Die integrative Kraft des Orchesters – Warum es sich als Schule lohnt, einen Vollblutmusiker anzustellen

An der Tagesschule Oberglatt, einer Schule für Schüler mit Problemen im sozial- emotionalen Bereich, lernt jeder Schüler ein selbst gewähltes Instrument und spielt in einer Band oder einem Orchester. Dies hilft den Schülern, sich wieder als Teil eines Ganzen zu empfinden.

Schüler mit herausforderndem Verhalten sind in unserem Schulsystem oft die, die nicht mitspielen dürfen. Sie befinden sich in einem Misfit in Bezug auf ihr Umfeld. Sie sind aus dem Rhythmus gefallen.

Im Schulorchester können sie selber ihre Rolle auswählen – nicht jeder möchte Flöte spielen – und sich mit ihren Fähigkeiten und ihrem Temperament einbringen. Um dabei zu sein, genügt es am Anfang, im richtigen Moment einen einzigen Ton zu spielen.

Man kann das Orchester als Sinnbild und zugleich Modell für Integration auffassen. Es erlaubt eine Gemeinsamkeit, die Widersprüche tragen kann. Ein Flötenspieler leistet da einen anderen Beitrag als die E-Bassistin, eine Keyboarderin einen anderen als der Drummer, und doch sind alle wichtig, wenn sie zusammen einen Rhythmus finden.

Es geht darum, sich mit seinen Eigenheiten in Resonanz mit seinem Umfeld zu bringen und Emotionen auszudrücken. Dazu braucht man einen Vollblutmusiker, der viele verschiedene Instrumente vermitteln und ein Orchester leiten kann.

Für unruhige Schüler ist die Musikstunde eine willkommene Situation, in der sie ihren Aktivitätsdrang auf eine verbindende Art einsetzen und dabei wichtige überfachliche Kompetenzen erwerben. Zweimal im Jahr stehen dann alle gemeinsam auf der Bühne und liefern eine beeindruckende Performance ab. Dieser Moment macht alle stolz, allen voran die Eltern. Bei manchen erlaubt das geradezu eine Verwandlung.

Ich denke an einen Autisten, der anfangs keine lauten Geräusche ertragen konnte, sich die Ohren zuhielt oder weinte, wenn es laut wurde und später ein verblüffend perfekter Drummer wurde, der ein ganzes Orchester trägt. Oder das Mädchen, das immer durch eine ausgesprochene Unsicherheit und ungelenkes Auftreten auffiel, das beim Abschlusskonzert als eine selbstbewusste Person mit ausdrucksvoller Stimme einen ganzen Saal rührte.

Informationen zum Musikunterricht an der Tagesschule Oberglatt gibt es hier zum Nachlesen:

Eckart Störmer, Schulleiter Tagesschule Oberglatt

3 Gedanken zu „Die integrative Kraft des Orchesters – Warum es sich als Schule lohnt, einen Vollblutmusiker anzustellen“

  1. Tolle Schule! Ich selbst war auch ein „Misfit-Schüler“, aber meine Band und die Musik waren mein Ausgleich, meine Wahrheit und meine Sprache. Was ich beim Musizieren über mich und andere gelernt und verstanden habe, konnte und wollte mir die Schule nicht geben.

  2. Lieber Eckart
    Mit deinem Artikel sprichst du mir aus dem Herzen. Musik kann ein so verbindendes Element sein und Schülerinnen und Schüler auf einer anderen Ebene berühren als dies in den übrigen schulischen Fächern passiert.
    Leider ist es in vielen Schulen so, dass der Musikunterricht ein stiefmütterliches Dasein fristet. Schnell muss mal eine Musikstunden weichen, um „Wichtigerem“ Platz zu machen. Disziplinarische Probleme – so viele Lehrpersonen – stören den Musikunterricht. Wenn ich aber auch an meiner Schule sehe, wie die Unterstufenkinder mit grosser Freude in die musikalische Grundausbildung gehen und wie einige Kinder (auch sogenannt „schwierige“ Kinder) dabei so richtig aufblühen, kann ich deine Aussage, dass Vollblutmusiker an einer Schule ein Gewinn sind nur unterschreiben!

    1. Liebe Simone
      Vielen Dank für das Feedback. Ja, genau. Dabei würde der LP 21 eigentlich auch der Musik einige Bedeutung geben.
      Leider legen wir oft noch mehr Wert auf die ‚prüfbaren‘ Fächer als auf die, die Körper und Geist als Ganzes ansprechen.

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