Eyn thugendlehrstûck

um eynen gar wunderlichen sûndfall wie er sich zuogetragen anno Domini 1998 zuo Eton im kônigthum Ænglandia.

Eyn furmalig doctor und arg quacksalber, zum geschlecht geheißen Wakefield, publicierte eyn gewitzt lûgschrift zum zweck der buurenfângerey, in der geredet ward von eynem tyflischen vakzin, das muntere kindlein an authismen kranken ließ./ Gar vîl doctoren und grûndlich bewandert leut sahen, daſʒ diese geschicht ein lûgenmaar war und beeylten sich, das ângstlich und argwônlich volch zu beschwôren, îren kindlein das vakzin zu geben, auf daſʒ sie nicht an der Maserenseuch zugrund gehen mûssen./ Doch vîl volchsleute verwahret sich und îre bâlger fortan vor dem schûtzend vakzin und sahen in dem quacksalber Wakefield eyn klug und muotig mann, der wahr zuo înen sprach./

Eyn berufsschreyberling vom geschlechtsnamen Deer, gar verwundert ûber den unselig lûgeneyffer des furmalig doctori, entlarvte nach eyner grûndlich sucherey, daſʒ Wakefield von riichtumsgyr getrieben dîse truggeschicht gesponnen hatt./ Nicht nur ward îm eyn stattlich vermôgen von den advocaten aberglâubig edelleut gegeben, auf daſʒ er die so beschriebene lûgschrift verfasst, er besass noch dazuohin eyn patent fûr eyn anderes vakzin, das er dem volch als heilsam fûr îre zart und schuldlos kindlein pries./

Fûrderhin gebannt aus dem kreis der doctoren durch seyn gyrgetrieben lûgwerch, flûchtet

Wakefield zuo den spinnerten und argseligen leut, die der medicinisch vernûnfteley standhaft trutzen./ Umschaart von eydechsenleut, silberpapîrmûtzen, stubenhexen und judenfeynden muss Wakefield furtan seyne lûgenmaar tag um tag beschwôren, um so seyn brot zu verdienen./

Anno 2016 ward der quacksalber gesehen auf eyner vermaledeiten chrûzfâhre vor Mexico fûr ebendies volch, wie er gequâlet und ermûdet an eynem tische sass, umringt von allerley spinntisierern./

Wohl wûnscht sich der furmalige doctor Wakefield, daſʒ er sich nicht aus goldgyr um seyn ansehen und die gesellschaft bewanderter leut gebracht hätt./ Doch wie er sich versûndigt, verbannt er sich in die Hôll des stumpfsinns und der forcht wohl bis zum Jûngsten Tag.

Von der Schreyberin und Zeychnerin Lisa Thwaini zuo Zurichen anno Domini 2021

  • Diese frühneuzeitlich anmutende Moralerzählung basiert auf der Geschichte des britischen Arztes Andrew Wakefield, der durch seine als Schwindel entlarvte Studie zu einem angeblichen Zusammenhang der MMS-Impfung und Autismus zweifelhafte Berühmtheit erlangte. Wakefield gilt als zentrale Figur in verschwörungstheoretischen Kreisen, weil er die längst widerlegten Ergebnisse seiner Impfstudie nach wie vor propagiert. Anscheinend sei Wakefield aber nicht besonders glücklich darüber, sein Dasein unter Verschwörungstheoretiker*innen zu fristen, die er im Grunde verachten würde. So zumindest spekulierte ein Journalist, der Wakefield 2016 auf einer Kreuzfahrt für Verschwörungstheoretiker*innen begegnete. Wakefields Engagement erkläre sich wohl weniger aus (pseudowissenschaftlicher) Überzeugung als aus einem Mangel an anderen Verdienstmöglichkeiten, zumal er nach seiner Überführung mit einem Berufsverbot belegt wurde. So gesehen könnte Wakefield nicht einmal mehr als charismatischer Spinner durchgehen, sondern erschiene einfach als Typ, dessen finanzielles Kalkül nicht aufgegangen ist. Mehr Entzauberung geht kaum. Mehr Verzauberung aber auch nicht, weil sich aus dieser Vorlage eine nahezu märchenhafte Geschichte über Schuld und Sühne spinnen lässt, die in ihrer Rundheit wie aus der Zeit gefallen wirkt.

Lisa Thwaini studiert an der PH Zürich und arbeitet als Tutorin im Schreibzentrum.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert