Eine Liftfahrt mit zwei Studierenden kann inspirierend sein. Bei Niels Anderegg hat der Dialog zwischen den beiden die Frage zum Professionsverständnis aufgeworfen.
Zu einer Zeit, als die PH noch geöffnet war und man noch gemeinsam Lift fahren konnte, durfte ich einen Dialog zwischen zwei Studierenden mitanhören. Wir standen zu zweit im Lift, da schlüpft im letzten Moment noch eine Studentin mit hinein. Und schon ging die Fahrt los. Die beiden Studierenden schienen sich zu kennen. «Chunsch au is Bastle?», fragte der Student die Studentin. Diese bedauerte: «Nei, ich han Turne». Schon waren wir angekommen und die Studentin und ich mussten aussteigen, während der Student noch weiter hoch zu den Werkräumen fuhr.
Mein Sohn, der, wie er es nennt, an einer «richtigen» Hochschule studiert und den Tag nicht mit «Mandalamalen und Zahlentanzen» verbringt, hätte seine Freude an diesem Dialog. Er würde sich in seinen Vorurteilen gegenüber der PH und den PH-Studierenden bestätigt fühlen. Mich lässt der Dialog ratlos zurück.
Meine Ratlosigkeit hat mit dem hinter dem «Chunsch cho bastle» stehende Professionsverständnis zu tun. Welches Bild hat der Student von seinem Beruf, wenn es in seiner Ausbildung nicht um die Auseinandersetzung mit Fragen der Didaktik und Methodik in einem wesentlichen und gleichzeitig schwierig zu unterrichtendem Fach wie dem Werken geht? Und welches Bild seines Berufes und seiner Ausbildung vermittelt er damit gegen aussen? Kein Wunder geistern unterschiedlichste Witze über PH-Studierende umher und steht der Werkunterricht politisch immer wieder mal auf der Kippe. Wenn wir so über unsere Profession sprechen, dann müssen wir uns nicht wundern.
Das jugendliche Alter des Students erklärt und verzeiht vieles und dass es auch um eine gewisse Coolness gegenüber der Studentin ging, ist mir aus meiner eigenen Studienzeit nicht ganz unbekannt.
Das Verständnis zur Profession bei Lehr- und Führungspersonen
Ich erlebe dieser sorglose Umgang mit unserem Professionsverständnis aber nicht nur bei Studierenden, sondern auch bei erfahrenen Lehrerinnen und Lehrer und sogar bei Führungspersonen. Und das macht mir dann wirklich Sorgen. Besondere Sorgen macht mir dies bei den Führungspersonen von und in Bildungsorganisationen. Wir haben erst seit rund 20 Jahren Schulleitungen an der Volksschule und der Berufsstand der Schulleitenden befindet sich noch immer in einer Suchbewegung. Dabei haben wir zwei Möglichkeiten: Wir können selber definieren, was unser Beruf beinhaltet oder wir können uns den Inhalt des Berufes von aussen diktieren lassen. Selbstverständlich ist es immer ein Gemisch davon, aber wir können mitentscheiden, von welcher Seite wir mehr wollen.
Ich möchte an zwei Beispielen aufzeigen, wo ich Definitionsfragen für den Berufsstand von Führungspersonen in und von Bildungsorganisationen sehe. Dabei sind die beiden Beispiele nicht abschliessend, sondern können sicher durch andere ergänzt werden (worüber ich mich in der Kommentarfunktion freuen würde).
Schule verwalten oder Schule gestalten?
Alter Käse werden wohl nun einige Denken und mit «natürlich beides» antworten. Michael Schratz hat in einem Aufsatz beschrieben, dass sich Leadership und Management wie Yin und Yang zusammengehören und sich ergänzen. Das ist schon richtig, aber wenn immer alles gleichbedeutend ist, dann erhält man kein Profil beziehungsweise das Profil wird einem von aussen zugeschrieben. Dazu kommt, dass eine Schule zu verwalten deutlich einfacher ist, als eine Schule zu gestalten. Gestalten heisst; Dinge in Frage stellen, Dinge allenfalls zu verändern. Das greift in die Autonomie von Personen ein, kann Widerstände auslösen oder es kann zu Konflikten kommen. Also verwalte ich lieber.
Ich persönlich sehe das Gestalten von Schule als die Hauptaufgabe von Führungspersonen an. Die Gesellschaft ändert sich fortlaufend und die Schulen sind immer wieder vor Herausforderungen gestellt. Wir leben heute in einer Digitalen Gesellschaft und die Schule muss sich ihr anpassen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Schülerinnen und Schüler von heute auf das unbekannte Morgen vorbereitet sind. Dies bedeutet, dass Schulen sich ständig anpassen und verändern müssen. Digitalisierung ist ein Beispiel, Tagesschule oder Inklusion wären ein anderes.
Die momentane Situation mit dem Coronavirus ist das beste Beispiel dafür, dass Schulen sich anpassen müssen. Innerhalb von wenigen Stunden mussten die Schulen auf Fernlernen umstellen und neue Formen suchen, wie Schülerinnen und Schüler trotz geschlossener Schulhaustüren lernen können. Schulleitungen, welche verwalten, haben den Eltern eine Mail geschrieben und den Lehrerinnen und Lehrern den Auftrag geben, den Schülerinnen und Schülern Aufgaben zu schicken.
