Forschende der PH Zürich, der Uni Zürich und der ZHAW entwickeln gemeinsam mit Studierenden ein Online-Tool zur Stärkung der digitalen Resilienz bei Jugendlichen. Das Projekt wird von der Digitalisierungsinitiative der Zürcher Hochschulen (DIZH) gefördert. Im Interview gibt Co-Projektleiterin Alexandra Krebs Auskunft über das Projekt.

Ihr Projekt zielt darauf ab, die digitale Resilienz von Jugendlichen zu stärken. Was genau bedeutet das, und warum ist dies aktuell wichtig?
Digitale Resilienz beschreibt die Fähigkeit, sicher, reflektiert und kritisch im digitalen Raum zu agieren, selbst angesichts komplexer Herausforderungen wie Deepfakes oder generativer KI. In einer Welt, in der KI-generierte Inhalte immer realistischer werden und von realen kaum zu unterscheiden sind, ist es entscheidend, dass Jugendliche lernen, solche Inhalte zu hinterfragen. Es geht zudem darum, Jugendliche nicht nur vor Desinformation zu schützen, sondern sie auch aktiv zu befähigen, technologische Entwicklungen zu verstehen und souverän zu nutzen.
Deepfakes sind also ein zentrales Thema des Projekts. Können Sie kurz erklären, was Deepfakes sind und welche Herausforderungen sie mit sich bringen?
Deepfakes sind mithilfe von künstlicher Intelligenz erzeugte Bild-, Video- oder Audiomaterialien, die täuschend echt wirken, aber die Realität falsch darstellen. Sie können manipulativ eingesetzt werden, um Falschinformationen noch schneller und weitreichender zu verbreiten oder Vertrauen zu untergraben. Das macht sie zu einer der drängendsten digitalen Herausforderungen unserer Zeit. Unser Ziel ist es, Kompetenzen der Jugendlichen zu fördern, solche Inhalte zu erkennen und ihre Mechanismen zu verstehen.
Wie wollen Sie Jugendliche konkret auf diese Herausforderungen vorbereiten?
Unser Ansatz ist transdisziplinär und verbindet unter anderem Wissenschaftskommunikation, Quellenkritik und Storytelling. Hierfür entwickeln wir ein interaktives Online-Tool. Es bietet praxisnahe Übungen, um die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen realen und KI-generierten Inhalten zu schulen. Ergänzend binden wir noch Methoden und Strategien wie digitale Quellenkritik, laterales Lesen und kritisches Ignorieren ein.
Was genau sind das für Methoden und Strategien? Wie werden sie im Projekt eingesetzt?
Für die Quellenkritik nutzen wir zum Beispiel klassische Methoden aus der Geschichtswissenschaft und der Geschichtsdidaktik. Es geht darum, zu analysieren, wie Inhalte im digitalen Raum konstruiert werden, welche Intentionen und Perspektiven etwa darin enthalten sind und wie wir daher mit diesen Quellen umgehen sollten. Laterales Lesen ist dagegen eine Methode, bei der man nicht nur den Inhalt einer Quelle prüft, sondern sie aktiv mit externen Informationen abgleicht. Professionelle Faktenchecker:innen nutzen diese Strategie, um schnell die Glaubwürdigkeit von Inhalten im digitalen Raum einzuschätzen. Kritisches Ignorieren ist eine weitere Strategie, um mit der Informationsflut im Internet umzugehen. Dabei gilt es nicht nur, Falschinformationen zu erkennen, sondern auch gezielt Inhalte auszublenden, die keine Aufmerksamkeit verdienen. Das können etwa manipulative Beiträge, irreführende Überschriften oder Inhalte sein, die nur dazu dienen, Emotionen zu schüren oder Aufmerksamkeit zu erregen. Kritisches Ignorieren kann also helfen, nicht in jede digitale Falle zu tappen und Zeit sowie Energie effektiv zu nutzen.
Was ist das Besondere an Ihrem Ansatz, diese Themen zu vermitteln?
