, über eigenen Unterricht nachzudenken, Unterstützung wünschen. Eine unabhängige, unverbindliche Beratung der Schulleitung durch die Schulaufsicht und das gleichzeitige Wahrnehmen von Kontrollfunktion kann laut Dedering nicht stattfinden. Auch wenn sich beide Seiten dies wünschen. Hermann beschreibt eine mögliche gelingende kooperative Form der Beratung in einer «gemeinsamen forschenden und analytischen Haltung» (S.369), in der beide Seiten zu einer neuen Betrachtungsweise und gemeinsamen Vorstellung von Anliegen kommen können.
Erwähnt wird bei unterschiedlichen Autoren ein Trend zur vermehrten, gewinnbringenden Kooperation von Schulen in Netzwerken oder Clustern, wie es in den USA schon länger praktiziert wird, was eine Neuausrichtung des Verhältnisses zwischen Schulaufsicht und Schulleitungen in Richtung Beratung und Entwicklungsbegleitung statt Kontrolle und Aufsicht erfordert.
Spannend ist die in mehreren Artikeln immer wieder auftauchende Frage nach der Funktion der Schulleitung zwischen Manager und pädagogische Führungskraft. Im Ländervergleich ist ein unterschiedliches Selbstverständnis erkennbar. Dies kann spannende Diskussionen unter Schulleitenden auslösen, mit welchem Anspruch und mit welcher Kompetenz sie die verschiedenen Aufgaben ihrer Tätigkeit ausfüllen. Einzelne Kapitel aus dem Sammelband können der Ausgangspunkt für Gespräche sein.
Zur Autorin
Heike Beuschlein setzt sich als Dozentin und Beraterin in unterschiedlichen Kontexten mit Fragen zur Schulführung, Schulentwicklung und Kommunikation auseinander. Sie ist Lehrgangsleiterin des CAS Führen einer Bildungsorganisation (Schulleitungsausbildung), leitet den DAS Schulführung Advanced und organisiert im Tandem jährlich eine Studienreise für Führungspersonen.
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: Buchcover von exlibris.ch
Liebe Frau Beuschlein und Frau Klein
Danke für die interessante Rezension dieses Buches. Es enthält sehr viele systemisch bedeutende Ansätze für das Etablieren einer Lernkultur (organisatorisch und strategisch).
Für die Schulentwicklung entscheidend könnten auch Steuergruppen sein, die Schulleitungen zunehmend unterstützen, vor allem im Hinblick auf die Schulentwicklung. Die Forschung liefert eine Vielzahl an Ergebnissen (Evidenzen) und daraus folgende Handlungsempfehlungen. Ist es aber nicht eine Frage der Auswahl, welche Studienergebnisse ich heranziehe? Kann dies nicht zu einer einseitigen Entwicklung führen?
Ich habe mit der externen Beratung von Schulen sehr gute Erfahrungen gemacht. Sie sagen es völlig richtig, dass die Schulaufsicht das nicht leisten kann.
Der frische Blick von Aussen erscheint mir sehr wertvoll dabei, die „richtigen“ Steine ins Rollen zu bringen. Leider hat man dafür oft wenig Zeit, denn die Aufgaben der Schulleitungen werden häufig nur auf das Organisatorische reduziert.
Ich mag mir wünschen für die Zukunft, dass das abgeschlossene System „Schule“ sich zusehends öffnet durch die Vernetzung mit anderen Schulen und eventuell sogar mit der Wirtschaft. Und die Zusammenarbeit zwischen uns Schulleitern und den übergeordneten Stellen sollte von spannenden Diskursen und einem erarbeiteten Konsens leben.
Beste Grüsse,
Susanne
Liebe Frau Reuls
Vielen Dank für Ihre Gedanken!
Ich kann Ihre Ausführungen nur unterstützen. Sie sprechen elementare Faktoren der Steuerung an. Steuergruppen sind in vielen Schulen eine sehr gut initiierte und nachhaltig gewinnbringende „Entwicklungshilfe“.
Viele Studien ergänzen sich oder beziehen sich gegenseitig. Aber natürlich kann der Fokus immer anders ausgerichtet sein, so dass Ergebnisse auch andere Interpretationen zulassen. Dadurch dass Schulen unterschiedliche Bedingungen haben, sind natürlich auch Forschungsergebnisse immer auf den Kontext zu beziehen, in dem die Studien durchgeführt werden. Wichtig ist es in meinen Augen, mit Hilfe von theoretischen Kenntnissen kritisch in die Reflexion zu gehen und den für die eigene Organisation optimalen Weg zu finden.
Und dabei spielen die von Ihnen angesprochenen Vernetzungen eine grosse Rolle. Meiner Meinung nach ist es verschwendete Energie, wenn jeder das Rad neu erfinden muss. Das Profitieren von Erfahrungen und Wissen anderer kann extrem bereichernd sein.
Beste Grüsse
Heike Beuschlein