Co-Working-Raum Kanti Romanshorn

Raumgestaltung an Schulen – Schnittstellen zwischen Pädagogik und Architektur

Jeder Mensch steht in Resonanz zu seiner Umgebung, beeinflusst sie und wird von ihr beeinflusst. Dieses Gesetz ist eine universelle Gesetzmässigkeit, die tagtäglich auf unser Leben einwirkt. Rektor Stefan Schneider meint, dass diese Tatsache auch für die Schule als Lern- und Lebensort gilt und für die Menschen, die zusammen ihre Zeit am Arbeitsort verbringen.

Wird die Schule als Lern- und Lebensort betrachtet, so müsste deren Raumgestaltung einen wichtigen Stellenwert in den Schulentwicklungs-Konzepten einnehmen. In der Realität ist die Raumgestaltung jedoch in vielen Fällen ein nicht berücksichtigtes Element im Schulalltag und in den Unterrichtsentwicklungen.

«Raumpädagogik»

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass die Architektur und die Gestaltung von Innen- und Unterrichtsräumen an Schulen zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Zahlreiche Studien belegen, dass Räume und Umgebungen Auswirkungen auf Lernleistungen, Wohlbefinden und Sozialverhalten haben und das Lernverhalten und die Bildungsprozesse der Schülerinnen und Schüler beeinflussen.

Die Raumgestaltung eines Schulzimmers, wie man es von früher kennt.

Bisher waren Pädagogik und Raumgestaltung beziehungsweise Architektur zwei unterschiedliche, voneinander getrennte Welten. In Zukunft werden Schulen diese beiden Aspekte vereinen, als Orte des kulturellen Austausches, als soziale Begegnungsstätten, als Freizeit- und Lebensräume und als Orte der Wissensaneignung.

Die heutigen Schulen brauchen sowohl pädagogische Konzepte, welche die Jugendlichen bestmöglich auf ihrem Ausbildungsweg begleiten, als auch Räume, welche diese Konzepte ermöglichen und unterstützen.

In der Regel findet in den Schulen eine klare Trennung zwischen Lernen und Freizeit beziehungsweise zwischen Unterrichtssequenzen in den Schulzimmern sowie der Pausengestaltung statt. Die Lektionen in Schulzimmern dauern 45 oder 90 Minuten und werden durch kurze Pausen und einem Fächerwechsel unterbrochen/fortgesetzt. Die Unterrichtstage sind getaktet, die Zeiten, die Räume und die zugeteilten Lehrpersonen mittels Stundenplans in der Regel vorgegeben.

Lernen geschieht in Scheiben und Rationen und in einer Raumumgebung mit dazu gehörenden Materialien. Nur in Spezialwochen und bei projektartigen Unterrichtsettings (mit offenen Zeitfenstern) lösen sich diese Vorgaben zum Teil auf, die Innenräume und Zwischenräume werden anders genutzt und bespielt, das lehrerzentrierte Unterrichten wird durch offene Lernformen ersetzt.

Personalisierung des Lernens

Durch das veränderte Lernverhalten der Jugendlichen sowie die Digitalisierung des Alltags und der Wissensaneignung offenbaren sich neue, angepasste und weniger starre Formen des Lernens und des Unterrichtens.

Die Methodik des Lernens wird in Zukunft vermehrt zur «eigenen Sache des Schülers» – sie wird sozusagen persönlich und unterstreicht die Aussage von Heinz von Foerster: «Lernen ist das Persönlichste auf der Welt, so eigen wie dein Gesicht».

Diese Tatsache hat neben dem veränderten Rollenverständnis der Lehrperson auch auf die architektonische Gestaltung der Schule ihre Wirkung. Herkömmliche Unterrichtszimmer werden zukünftig ergänzt oder sogar ersetzt. Die generelle Raumaufteilung, die Anordnung der Unterrichtsräume, die Benutzung von Korridoren und Zwischenräumen als Lerninseln sowie die Farb- und Lichtgestaltung müssen in ihrer Vielfalt und ihren Ansprüchen vermehrt angepasst werden.

Das Unterrichtssetting beschränkt sich nicht mehr auf den Dialog zwischen Lehrperson und Lernenden. Erweiterte Lernaktivitäten, wie zum Beispiel kollaborative Lernformen, lernen in Peergruppen (Talk), fächer-und klassenübergreifende Vorträge (Instruktionen), kooperatives Lernen mit Arbeitsteilung, stilles Lernen an digitalen Endgeräten, «Sharing Lernen» etc. erfordern Anpassungen an Schulraumkonzepten.

Lernen wird quasi «personalisiert». Die Methodik des Lernens wird vermehrt auch zur Angelegenheit des Schülers, in Zusammenarbeit mit der Lehrperson, welcher als «Regisseur und Arrangeur» der Lerninhalte weiterhin eine zentrale Rolle einnimmt.

Der Weg zum Ziel beziehungsweise zum Kompetenzerwerb kann dadurch «geöffnet» und gemeinsam erarbeitet werden und bleibt nicht nur der Lehrperson vorbehalten. Die räumlichen Möglichkeiten werden Teil der pädagogischen Werkzeuge, die sinnvoll und dem Lernstoff angepasst eingesetzt werden können.

Silent Office in der Kantonsschule Romanshorn

Lernzonen

Die Raumausstattungen der Schulen verlangen somit zukünftig eine offenere, mobilere Raumarchitektur, aber nichtsdestotrotz mit einer klaren Orientierung, einer sogenannten «Lernraum-Matrix».

Eine solche Matrix kann in (Lern-)Zonen strukturiert werden, in Zonen, die das Unterrichten und Lernen sowie eine Freizeitaktivität ermöglichen und die herkömmlichen Klassenzimmer ergänzen. Solche Zonen ermöglichen den Lehrpersonen, individualisierte, dem Jugendlichen angepasste Lernarrangements anzubieten.

Kantonsschule Romanshorn

Die Kantonschule Romanshorn versucht eine «schrittweise Auflösung» der vorhandenen, fixen Verknüpfung von Fläche und Funktion zu erarbeiten. Die vorhandene Schulstrategie mit den dazugehörenden pädagogischen Massnahmen dient als Orientierungshilfe und Rahmen.

Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Lehrpersonen, Schülerinnen und Schülern, Mitarbeitenden und dem Rektor, erstellte als ersten Schritt einen pädagogischen Bedürfniskatalog. Dieser ordnete die vorhandenen Räume in Lern-, Freizeit-, Zwischen- und Aufenthaltsräume ein- und zu. Diese «Zonen» werden in einem nächsten Schritt im vorgesehenen Wirkungsbereich überprüft, benannt und später umgestaltet, konkret: renoviert und möbliert. Dies ist auch für die Aussenräume vorgesehen.

Am Schluss soll diese (erweiterte) Raumgestaltung die unterschiedlichen Lerntypen und Didaktiken der Schülerinnen und Schüler und der Lehrpersonen widerspiegeln und den Einsatz von personalisierten Lernformen und -aktivitäten erleichtern. Sie sollen für alle frei zugänglich und für die zugewiesenen (Lern-)Aktivitäten genutzt werden können.

Stefan Schneider, Rektor, Kantonsschule Romanshorn

Redaktion: Melina Maerten

Bilder: zVg

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