Oft kritisieren Angestellte mangelnde Wertschätzung von Vorgesetzten. Dies kritisieren auch Lehrpersonen. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären?
Es ist eine anthropologische Konstante, dass Wertschätzung ein zentrales Bedürfnis und etwas vom Wesentlichen im Zusammenleben und -arbeiten ist. Menschen brauchen noch mehr davon, wenn sie belastet oder unsicher sind.
Oliver Sprecher ist Gesamtschulleiter der Primarstufe Reinach in Basel und Mitglied eines 5-köpfigen Schulleitungsteams. Das Team hat sich intensiv mit der Form von Wertschätzung auseinandergesetzt und sich folgende Fragen gestellt:
Welche ist unsere gemeinsame innere Haltung anderen gegenüber? Wie drücken wir authentische Wertschätzung unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber aus (unabhängig von Taten oder Leistungen)? In welcher Form nützt sie ihnen? Ist Wertschätzung etwas Einseitiges?
Wir haben auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen des Weiterbildungsschwerpunkts zur Beziehungskompetenz gefragt, was Wertschätzung für sie bedeutet und uns darüber ausgetauscht.
Was Wertschätzung unter Leitungspersonen und Mitarbeitenden bedeutet
Authentische Wertschätzung gegenüber unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern drücken wir so aus, indem wir als Leitungsteam möglichst oft vor Ort sind, Anteil nehmen an «good practice»-Beispielen unseres Schulalltags und regelmässig spontane, reguläre oder CWT-Unterrichtsbesuche (Classroom Walkthrough) durchführen. Wir sind, wenn leistbar, anwesend bei Schul(haus)anlässen verschiedenster Art. Wir interessieren uns für die Arbeit unserer Mitarbeitenden. Wir schauen genau hin, hören zu, fragen nach und lassen uns erklären.
Wir treten mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wohlwollend und respektvoll in Kontakt, suchen aktiv das Gespräch und den konstruktiven-kritischen Austausch über Unterricht und Schulalltag. Ein Zeichen von Wertschätzung sind für uns deshalb auch regelmässig stattfindende Mitarbeiter- und Feedbackgespräche, wo gemeinsam auf qualitativer Ebene Ziele und Meilensteine vereinbart werden. Wir binden unsere Mitarbeitenden partizipativ in Entscheidungsprozesse ein, setzen sie bewusst als Expertinnen und Experten ein und fördern so aktiv den Austausch von Wissen untereinander.
Wir unterstützen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in kritischen und belastenden Situationen, stehen Ihnen zur Seite, halten Ihnen den Rücken frei und nehmen sie in die Pflicht. Gelebte Wertschätzung, und das ist unser Credo, bedeutet für uns, Vertrauen in die Arbeit unserer Mitarbeitenden zu haben und so ihr Selbstwertgefühl zu stärken – letztendlich setzt dies neue Kräfte frei und wirkt motivierend!
Eine lebendige Wertschätzung zeigen
Darüber hinaus gibt es an unserer Schule noch die Form von lebendiger Wertschätzung, welche nirgends niedergeschrieben ist. Als 175-köpfige Schulgemeinschaft zelebrieren wir bestimmte Anlässe und Rituale, zu welchen jeweils die Schulleitung einlädt:
Gemeinsamer Grillanlass vor Beginn des neuen Schuljahres, Weihnachtsessen für Schulhausleitungen und Steuergruppenmitglieder, Abschiedsessen für austretende Mitarbeitende und Anlässe für Mitarbeitende, die in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Während des Schulalltags «versüssen» wir regelmässig die Weihnachts,- Oster,- Frühlings- und Sommerzeit unserer Teams in den Quartierschulhäusern und Kindergärten mit einer kleinen Aufmerksamkeit oder einem Goodie.
