Das Elend mit dem Binde-Strich
«Eines der besonderen Merkmale der deutschen Sprache ist die Fähigkeit, durch Zusammensetzung von Wörtern neue Begriffe entstehen zu lassen. Aus Sport und Platz wird Sportplatz, aus Dampf und Schiff wird Dampfschiff, aus Auto und Bahn wird Autobahn. Das gilt nicht nur für zwei Wortteile, sondern für beliebig viele: Sportplatztribüne, Dampfschifffahrtsgesellschaft, Autobahnraststättenbetreiber. (…) Eine Wortkette aus mehr als 30 Buchstaben erweist sich für das lesende Auge bisweilen als Stolperstein und führt zu Irritationen. Ein sinnvoll gesetzter Bindestrich kann Abhilfe schaffen und den Lesefluss verbessern. So weit – so gut. (…)
Um es bildhaft auszudrücken: Wo ein Bindestrich steht, da holt das Auge gewissermassen Luft. Um bei längeren Wortketten nicht aus der Puste zu kommen oder um ein Element besonders zu betonen, ist das Luftholen eine sinnvolle Sache. Doch in einem Text, in dem Auto-Bombe, Polizei-Einsatz, Verkehrs-Chaos und Rettungs-Massnahmen gekoppelt stehen, fängt das Auge vom vielen Luftholen förmlich zu japsen an. Besonders hässlich ist es, Wörter auseinander zu reissen, die über ein sogenanntes Fugen-s verfügen. Denn dieses ‹s› erfüllt ja bereits die Funktion eines Bindezeichens: Botschaftsgebäude, Regierungskurs, Entwicklungshilfe, Kriegsmaschinerie und Zeitungsente sind Zusammensetzungen, mit denen das Auge spielend fertig wird. Botschafts-Gebäude, Regierungs-Kurs, Entwicklungs-Hilfe, Kriegs-Maschinerie und Zeitungs-Ente erwecken den Eindruck, die deutsche Sprache gehe am Stock. Texte werden nicht lesbarer, sondern verkommen graphisch zu einer trostlosen Strich-Landschaft» (Sick 2004, 71–75).
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Aus: Sick, Bastian. 2004. Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Ein Wegweiser durch den Irrgarten der deutschen Sprache. Köln: Kiepenheuer & Witsch und Hamburg: Spiegel online.