Category Archives: KJM

Farben und Phobien

Fürchten lernen. (Edition Moderne, 2023)

Ein Kind liegt zeichnend im Bett und findet sich beim Einschlafen auf einem Horrortrip der selbst erschaffenen Bilder wieder. In halluzinierenden Nächten vollzieht sich die Erkenntnis der eigenen Endlichkeit, Panikattacken werden in der Folge zum ständigen Begleiter des Protagonisten dieser Coming-of-Age-Geschichte. Alpträume und Schreckensvisionen legen den jungen Künstler schliesslich auf die Therapiecouch, wo er Erlösung findet: Er stellt sich den Geistern, indem er sie zeichnet, anerkennt so die eigene Hinfälligkeit und transformiert sie in ein überwältigendes Buch.

Rettung durch Kunst. Nando von Arbs Graphic Novel besticht durch das besondere Verhältnis zwischen sprachlicher Nüchternheit, emotionaler Tiefe und bildnerischem Ausdruck. Horror, Selbstironie und Ernsthaftigkeit koexistieren in diesem hochkomplexen, immer überraschenden Wunderwerk aus über 400 Zeichnungen. Was für eine ästhetische und literarische Offenbarung!

Literarischer Perspektivenwechsel

Mark Twain zufolge sind Klassiker Bücher, die viel gelobt, aber nicht gelesen werden. Trotz langem Haltbarkeitsdatum müssen auch diese Werke immer wieder neu aufgelegt werden, um nicht unter den Bergen der Novitäten zu versinken. Für ihre Revitalisierung sorgen nicht die Eingriffe ins Original, die es bloss dem scheinheiligen Zeitgeist unterjochen, sondern allein die aufmerksame und den historischen Kontext berücksichtigende Lektüre.

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Das beste Leben

Kurz vor dem Rand. (Verlagshaus Jacoby & Stuart, 2023)

Rotzig und bestechend authentisch erzählt die 17-jährige Ari in Eva Rottmanns zweitem Jugendroman die Geschichte ihrer ersten Liebe. Die Ich-Erzählerin berichtet von ihren verwirrenden Gefühlen für Tom, von ihrem Alltag als Malerin in Ausbildung, vom Zusammensein mit ihren Freund:innen, von ihrem Vater Bob, ihrer Mutter Fanni – und immer wieder vom Lebensgefühl auf dem Skateboard.

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Liebe, Zombies, Lügen

Wranglestone. (Atlantis, 2023)

In der Jugendliteratur sind Themen wie Postapokalypse, Zombies oder queere Liebesgeschichten nach wie vor beliebt. Aber kann man diese Themen erfolgreich miteinander verweben? Der britische Autor Darren Charleton sagt ja! und zeigt uns direkt mit seinem Erstlingswerk Wranglestone, dass dieser Mix nicht nur möglich, sondern auch fesselnd ist.

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Gemeinsam einsam

Wolf. (Carlsen, 2023)

«Ich finde Bäume nur als Schrank super», sagt Kemi, der Protagonist und Ich-Erzähler des Kinderromans Wolf, als ihm seine Mutter ankündigt, dass er die erste Ferienwoche in einem Lager im Wald verbringen werde. Doch seine Ablehnung der Natur hilft nicht: Kemi fährt unfreiwillig ins Lager und wird mit Jörg, der von den anderen grundlos zum Aussenseiter gemacht wird, von den Betreuern in eine gemeinsame Hütte eingeteilt.

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Die Magie des Tagebuchs

Im Anne-Frank-Haus in Amsterdam schlägt der Blitz ein und Kitty entsteigt dem karierten Tagebuch. Ihr hatte Anne bis zu ihrem Verschwinden alles anvertraut. Das Tagebuch ist noch da, Anne starb in einem Lager. Davon weiss Kitty aber nichts und macht sich auf die Suche nach Anne in den Strassen des heutigen Amsterdams.

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Liebevoll vulgär

«Ey hör mal!» (Arctis Verlag, 2022)

Luchs des Jahres, begeisterte Stimmen von Studierenden und Kolleg:innen. Und ich? Ich weiss immer noch nicht recht, ob ich es liebe und es einfach mag oder ob ich es liebe und es dennoch irgendwie anstrengend finde. Die Rede ist von Gulraiz Sharifs Jugendroman Ey hör mal!, der sich wie ein atemloser Poetry-Slam liest, der uns auf eine rasante Fahrt durch die Sommerferien des 15-jährigen Pakistani Mahmoud mitnimmt.

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E-Mails à gogo

Der Briefroman feiert ein Comeback und schlägt mit digitalem Pingpong ein zeitgemässes Tempo an. Daniel Glattauers E-Mail-Romanze «Gut gegen Nordwind» hat es inzwischen ins Kino und zu Netflix geschafft (Vanessa Jopp, 2019).

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Die Zukunft von gestern

«Wir beide, irgendwann» (cbj 2014)

1996 ist das Internet noch eine Wüste. Kein Google, kein Wikipedia, ganz zu schweigen von Youtube, Social Media oder Netflix. Als die 16-jährige Emma von ihrem Vater ihren ersten Computer und von Nachbarsfreund Josh einen AOL-Zugang bekommt, gibt es im Netz also noch nicht viel zu sehen. Aber Emma macht eine ungeheure Entdeckung.

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Fakten, Wünsche, Möglichkeiten – Ein Bilderbogen durch die Zeit

Es war einmal und wird noch lange sein. (Hanser 2021)

Das diesjährige Gewinnerbuch des Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreises «Es war einmal und wird noch lange sein» beschäftigt sich mit dem Thema Zeit. Johanna Schaible gelingt es, dieses höchst komplexe Phänomen als objektiv messbare Grösse und gleichzeitig auch in seiner subjektiven Bedeutsamkeit für den einzelnen Menschen bestechend einfach darzustellen.

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