In der Rubrik «5 Fragen an …» interviewt Schulleiterin Regina Stadler den Schulleiter Eckart Störmer und reicht damit den Stafetten-Stab weiter. Störmer leitet eine Tagessonderschule für Schüler mit Schwierigkeiten im sozial-emotionalen Bereich.
Elternzusammenarbeit ist an eurer Schule ein sehr gewichtiges Thema. Gibt es ein Geheimrezept im Umgang mit Eltern?
Das glaube ich nicht. Es gibt viele Schulen, die eine ausgesprochen gute Beziehung zu den Eltern haben. Leider nicht alle. Wenn du ein Rezept hören möchtest: Man sollte grundsätzlich davon ausgehen, dass die Anliegen der Eltern aus ihrer Sicht absolut berechtigt sind, auch wenn sie uns merkwürdig oder sogar unverschämt erscheinen. Was man loslassen muss, ist die Vorstellung von richtig und falsch.
Wenn eine aufgeregte Mutter zu mir kommt und mir Vorwürfe macht, dann bringt es nichts, diese zu widerlegen. Ich kann ihr zuerst sagen, dass es toll ist, dass sie mit ihrem Anliegen sofort zu mir gekommen ist und dass ich das besonders schätze, weil man sicher eine Lösung zusammenfindet. Dann muss die Mutter mir mitteilen können, was sie stört, ohne dass ich sofort sage, dass das aber anders war. Meine Sicht stelle ich zurück. «Oje, Sie haben gedacht, ich hätte absichtlich …», «Das tut mir leid, dann verstehe ich ihren Ärger.» Mein Standpunkt kommt erst, wenn sie sich verstanden fühlt. Empathie eben. Das Entscheidende passiert in der Beziehung.
Das zweite grosse Thema ist die Musik. Warum ist sie bei euch so wichtig?
Bei uns lernt jede Schülerin und jeder Schüler ein Instrument und spielt im Orchester. Das ist aber kein Zwang. Bei der Evaluation hat man die Schülerinnen und Schüler gefragt, was ihnen an der Schule am besten gefällt. Die Auftritte bei den Konzerten haben sie geantwortet. Musik hat unglaublich viele Vorteile: Sie macht Spass, sie spricht das Gefühl an, man muss nicht reden, man wird besser durchs Üben, man kann auftreten und Familienmitglieder sind beeindruckt, im Orchester braucht man die anderen und sie brauchen einen (Nachhaltigkeit!).
Ein Orchester ist das Modell einer gelingenden Kooperation. Das ist doch geradezu fantastisch für eine Schule, oder nicht? Und wenn alle auf der Bühne stehen und staunen, was für eine hohe Qualität gemeinsam geschaffen wurde, die Eltern applaudieren und die Kinder strahlen – dann geht man erfüllt und zufrieden nach Hause. Ich kenne keine andere pädagogische Massnahme in der Arbeit mit Schülern mit einem herausfordernden Verhalten, die ein solches Ergebnis ermöglichen würde.
Stichwort Nachhaltigkeit – wie gelingt es dir, die Schülerinnen und Schüler für dieses Thema zu sensibilisieren?
An unserer Schule gibt es dazu eine ganze Reihe von Aktivitäten. Der Höhepunkt war der Bau einer Solaranlage mit den Schülerinnen und Schülern auf dem Schulhausdach. Daneben gibt es kleinere Projekte vom Gemüsegarten bis zum Cleanup-Day. Die Schülerinnen und Schüler sind leicht dafür zu gewinnen. Kürzlich kamen einzelne Schüler zu mir und machten Vorschläge, wie man bei uns noch Energie sparen könnte. In dem man zum Beispiel bei den Aussentüren dafür sorgt, dass sie von selbst zugehen. Eine gute Idee, die wir umsetzen werden. Auch das Umsetzen bedeutet Nachhaltigkeit. Ich sehe das aber auch als ein Thema für die Pädagogik. Sie kann nachhaltig sein oder nicht.
Es geht darum, zu verstehen, dass wir die Welt gemeinsam durch unsere Handlungen hervorbringen. Wir sehen den eigenen Einfluss aber oft als unbedeutend. Das hat psychische Folgen, denn wir wollen ja selbstwirksam sein. In Wirklichkeit kann aber jeder in der Umwelt was bewirken. Wenn wir verstehen, wie unsere Mitmenschen uns wahrnehmen und was wir der Natur antun, dann erkennen wir darin unsere eigene Wirkung.
Was sagst du zu multikulturellen Teams – Chancen, Risiken, Erfolgsfaktoren?
Chancen? Ja! Risiken? Natürlich auch!
Ich habe mal gehört, dass diverse Teams entweder besonders gute oder schlechte Ergebnisse liefern, jedenfalls keine durchschnittlichen. Das ist aus meiner Sicht absolut richtig. Unser Team ist grossartig und wirklich divers. Unsere Mitarbeiter bringen unterschiedliche Qualitäten ein, die wir ohne sie nicht hätten. Aber solche Leute haben auch ihre Ecken und Kanten. Würde ich mich damit aufhalten, dann wäre es nicht lustig. Aber wozu sollte das gut sein?
Es geht eben gerade um die unterschiedlichen Stärken. Also versuche ich, die Dinge so einzurichten, dass sie ihre Stärken zeigen können. In diversen Teams können Widersprüche schnell einmal dramatisch aussehen, weil man sich nicht unmittelbar versteht und Zeichen falsch deutet. Man muss lernen, dass hinter den Handlungen der Kollegen stehende Anliegen zu verstehen. Auch hier geht es um Empathie.
Als Schulleiter bist du oftmals auch ein Problemlöser. Von wo holst du dir die Energie, um am nächsten Tag das nächste Problem motiviert anzugehen?
Zeit mit meiner Familie verbringen. Auch das Tagebuchschreiben ist für mich wichtig. Das geht am besten, wenn man wild drauflos schreibt, auch wenn man das Gefühl hat, es komme Unsinn dabei heraus. Beim Schreiben bekommt alles einen Sinn. Von Zeit zu Zeit darin zu lesen, ist wunderbar und unglaublich spannend. Das entlastet mich und gibt mir Raum.
Dann brauche ich ab und zu einen guten Zuhörer, der sich traut, mir etwas zu sagen, aber auch nicht alles kommentieren muss. Das ist oft meine Frau, aber nicht nur. Etwa alle zwei bis drei Monate reise ich allein für zwei Tage ins Tessin. Dort gehe ich spazieren und habe Zeit zum Nachdenken.
Regina Stadler, Schulleiterin Schule Wehntal
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: zVg
Sehr inspirieren, danke. Ihre Antworten unterstützen mich bei meiner neuen beruflichen Herausforderung.
Danke für das Feedback. Das freut mich sehr.