Anna-Tina Hess: Ich nenne sie hier jetzt mal Fanny und Franz. Ich erkläre gerade eine Aufgabe, als Franz plötzlich von seinem Stuhl aufspringt, zur Tür geht und im Gang verschwindet. Ich weiss gerade nicht, ob ich ihm nachlaufen oder noch meinen Satz zu Ende sagen soll. Ich entscheide mich für Ersteres und erwische Franz, wie er in den Gruppenraum abbiegt: «Äh, was machst du?» – «Ich muss kurz mein Kabel holen.» Ich bitte Franz zurück ins Zimmer und darum, damit zu warten, bis ich die Aufträge erklärt habe.
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Handys in der Schule
Anna-Tina Hess: Deutschunterricht mit einer 2. Sek. Die Schüler:innen haben den Auftrag, in ihrem Buch zu lesen. Hinten rechts sitzt Lars, den ich jetzt einfach mal so nenne, und hält sein Buch verdächtig seltsam. Es steht senkrecht mit der Buchunterkante auf seinem Tisch. Lars Blick wandert alles andere als von links nach rechts, sondern ist eher starr auf die Buchmitte gerichtet. Ich bin ziemlich sicher: Lars versteckt sein Handy im Buch. Ich gehe zu seinem Tisch. Ein Blick über den Buchrand reicht, und ich sehe meinen Verdacht bestätigt. Ich ziehe das Handy ein. Lars gibt es bereitwillig ab. Er wird es nach den Morgenlektionen am Mittag wieder bekommen.
Continue readingVor die Türe?
Anna-Tina Hess: Was für eine Dynamik eine einzige Person in einem Klassenzimmer auslösen kann, das merkt man manchmal erst, wenn diese Person fehlt. Nennen wir ihn Frodo. Frodo war an jenem Morgen beim Zahnarzt und die Klasse, welche ich kurz nach den Sportferien übernommen hatte, um für eine Kollegin einzuspringen, war wie ausgewechselt. Zahm, ruhig und produktiv. Dann kam Frodo zurück und mit ihm eine Abwärtsspirale der Unruhe, welche fast sämtliche Jungs der Klasse mitriss und auch mich etwas ins Strudeln brachte. Die Klasse erwischte mich auf dem linken Fuss, vielleicht auch, weil ich an diesem Tag bereits damit aus dem Bett geklettert war.
Continue readingDer Buebe-Meitli-Graben
Anna-Tina Hess: Der einstige Bestseller «Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus» hat heute aus meiner Sicht ausgedient. Zumindest in meiner Bubble will niemand mehr in diesen doch eher simplen Stereotypen denken. In meinem Klassenzimmer gibt es allerdings sehr wohl noch zwei Planeten. Mädchen und Jungs sitzen konsequent voneinander getrennt. Eine Ankündigung, dies zu ändern, führte zu lautem Protest – bei beiden Geschlechtern.
Continue readingSchlechtes Gewissen
Anna-Tina Hess: Seit August bin nun auch ich voll eingespannt und angestellt. Ich bin Klassenlehrerin einer 2. Sek. Bereits habe ich mein erstes Zusammentreffen mit den Eltern hinter mir – an einem Infoabend im Laufbahnzentrum. Ich genoss den Abend, nur eine Tatsache, die wühlte mich auf. Kurz vor dem Abend im Laufbahnzentrum stürmte nämlich ein Heilpädagoge in mein Zimmer. «Mir müesse über e Ruben rede.»
Continue reading«Psssssst!» – «Horrorklasse!»
Anna-Tina Hess: Als Vikarin ist die grösste Herausforderung eine Kombination aus mangelnder Konstanz und fehlender Beziehung. Noch anspruchsvoller wird es, wenn das Vikariat in einer dritten Sek ist, man nicht das eigene Fach unterrichtet und das Ganze auch noch kurz vor den Sommerferien stattfindet. Die Motivation dieser Schülerinnen und Schüler ist ungefähr so tief wie der Zürichsee an seiner tiefsten Stelle.
Continue readingZaubern im Klassenzimmer
Anna-Tina Hess: Wie Sie, sofern Sie meine letzte Kolumne in diesem Magazin gelesen haben, wissen dürften, bin ich in diesem Schuljahr vor allem als Vikarin in der Schule unterwegs. Mein Ziel, meinen zukünftigen Arbeitsort zu finden, habe ich inzwischen erreicht. Aber dazu mehr, wenn es dann so weit ist.
Continue readingWellenreiten hier und dort
Anna-Tina Hess: «Weisch bim Surfe, da lernsch meh fürs Läbe als i villne Schuelstunde!», rief mir einmal ein Berufskollege vom Surfbrett aus zu, als wir beide auf gute Wellen warteten. Dann zählten wir abwechslungsweise auf: «Geduld», «Demut», … Weiter kamen wir nicht, denn die nächste Welle näherte sich uns und wir legten uns auf unsere Surfbretter, um sie noch rechtzeitig anpaddeln zu können. Wir erwischten sie beide nicht.
Continue readingNehmen uns Maschinen das Schreiben ab?
Jetzt sind sie da, und sie sind ziemlich gut: Maschinen, die auf künstlicher Intelligenz (KI) basieren und auf Knopfdruck fertige Texte ausgeben. Die KI-Software mit dem Namen GPT-3 (beta.openai.com) ist einer der mächtigsten Textgeneratoren, der auch für Deutsch funktioniert. Innert Sekunden produziert er ansehnliche Texte zu beliebigen Themen. Die Software ist in der Lage, eine Kindergeschichte zum Thema Freundschaft zu verfassen. Sie schreibt auf Wunsch eine Erörterung zur Schädlichkeit von Handystrahlung oder auch eine Einleitung einer Seminararbeit zum Thema Bildungsgerechtigkeit.
Continue readingRührende Rückmeldung
Anna-Tina Hess: Ich habe diesen Sommer meine feste Stelle aufgegeben, um zu vikarisieren. Ich möchte so andere Schulhäuser kennenlernen, um mich auf dieser Basis im nächsten Jahr für eine Festanstellung zu entscheiden. Mein erstes Vikariat begann kurz nach den Sommerferien in einer Privatschule, wo ich für fünf Wochen zwei 3.-Sek-Klassen übernahm. Werden sie mich mögen? Werde ich es schaffen, in so kurzer Zeit eine Beziehung aufzubauen? Diese Fragen gingen mir kurz vor Antritt des Vikariats durch den Kopf.
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