Greiner klagt in seiner Darstellung unserer Gefühlskultur nicht über Werteverlust. Er beschreibt einen Wandel. Zwar titelt Greiner mit dem Begriff «Schamverlust», doch er antwortet im Untertitel sogleich auf die Verlustvermutung oder die Zerfallsklage: Wandel steht im Fokus. Scham, ein erst in den letzten Jahren in der Psychologie differenzierter Affekt, unterliegt einem Wandel. Der Autor konkretisiert seine, wie er sie selber nennt, «vorläufigen Bestimmungen» mit Rückgriff auf Philosophen und illustriert an Literatur: Hebbel, Kierkegaard, Sartre, Goffmann, Dostojewski, Thomas Mann, Elias, Sennett, Bourdieu, Hans Peter Duerr. Die zentrale These: An die Stelle der alten Schuldkultur und der noch älteren Schamkultur sei eine Kultur der Peinlichkeit getreten. Angst vor Peinlichkeit bewege Menschen etwa dazu, Kleidertrends mittragen oder Schönheitsidealen um jeden inneren und äusseren Preis entsprechen zu wollen.
Kurzrezension von Monique Honegger aus den Medientipps der Zeitschrift «Akzente» 1 (2015): S. 35. – Das PDF gibt es hier.
Ulrich Greiner
Schamverlust: Vom Wandel der Gefühlskultur.
Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2014. 349 Seiten.