Schulleitungen, die jedoch gestalten, sind mitten im Geschehen. Sie schaffen Bedingungen, damit Lehrerinnen und Lehrer innovativ sein können, damit sie neue Formen des Unterrichtens ausprobieren können. Zudem interessieren sie sich für die gefundenen Resultate. Nicht zum Kontrollieren ob die Lehrerinnen und Lehrer ihre Aufgabe gemacht haben, sondern aus Interesse und zum Lernen. Hier entsteht Neues und die Schule wird nach der Schliessung nicht mehr die gleiche sein wie vorher.
Welches der beiden Bilder ist unsere Vorstellung von Schulleitung?
Wenn man das Beispiel der gestaltenden Schulleitung genauer anschaut, dann merkt man, dass ich unter Gestalten nicht das einsame, sondern kooperative Tun von Führungspersonen meine. Das führt mich zum zweiten Beispiel.
Schule allein oder gemeinschaftlich führen?
Ist doch kalter Kaffee? Ich glaube nicht. Betrachtet man die Entwicklung der Schulleitung über die letzten 20 Jahren in der deutschsprachigen Schweiz, so ist es offensichtlich, dass immer mehr Schulleitungen «nur» noch in der Leitung sind und nicht mehr unterrichten. Es fand eine Trennung zwischen Unterricht und Führung statt. Diese Trennung wurde bewusst gemacht und auch als Stärkung des Berufsstandes der Schulleitungen verstanden. Schulleitungen sind nicht Lehrpersonen, welche noch etwas führen. Heute sind Schulleitungen als «Chefs der Schule» angekommen und das ist gut so. Wir haben jetzt aber teilweise die Situation, dass die Schulleitung führt und die Lehrerinnen und Lehrer unterrichten. Diese trennende Struktur halte ich jedoch für eine Fehlkonstruktion. Ich meine damit nicht, dass Schulleitungen wieder unterrichten müssen, sondern dass Führung gemeinschaftlich angesehen werden muss.
Schulleitungen haben heute so viele Aufgaben, dass es gar nicht möglich ist, diese von einer Person zu erfüllen. Und die Breite der Themen ist so breit, dass selbst Superwoman und Superman zusammen diese nicht abdecken können. Es ist jedoch richtig und wichtig, dass mehr Dinge auf der lokalen Ebene gelöst werden. Deswegen werden die Aufgaben der Schulführung weiter zunehmen. Das neue Ressourcenmodell im Kanton Aargau ist ein gutes Beispiel dafür. Dort erhalten die Schulleitungen nur noch einen Pool an Stellenprozenten und die Schulleitung vor Ort hat die Kompetenzen diese den Bedürfnissen der einzelnen Schule entsprechend einzusetzen.
Ich bin überzeugt davon, dass wir die Führung von Schule systemisch denken müssen. Damit meine ich nicht zurück zur Basisdemokratie, sondern hin zur gemeinschaftlichen Führung. In der gemeinschaftlichen Führung haben verschiedene Personen verschiedene Aufgaben und Funktionen. Ich komme nochmals auf die heutige Situation mit den Schulschliessungen zu sprechen.
An vielen Schulen haben die ICT-Verantwortlichen momentan eine wichtige Funktion. Oder könnten diese Funktion haben. Sie übernehmen Führung und schauen, dass die Lehrerinnen und Lehrer mit den verschiedenen Plattformen arbeiten können, sie beraten wie Lerneinheiten aufgebaut werden können, und machen viele andere Dinge, welche die Schulleitung gar nicht erfüllen könnte. Kluge Schulleitungen haben deshalb am Freitagabend die ICT-Verantwortlichen von ihrem Unterricht befreit und geschaut, dass andere Lehrerinnen und Lehrer in den nächsten Wochen für die Klasse zuständig sind. Ich bin überzeugt, dass Schulen, in denen verschiedene Personen – auch Teacher Leaders – Führung und Verantwortung übernehmen, die momentane Situation sehr viel leichter meistern.
Aus dem internationalen Raum kennt man schon lange das Konzept von Teacher Leadership. Wir sind daran dieses für den deutschsprachigen Raum zu adaptieren und nutzbar zu machen. Dazu sind wir auf viele Schulen und ihre Praxis angewiesen und wir sind immer wieder erstaunt, wenn wir mit Schulen sprechen, was in diesem Bereich bereits alles gelebt wird. Aber haben wir auch dieses Professionsverständnis?
Es wird eine Zeit kommen, in der ich an der PH wieder Lift fahren kann. Vielleicht begegnen mir dann zwei Schulleitende, wo der eine zum anderen sagt: «Weisch ich gstalte mini Schuel gmeinschaftlich mit de Lehrerinne und Lehrer».
INFOBOX Nina-Cathrin Strauss vom Zentrum Management und Leadership der PH Zürich hat in Bildung Schweiz einen Artikel zum Thema Teacher Leadership publiziert. Am 28. November 2020 findet zudem an der PH Zürich eine Tagung zum Thema «Teacher Leadership: Schule gemeinschaftlich führen» statt.
Zum Autor

Niels Anderegg leitet an der PH Zürich das Zentrum Management und Leadership. In seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit befasst er sich mit dem Zusammenhang von Führung und Lernen. Er interessiert sich für die Frage, was eine «gute Schule» ist und was Führungspersonen dazu beitragen können. Unter anderem leitet er den Lehrgang «Pädagogische Schulführung» und «Schulführung und Inklusion».
Redaktion: Melina Maerten
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