Wir erstellen ein innovatives Tool, das auf der Open-Source-Anwendung Twine basiert. Twine ermöglicht das Erzählen nichtlinearer Geschichten, und genau das machen wir uns zunutze: Die Schüler:innen navigieren durch eine spannende, interaktive Rahmenhandlung und entdecken auf verschiedenen Lernpfaden unterschiedliche Perspektiven. Dabei arbeiten sie in kleinen Teams zusammen und reflektieren ihre Ergebnisse im Klassenverband. Diese Mischung aus Storytelling, Teamarbeit und interaktiven Aufgaben motiviert und kann zu einer grundsätzlichen Offenheit des Lernprozesses beitragen.
Wie sind die Lerninhalte strukturiert, und welche Themen werden abgedeckt?
Das Tool ist modular aufgebaut und deckt verschiedene Schwerpunkte ab wie beispielsweise Grundlagen von KI, Deepfakes, Prompting-Fähigkeiten – also Befehle an KI-Systeme –, Quellenkritik und grundsätzlich Strategien zur Dekonstruktion medialer Inhalte. Auch ethische Fragestellungen und der schulische Einsatz von Sprachmodellen wie Large Language Models werden thematisiert. Am Ende gestalten die Teams ein eigenes Produkt – zum Beispiel eine Präsentation oder ein Video –, in dem sie ihre Position zu einer Problemstellung vertreten. Diese stellen sie dann in der Klasse vor, diskutieren sie und evaluieren ihren Lernprozess.
Sie haben das Storytelling-Element erwähnt. Wie wird das im Tool umgesetzt?
Die Lernenden tauchen in eine Rahmenhandlung ein, die aktuelle Themen aus ihrer Lebenswelt aufgreift. Ihre Entscheidungen im Verlauf der Geschichte führen zu unterschiedlichen Handlungssträngen, die verschiedene Perspektiven eröffnen. Zum Beispiel können sie in einer Simulation darüber entscheiden, wie sie auf potenziell manipulierte Inhalte reagieren. Durch diese Herangehensweise lernen sie spielerisch, sich mit komplexen, realitätsnahen Problemen auseinanderzusetzen, denen sie im digitalen Raum begegnen.
Wie wird der Unterricht gestaltet, und welche Rolle spielen die Lehrpersonen?
Unser Projekt ist flexibel konzipiert und kann sowohl in zwei Unterrichtsstunden als auch in grössere Unterrichtsreihen integriert werden. Es richtet sich an Jugendliche im Alter zwischen etwa 12 und 16 Jahren. Lehrpersonen erhalten hierfür aufbereitete Begleitmaterialien, die ihnen zudem Anknüpfungspunkte an den Lehrplan bieten. Differenzierte Hilfestellungen ermöglichen es ausserdem, den individuellen Lernbedürfnissen der Schüler:innen gerecht zu werden.
Ihr Projekt befindet sich aktuell in der ersten Phase. Was sind die nächsten Schritte?
Der Fokus liegt derzeit auf der Entwicklung und Erprobung des interaktiven Online-Tools. Im nächsten Schritt werden wir evaluieren, wie Jugendliche mit dem Tool arbeiten, welche Lernprozesse angestossen werden und wie Lehrende das Tool in den Unterricht einbinden können. Dieses Feedback nutzen wir dann für die Überarbeitung des Prototyps. Danach entwickeln wir ein Benutzerhandbuch im Dialog mit Lehrkräften und konzipieren Vorschläge für Unterrichtssettings, um das Tool gemeinsam mit den Lehrpersonen nachhaltig in die schulische Praxis integrieren zu können. Das fertige Produkt liegt voraussichtlich im nächsten Juni vor.
Gibt es etwas, das Sie sich für die Zukunft dieses Projekts besonders wünschen?
Unser Ziel ist es, ein Bewusstsein für die Bedeutung von digitaler Resilienz zu schaffen und Jugendlichen die Werkzeuge an die Hand zu geben, die sie benötigen, um selbstbewusst und selbst reflektiert im digitalen Raum zu agieren. Wir hoffen, dass unser Ansatz nicht nur in Schulen, sondern auch darüber hinaus Anklang findet und so einen langfristigen Beitrag zur Stärkung der Medienkompetenzen leistet kann.