ChatGPT und Co. Erste Einordnungen

Die Bibliothek der PH Zürich verfolgt die derzeitige Entwicklung rund um KI-Chatbots mit grossem Interesse. Erste Einschätzungen und Schlussfolgerungen für die Informations- und Medienkompetenz sowie den Bibliotheksbetrieb lesen Sie in diesem Beitrag.

Der Beitrag basiert auf dem vorläufigen Wissensstand Mitte Februar 2023 und bezieht sich hauptsächlich auf Literatur und Quellen zum konkreten Beispiel «ChatGPT».

Vorläufige Schlüsse für die Informations- und Medienkompetenz

KI-Chats wie ChatGPT (Large Language Models) sind ab sofort Teil der Recherche.

Der Umgang mit KI-Chats und der einhergehenden Flut an Informationen erfordert neue Konzepte der Informations- und Medienkompetenz.

Die Grundlagen dafür müssen interdisziplinär erarbeitet werden.

Dazu gehört auch eine kritische Auseinandersetzung mit den kommerziellen Interessen und weiteren Absichten der Betreiber solcher Tools (indirekter «Informationszweck») sowie mit problematischen Mustern in der Datengrundlage, z.B. der Reproduktion von Stereotypen.

Es gilt, Kompetenzen nachzuholen und auszubauen.

KI-Chats wie ChatGPT bergen einerseits die Gefahr, bestehende Defizite in der Informations- und Medienkompetenz zu akzentuieren.

Es ist somit darauf zu achten, dass wichtige Fähigkeitsfelder der Informations- und Medienkompetenz nicht verloren gehen: Wissen über Medientypen, über die Qualität von Quellen, über Publikationszwecke und -prozesse, über Urheberrechte und Lizenzierung, über das Erfassen von (Falsch)Informationen, i.e. wichtige oder falsche Inhalte aus einer Quelle herausfiltern können, etc.

Andererseits haben sie das Potenzial, Metabereiche der Informationskompetenz auf spielerische Art und Weise zu fördern: Etablierung und laufende Anpassung der eigenen Recherchestrategie, richtige Fragen stellen, mentale Flexibilität, Kreativität, schrittweise-annäherndes Vorgehen, Ergebnisoffenheit etc.

Langfristig wird die Informations- und Medienkompetenz nicht an Bedeutung verlieren, sondern gewinnen.

Die oben genannten Fähigkeitsfelder sind zu fördern, Chancen und Grenzen der KI-Chats aufzuzeigen.

Der Rechercheprozess ist und bleibt im Rahmen der Informationskompetenz mindestens so wichtig wie das Rechercheprodukt. ChatGPT gibt ein überzeugend wirkendes Produkt aus, verschleiert den Prozess allerdings bisher weitgehend. Andere Tools sind da weiter.

Es braucht eine erneute Diskussion über die Qualität von Informationen und Quellen.

Die verwendeten Informationen und genannten Quellen eines KI-Chatbots müssen einer Qualitäts- und Relevanzprüfung unterzogen werden, will man die wissenschaftliche Hoheit und Verantwortung für einen Text nicht der Maschine abtreten. Es braucht in diesem Fall eine ergänzende Recherche.

KIs, die halluzinieren und erfinden, oder gar nicht erst referenzieren, sind im Lichte der Informationskompetenz kritisch zu sehen. Selbst bei echten Referenzangaben besteht die Gefahr, dass die KI einzelne überzeugend wirkende Quellen gegenüber der Gesamtevidenz überbetont.

Large Language Models unterscheiden sich konzeptionell von Suchmaschinen. Das hat Auswirkungen auf die Quellenkritik.

Nicht nur die Quellen von KI-Produkten, sondern auch die KI-Produkte selbst sind als Quellen qualitativ einzuordnen. Ob das aus klassischer Sicht der Informationskompetenz überhaupt möglich ist, bleibt offen. Und: Wie bewertet man KI-Texte, die ihrerseits als Quelle KI-Texte verwenden, und so weiter?

Bisherige Qualitätsmerkmale seriöser Quellen, etwa deren sprachliche Güte, stehen mit der Vereinfachung der Textproduktion durch KI auf dem Prüfstand. Andere kooperative Ansätze wie das Peer-Review werden womöglich wichtiger.

Die Qualität einer Quelle beruht auf weiteren «Wahrheitskonzepten» (etwa dem Bezug auf eine geteilte Realität), die fallweise offenzulegen und zu hinterfragen sind.

Die Entwicklung geht rasant weiter.

Die KI-Tools werden viele der genannten Defizite, auch aus Sicht der Informationskompetenz, vermutlich in absehbarer Zeit überwinden.

Vorläufige Schlüsse für den Bibliotheksbetrieb

Informations- und Medienkompetenz wird künftig noch wichtiger.

Formate zur Förderung dieser Kompetenzen sind weiter auszubauen.

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit und curriculare Verankerung sind voranzutreiben.

ChatGPT bezieht seine Antworten derzeit nicht aus dem (aktuellen) Deep Web.

Ob relevante wissenschaftliche Texte in die Antworten eines KI-Chatbots einfliessen, kann nur anhand einer transparenten Offenlegung des Datenkorpus und der Quellen beurteilt werden.

ChatGPT beruht bisher weder auf dem aktuellen Surface Web noch auf dem Deep Web.

Somit behalten Bibliothekskataloge, Datenbanken und Google Scholar etc. vorerst ihre Bedeutung, wenn es um den systematischen Zugriff auf Informationen aus lizenziert-geschützten Quellen geht (Deep Web).

Medien, die offen publiziert werden (z.B. Publikationsstandard Open Access), können hingegen theoretisch als Datengrundlage für KI-Chats wie ChatGPT dienen. Die Entwicklung ist also genau zu verfolgen.

