Das M steht für Mirco

Wenn Mirco die Papiertüten der Migros sah, die recycelbaren mit dem orangen M drauf, dann überlegte er sich manchmal, wie es wohl wäre, wenn das M nicht für Migros, sondern für Mirco stehen würde. Es wurde ihm jedes Mal nach nicht allzu langer Zeit schwindelig von dem Gefühl, dass sich alles nur um ihn drehen könnte.

Doch dann besann er sich darauf, dass die Farbe Orange gar nicht zu ihm passte. Ein Lagerfeuer in der Dunkelheit leuchtete in hungrigem Orange, oder ein kraftvoller Sonnenaufgang. Er war weder hungrig noch kraftvoll. Charakterlich gesehen natürlich. Denn jetzt, wo er so darüber nachdachte, meldete sich doch ein leichtes Hungergefühl, aber das bezog sich auf den Duft vom Grillhähnchenstand neben der Migros, und nicht auf das Leben im Allgemeinen.

Er war weder flauschig, wie das glänzende hellorangene Fell seiner Nachbarskatze, die ihm um die Beine strich, sobald sie ihn sah, noch war er auffordernd wie das Orange der Ampel, die er gerade ansteuerte. Wie immer war er hin- und hergerissen, weil er nach all diesen Jahren noch nicht verstanden hatte, ob das Ampelorange ihn nun aufforderte, noch schnell über die Strasse zu huschen, oder doch stehen zu bleiben, um auf das gebieterische Rot zu warten. Meistens verfiel er aus reiner Unsicherheit in ein leichtes Joggen, nur um dann in letzter Sekunde zu zögern, abrupt zu stoppen und auf das sichere Grün zu warten.

Er war eben doch lieber korrekt, so wie das Häkchen früher, welches in mehrfacher Wiederholung seine Schularbeiten zierte. Tiefdunkelgrün leuchteten sie gemeinsam mit dem stolzen Lächeln seiner Eltern um die Wette. Gleichzeitig erfüllte ihn dann eine angenehme Wärme, so wie wenn er sich auf den moosbedeckten Stein setzte, der sich direkt auf der Waldlichtung hinter seinem Elternhaus befindet und somit immer von der Sonne gewärmt wurde. Mirco mochte diesen Ort, seit er ihn das erste Mal entdeckt hatte, als er überwältigt von der kräftezehrenden Buntheit dieser Welt schutzsuchend durch das Dickicht des Waldes gestreift war und sich von den verschiedenen Grüntönen beruhigen hatte lassen.

Eigentlich sollte es ein grünes M sein, dachte sich Mirco schlussendlich. Sobald er zu Hause ankäme, würde er einen Leserbrief schreiben.

Mircos Farbspektrum (Kollage: Laura Bachmann)

Laura Bachmann studiert an der PH Zürich und arbeitet als Tutorin im Schreibzentrum.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert