Anna-Tina Hess: Seit August bin nun auch ich voll eingespannt und angestellt. Ich bin Klassenlehrerin einer 2. Sek. Bereits habe ich mein erstes Zusammentreffen mit den Eltern hinter mir – an einem Infoabend im Laufbahnzentrum. Ich genoss den Abend, nur eine Tatsache, die wühlte mich auf. Kurz vor dem Abend im Laufbahnzentrum stürmte nämlich ein Heilpädagoge in mein Zimmer. «Mir müesse über e Ruben rede.»
Anna-Tina Hess: Als Vikarin ist die grösste Herausforderung eine Kombination aus mangelnder Konstanz und fehlender Beziehung. Noch anspruchsvoller wird es, wenn das Vikariat in einer dritten Sek ist, man nicht das eigene Fach unterrichtet und das Ganze auch noch kurz vor den Sommerferien stattfindet. Die Motivation dieser Schülerinnen und Schüler ist ungefähr so tief wie der Zürichsee an seiner tiefsten Stelle.
Anna-Tina Hess: Wie Sie, sofern Sie meine letzte Kolumne in diesem Magazin gelesen haben, wissen dürften, bin ich in diesem Schuljahr vor allem als Vikarin in der Schule unterwegs. Mein Ziel, meinen zukünftigen Arbeitsort zu finden, habe ich inzwischen erreicht. Aber dazu mehr, wenn es dann so weit ist.
Anna-Tina Hess: «Weisch bim Surfe, da lernsch meh fürs Läbe als i villne Schuelstunde!», rief mir einmal ein Berufskollege vom Surfbrett aus zu, als wir beide auf gute Wellen warteten. Dann zählten wir abwechslungsweise auf: «Geduld», «Demut», … Weiter kamen wir nicht, denn die nächste Welle näherte sich uns und wir legten uns auf unsere Surfbretter, um sie noch rechtzeitig anpaddeln zu können. Wir erwischten sie beide nicht.
Jetzt sind sie da, und sie sind ziemlich gut: Maschinen, die auf künstlicher Intelligenz (KI) basieren und auf Knopfdruck fertige Texte ausgeben. Die KI-Software mit dem Namen GPT-3 (beta.openai.com) ist einer der mächtigsten Textgeneratoren, der auch für Deutsch funktioniert. Innert Sekunden produziert er ansehnliche Texte zu beliebigen Themen. Die Software ist in der Lage, eine Kindergeschichte zum Thema Freundschaft zu verfassen. Sie schreibt auf Wunsch eine Erörterung zur Schädlichkeit von Handystrahlung oder auch eine Einleitung einer Seminararbeit zum Thema Bildungsgerechtigkeit.
Anna-Tina Hess: Ich habe diesen Sommer meine feste Stelle aufgegeben, um zu vikarisieren. Ich möchte so andere Schulhäuser kennenlernen, um mich auf dieser Basis im nächsten Jahr für eine Festanstellung zu entscheiden. Mein erstes Vikariat begann kurz nach den Sommerferien in einer Privatschule, wo ich für fünf Wochen zwei 3.-Sek-Klassen übernahm. Werden sie mich mögen? Werde ich es schaffen, in so kurzer Zeit eine Beziehung aufzubauen? Diese Fragen gingen mir kurz vor Antritt des Vikariats durch den Kopf.
Anna-Tina Hess: «Oh gasch id Ferie?», fragte mich meine Nachbarin, als ich kürzlich mit gepackten Koffern das Haus verliess. «Nei, is Klasselager …», antwortete ich. Sie wünschte mir viel Spass. Ich zögerte einen Moment, bevor ich mit «Danke!» antwortete. Das Zögern kam nicht von ungefähr und wenn Sie die Kolumne von meinem Kollegen Georg Gindely bereits gelesen haben, dann wissen Sie warum. Was die Nachtruhe angeht, so ging es uns kein bisschen anders. Bei uns kam aber eine zusätzliche Herausforderung dazu: die Küche.
Es gibt philosophische Formeln, in denen Erfahrungen angesprochen werden, die wir am eigenen Leibe gemacht haben und am liebsten für uns behalten möchten. Hierzu gehört Ernst Blochs Diktum vom «Dunkel des gelebten Augenblicks». Entsprechend sind wir im blinden Fleck unserer Selbst- und Weltwahrnehmung ganz nah bei uns, zumindest für Momente, Minuten und, wenn wir Glück haben, für länger – mit geliebten Menschen, vor grossen Kunstwerken oder inmitten der unfassbaren Reize der Natur. Diese ebenso intensiven wie intimen Momente möchten wir noch in der Erinnerung nicht preisgeben; teilen wir sie mit, teilen wir sie also, teilen sie sich, verlieren sie ihren Glanz als etwas Einzigartiges. Dabei versagt uns bisweilen die Sprache und im «Dunkel des gelebten Augenblicks» wird es unerwartet ungemütlich.
Anna-Tina Hess: Klavier spielen. Singen. Regelmässig Yoga. Permakultur. Surfen. Akrobatikkurs. Das steht in meinen elektronischen Notizen unter dem Titel «Leben nach der PH». Ich liebe To-do-Listen. Ich habe immer so eine Liste erstellt für die Zeiten nach Ausbildungen. Denn man vergisst allzu schnell, was man eigentlich alles machen wollte, wenn man dann wieder genug Zeit hat.
Theoretisch scheint die Sache so klar wie die bescheinigte Geburtenfolge im Familienbüchlein: Biologische Geschwisterkinder haben eine zur Hälfte identische Anlage und wachsen in ihrer Familie grundsätzlich in derselben Umwelt auf. Welche Rolle die Anlage, sprich das Genom, in der menschlichen Entwicklung spielt und wie es um den Einfluss der äusseren Faktoren steht, beschäftigt die Entwicklungspsychologie seit ihren Anfängen. Der gefundene Konsens wirkt als Maulkorb für ideologische Grabenkämpfe, denn die Wichtigkeit der Anlage, der Umwelt und deren Interaktion gilt mittlerweile als unbestritten und in etwa hälftig verteilt.