Bereits im Februar 2023 gibt es Tools, die aktuelle Internetinhalte in ihren Antworten berücksichtigen.

KI-Chatbots lassen sich mit dem Deep Web, etwa mit Bibliothekskatalogen oder Datenbanken, verknüpfen. Als Korpus kommen in diesem Fall nicht nur Metadaten infrage. Die Chat-Antworten entstünden beispielsweise auch aus offenen oder bereits gekauft-lizenzierten wissenschaftlichen Volltexten. Die Offenlegung des Datenkorpus und der Quellen bleibt entscheidend. Update 16. März 2023

Ein weiterer Anwendefall wäre die automatische Erstellung einer thematischen Bibliografie aus einem Bibliothekskatalog. Update 16. März 2023

Miteinbezug von KI-Chats in die Beratungs- und Förderformate.

Klare Verortung von KI-Chats im Rechercheprozess. KI-Chats wie ChatGPT (Large Language Models) können bisher vor allem zur Bestimmung des Informationsbedarfs und Annäherung an ein Themengebiet – und somit zur Schärfung der Fragestellung und Etablierung wichtiger Suchbegriffe hinzugezogen werden. Also im Sinne einer Vorbereitung für die nachfolgende Recherche in «klassischen» Bibliothekskatalogen, Datenbanken etc.

Chancen und Grenzen von KI-Chats erforschen und aufzeigen.

Der Einsatz von Chatbots im Bibliotheksbetrieb ist auch ganz praktischer Natur. Update 16. März 2023

Häufige Benutzungsfragen lassen sich mit KI-Unterstützung automatisiert beantworten, Texte für den Alltagsbetrieb, Kurse oder offene Bildungsressourcen schneller erstellen. Zugunsten der Produktivität und Wirtschaftlichkeit.

Ausblick

Diskurs begleiten und mitgestalten.

Offenbleiben, Perspektiven erweitern, Entwicklungen wachsam verfolgen, in Kontakt treten, vernetzen.

Bibliotheken sind traditionell Spezialistinnen in Recherche und Umgang mit Informationen und Quellen und gehören zu den wichtigsten Förderinstitutionen für Informationskompetenz und Medienkompetenz. Sie dürfen (und müssen) daher als Key Opinion Leader in Erscheinung treten.

Zitiervorschlag

Grossmann, Andreas. 2023. «ChatGPT und Co. Erste Einordnungen.» biblioPHil: Blog der Bibliothek der PH Zürich (Blog), 22. Februar 2023 (zuletzt aktualisiert 16. März 2023). https://blog.phzh.ch/bibliothek/2023/02/22/chatgpt-und-co-erste-einordnungen/

Literatur und Links

Association of College and Research Libraries, Hrsg. 2016. Framework for Information Literacy for Higher Education. Chicago.

Cox, Christopher und Elias Tzoc. 2023. «ChatGPT: Implications for academic libraries.» College & Research Libraries News 84(3): 99–102. doi: 10.5860/crln.84.3.99.

Döbeli Honegger, Beat. 2023. «ChatGPT & Schule. Einschätzungen der Professur Digitalisierung und Bildung der Pädagogischen Hochschule Schwyz.» Version 1.28 (Januar). doi:10.5281/zenodo.7573314.

Egloff, Mirjam. 2023. «KI: ChatGPT, Bildgeneratoren und Co.» Schule am Bildschirm. https://www.schabi.ch/seite/KI-und-Schule

Hoffmann, Lisa. 2023. «ChatGPT im Hochschulkontext – eine kommentierte Linksammlung». Hochschulforum Digitalisierung (Blog), 20. Januar 2023. https://hochschulforumdigitalisierung.de/de/blog/chatgpt-im-hochschulkontext-kommentierte-linksammlung?fbclid=IwAR3wykjUf5HNqa91f3jkJRbIPLvOUvOHTwWLvHKyXn-6w9o0E3uEwHVOg4o

Holzwarth, Peter. 2023. «KI und Schreibprozesse an Schulen/Hochschulen». Medienpädagogik (Blog), 19. Januar 2023. https://www.medienpaedagogik-praxis.de/2023/01/19/ki-und-schreibprozesse-an-schulen-hochschulen/

Meriam Library, Hrsg. 2004. Evaluating Information – Applying the CRAAP Test. Chico: California State University. Online verfügbar unter: https://library.csuchico.edu/sites/default/files/craap-test.pdf

Mohr, Gunda, Gabi Reinmann, Nadia Blüthmann, Eileen Lübcke und Moritz Kreinsen. 2023. Übersicht zu ChatGPT im Kontext Hochschullehre. Hamburg: Universität Hamburg. Online verfügbar unter: https://www.hul.uni-hamburg.de/selbstlernmaterialien/dokumente/hul-chatgpt-im-kontext-lehre-2023-01-20.pdf

Rickert, Alex. 2022. «Nehmen uns Maschinen das Schreiben ab?» akzente 4(November). Online verfügbar unter: https://blog.phzh.ch/akzente/2022/11/25/nehmen-uns-maschinen-das-schreiben-ab/#more-8065

Shanahan, Murray. 2023. Talking About Large Language Models. London: Imperial College London. doi:10.48550/arXiv.2212.03551.

Ein Blick zurück auf das vergangene Jahr

Die letzten zwei Jahre waren von tiefgreifenden Veränderungen geprägt – gesamtgesellschaftlich wie auch auf betrieblicher Ebene der Bibliothek der PH Zürich. 2022 stand deshalb im Zeichen des Innehaltens, der kritischen Analyse und Weiterentwicklung der neuen Angebote.