Denken bei 300 km/h

Der TGV zischt wie ein Pfeil durch die flache Landschaft zwischen Amsterdam und Paris. Mit 300 km/h zieht die Landschaft an mir vorbei. In mir drin ist genau das Gegenteil. Ich bin am Schreiben eines Buchbeitrages und erfahre wieder einmal, das Denken und Schreiben langsame Prozesse sind. Ich meinte den Text in meinem Kopf zu haben und ihn nur noch aufschreiben zu müssen. Weit gefehlt! Beim Schreiben zeigen sich Unschärfe in der Argumentation und Brüche in den Zusammenhängen. Das ist der Grund, warum mir das Schreiben so wichtig ist, auch wenn es anstrengend und manchmal mühsam ist. Gerade jetzt wo der Abgabetermin bedrohlich nahe rückt und der Text sich einfach sperrt würde ich gerne einfach wie der TGV rasen. Aber unterschiedliche Dinge brauchen unterschiedlich Zeit.

Ich glaube, ein Rezept erfolgreicher Schulführung ist, sich bewusst die Zeit einzuteilen und sich für unterschiedliche Dinge unterschiedlich Zeit zu nehmen. Eigentlich warten 100 Mails auf eine Antwort und in meiner To do-Liste leuchten einige Punkte dunkelrot. Diese müssen warten – denn jetzt ist Zeit zum Denken und schreiben. Vielleicht heute Abend oder morgen ist dann ihre Zeit gekommen und der Text muss ruhen. In meiner Zeit als Schulleiter musste ich lernen immer ein Ding nach dem anderen zu machen und nicht alles gleichzeitig. Die hat übrigens auch dazu geführt, dass ich wieder «Herr meiner Agenda» wurde. Ich bestimme, wann ich was mache und was ich auf der Seite lasse.

Wenn nun einige denken, dass ich dies nun doch sehr ‘schön male’, dann muss ich zum Teil leider zustimmen. Auch mir passiert es immer wieder, dass ich im Meer des Unerledigten und des Dringenden untergehe und wie ein steuerloses Schiff im Sturm treibe. Hier helfen mir kleine Tricks. Zum Glück reklamiert meine Assistentin, die Herrin meiner Agenda, ab und an, dass sie keine Termine mehr finden kann und droht, dass sie ganze Tage für sich einfach reserviert. Oder ich nehme statt das Flugzeug den Zug und habe so einen ganzen Tag Zeit um zu Lesen und zu Schreiben. Ich kenne Schulleitende, die ganz ähnliche Tricks anwenden. So geht beispielsweise eine Schulleiterin zusammen mit ihrer Co-Leiterin konsequent die letzten drei Arbeitstage jedes Monates in ihr Ferienhaus. Die drei Tage nutzen sie um zu denken und ihre Schule weiterzuentwickeln. Aber auch um sich selber Sorge zu tragen und die Zusammenarbeit zu stärken. «Diese drei Tage sind uns heilig», meinte die Schulleiterin im Interview und fügte dann mit einem Schmunzeln dazu «leider müssen wir sie manchmal auf zwei Tage verkürzen». Da das Ferienhaus jedoch nicht in der Nähe ist, lohnt sich die Anreise für zwei Tage kaum. Auch das ein kleiner Trick.

PS: Wer auch einmal denkend mit dem TGV nach Amsterdam reisen will: Wir fahren mit der Studienreise Schulführung und -entwicklung International und dem CAS Pädagogische Schulführung auch im nächsten Jahr wieder nach Amsterdam. Auch das ein Trick, sich Zeitfenster zum denken herauszunehmen.

Niels Anderegg, Zentrumsleiter Management und Leadership, PHZH

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