Auch die kommunalen Behörden drücken ihre Wertschätzung den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber mit einem jährlich wiederkehrenden Motto-Fest aus. Und zu guter Letzt ist es uns äusserst wichtig, dass wir uns mit einem persönlichen Wort, einer Geste, einem Dank, einem Glückwunsch oder ganz generell als Zeichen der Wertschätzung bei Geburtstagen, Hochzeiten, Geburten, Spitalaufenthalten, Langzeiterkrankungen oder Todesfällen an unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richten können.
Oliver Sprecher, Gesamtschulleiter Primarstufe Reinach BL
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Guten Tag Herr Sprecher
Vielen Dank für Ihren Beitrag. Ich finde ihr Zusammenstellung der verschiedenen Möglichkeiten von wertschätzender Führung sehr gelungen. Es ist ein bunter Blumenstrauss von wertschätzenden Elementen. Es beinhaltet sowohl die Wertschätzung der Person an sich aber auch die Lehrperson in ihren Beruf und viele Zwischenfacetten.
Meine Frage an Sie: wie sieht dies ihr Team? Nimmt das Team die vielfältigen wertschätzenden Gespräche und Gesten wahr? Oder ist vieles zur Selbstverständlichkeit geworden?
Ich habe auch schon die Erfahrung gemacht, dass viele dieser Gesten von Lehrpersonen gar nicht mehr wahrgenommen werden, gerade dann, wenn es schwierig ist und Lehrpersonen und Mitarbeitende unter Druck stehen.
Liebe Frau Augustin
Vielen Dank für ihr differenziertes Feedback. Wir beobachten Ähnliches – im 1:1-Gespräch mit unseren Angestellten wird uns diese Art von Wertschätzung positiv gespiegelt.
Als Gesamtkollegium wird es nicht in diesem Masse wahrgenommen. Dies hält uns dennoch nicht davon ab, daran festzuhalten und Wertschätzung so zu leben.
Danke für Ihre Gedanken zum Thema Wertschätzung. Ich kann sie alle unterstützen!
Als Ergänzung zum Gesagten finde ich es enorm wichtig, dass bei guten und sehr guten Leistungen auch mal ein Lob ausgesprochen wird. Achtung: Ein Dankeschön ist kein Lob! Warum kommt uns das nicht in den Sinn? Warum fällt uns dies so schwer? Ich sehe immer wieder, dass v.a. bei der an der Schule involvierten Personen die Kritik näher ist als ein Lob! Leider ist die Haltung des halbleeren Glases immer noch weit verbreitet! Wertschätzend wäre aus meiner Sicht das halbvolle Glas!
Herzliche Grüsse, Andrea Schwarz, Lehrerin, Q-Leiterin, Schulorganisationsentwicklerin und Schulpraxisberaterin
Lieber Oliver Sprecher
Danke, dass Sie diesem Thema vertiefte Aufmerksamkeit schenken. Es ist immens wichtig. Sicherlich sind alle Möglichkeiten, die Sie nennen sehr wichtig für die berufliche Entwicklung, insbesondere die regelmässigen Gespräche mit der Schulleitung sind ein Schlüssel zum Erfolg.
Meiner Erfahrung nach ist aber nicht ‘nur’ die Schulleitung dafür eine wesentliche Ressource, sondern das gesamte Team, alle Kollegen insgesamt. Und hier ist ganz wichtig, welche Kultur der Zusammenarbeit und des Vertrauens wir etablieren.
Bei Wertschätzung geht es aber nicht nur um positive Bestätigung, es ist noch eine Dimension grösser. Oftmals wird es als Entlastung empfunden, Hilfe anzubieten, wenn man sieht, dass jemand sehr angestrengt ist. Raum schaffen auch für persönliche Gespräche (nicht nur über die Arbeit an sich). Der Mensch selbst möchte wahrgenommen werden als mehrdimensionaler Mensch und auch einmal die Rolle des Lehrers/der Lehrerin verlassen dürfen.
Dazu gehört für die Schulleitung auch, sich als Mensch zu zeigen mit vielen Facetten. Das ist eine Herausforderung, aber auch hier darf man vorangehen.
Ein wirklich wichtiges Thema, danke dafür!
Beste Grüsse!