Dieser eine Schritt

von Jonas Maurer

Was mache ich hier? Nur ein Schritt, eine Tür öffnen und mein Leben wird sich für immer verändern. Eben freute ich mich noch auf diesen Moment und jetzt? Wer ist diese Frau im Spiegelbild? Will sie das wirklich? Ist sie schon bereit diesen Schritt zu gehen? Dieses wunderschöne Kleid in diesem fast schon unwirklichen Entrée. Diese Ohrringe, so schöne hatte ich noch nie und doch ziehen sie mich nach unten, als wären es Bleigewichte, welche mich in die Tiefe eines Sees ziehen und mich ertrinken lassen. Ich, der Gang und diese Tür. Die Tür, die, wenn ich sie öffne, alles verändert. Falls ich sie öffne. Mein Spiegelbild schaut mich unwirklich an. Ein kurzer Moment der Entschlossenheit und dann? Schon wieder passé. Unsicherheit. Meine Hände zittern. Vor Angst, vor Aufregung oder von beidem? Ich weiss es nicht. Das kann doch nicht sein! Ich habe so lange auf diesen Moment gewartet, habe mich gefreut, fast schon in etwas reingesteigert. Ja, vielleicht ist es das. Ja, genau das muss es sein. Ich habe mich zu sehr gefreut. So einfach, und nun habe ich kalte Füsse bekommen. Ich fürchte mich davor, dass die, in jedem Augenblick gefühlte Freude, der Vorfreude nicht genügen kann. Ja, das muss es sein. Und nun nehme ich diesen Knauf in die Hand und… oder ist das nicht eine Türklinke? Ganz klar, eine Türklinke, aber das ist doch sans importance. Wichtig ist nur, dass ich jetzt die Türklinke in die Hand nehme und endlich diese Tür öffne. Diese Tür, die alles verändert. Diese Tür, die das Tor zu einer langersehnten Zukunft bedeutet. Zu meiner Zukunft! Meine Hände sind schwitzig. Ich beginne noch heftiger zu atmen als schon zuvor. Mein Herz pocht, es droht zu zerspringen. Adeline verliere die Contenance nicht! Atme tief ein, schau dir in die Augen, du kannst das. Das ist dein langersehnter Moment. Doch jetzt, sowie ich in meine Augen blicke, sehe ich Angst. Panik! Ich kann nicht! Das ist zu viel für mich! Ich kann immer noch zurück ich… kann ich das noch? Kann ich wirklich noch zurück? So weit habe ich es gebracht, so weit bin ich gekommen, so viel habe ich investiert und nun zurück? Nein ich kann nicht mehr. Ich stecke viel zu weit drin. Ich kann nicht. Ich ging zu weit. Ich kann unmöglich zurück, was würden sich die anderen denken? Adeline nimm dich zusammen und hab ein wenig Courage. Es ist nur eine Türe, nur ein Knauf, nur ein Schritt. Eigentlich nur ein kleiner Schritt, aber ein grosser Schritt für mich. Alles wird sich ändern. Meine Knie zittern. Mein Herz pocht. Mein schönes Kleid, dessen sanfter Samt mich umgibt. Ich habe schon viele schöne Kleider getragen, aber dieses übertrifft alle und genauso wird dieser Moment sein, in dem ich endlich diese Türe öffne. Das Tor zu einer neuen Welt. Zu einer Besseren. Mein Spiegelbild blickt mir in die Augen. Dieser Blick, diese Augen, ce visage. Es sieht mich entschlossen an. Diese Entschlossenheit in meinem Gegenüber. Und doch, tief in mir, spüre ich noch einmal die Unsicherheit aufkommen. Wäre ich doch nur so entschlossen, wie mein Spiegelbild. Wäre ich doch diese entschlossene Frau. In mir kämen keine Zweifel auf. Ich stünde nicht so lange vor dieser Türe. Ich ginge, ohne zu zögern durch dieses Tor. Aber vielleicht brauche ich diese Unsicherheit. Vielleicht brauche ich diese Zweifel. Vielleicht brauche ich noch diesen einen letzten Kampf gegen mich selbst. Doch wer gewinnt? Mein Spiegelbild! Dieses Spiegelbild, das mich ohne Zweifel ohne jegliche Unsicherheit ansieht. Liebend, dass ich gleich diesen Schritt gehen werde. In Erwartung, dass ich gleich dieses Tor öffne und sich mir eine neue Welt bietet. Voller Freude, dass ich diesen Schritt nun gehe. Noch immer habe ich schwitzige Hände, noch immer pocht mein Herz, noch immer zittern meine Knie. Aber nichts kann mir diese Gewissheit nehmen! Hinter dieser Türe befindet sich mein neues Leben. Ein besseres, eines, dass ich wirklich will. Noch einmal sehe ich in meine Augen. Mein Spiegelbild geht voraus, macht den ersten Schritt. Und dann, kurz vor dem Ergreifen des Knaufs, der Türklinke, drehe ich mich noch einmal um.

Jonas Maurer studiert auf der Sekundarstufe 1.

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