Gemeinsam die Verantwortung übernehmen

Die partizipative Schulführung hat an vielen Schulen Einzug gehalten, Teacher Leader beginnen sich zu etablieren. Wie die Verteilung der Führung gelingen kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die Schulleitung bleibt aber in ihrer Rolle prägend.

Illustrationen: Andrea Pfister

Eine ganze Schule tanzt. Die Sekundarschule Im Birch in Zürich-Oerlikon hat sich dem Thema Tanz verschrieben. Angestossen wurde das Projekt von einer tanzaffinen Lehrperson, die gemeinsam mit einer Tanzpädagogin vom Opernhaus Zürich einen Workshop in ihrer Klasse organisierte. Das Klassenprojekt begeisterte und die Lehrperson regte an, dass ihre Idee auf weitere Klassen ausgeweitet wird. Nicht sofort, aber bald beflügelte die Begeisterung das Schulteam, und das Projekt «Die Schule tanzt» stand für das ganze Schulhaus. Wie ein roter Faden begleitet das Thema nun die Jugendlichen durch die drei Jahre ihrer Oberstufenschulzeit – bis zur grossen Abschlussproduktion. So werden in Tanzworkshops ausgewählte Tanzstile vermittelt, regelmässige Opernhausbesuche mit Vor- und Nachbearbeitung in den Klassen durchgeführt, das Kennenlernen der rund 140 verschiedenen Berufe am Opernhaus ermöglicht und am Ende der Oberstufenschulzeit erarbeiten alle in klassenübergreifenden Gruppen als Abschlussprojekt eine Choreografie, die öffentlich aufgeführt wird.

Vom Austausch der Expertise profitieren
Das Stadtzürcher Projekt «Die Schule tanzt» ist ein ausgezeichnetes Beispiel für Teacher Leadership und ist unterdessen unter drei für die Jahrgänge verantwortlichen Lehrpersonen aufgeteilt. Es zeigt, dass nicht zwingend die Schulleitung neue Ideen vorgeben und umsetzen muss. Denn an einer guten Schule führt nicht nur die Schulleitung, auch Lehrpersonen nehmen Einfluss auf die pädagogische Praxis und übernehmen Verantwortung, die über ihre Kernaufgabe im Klassenzimmer hinausgehen. Dies kann das Leiten eines neuen Projekts oder etwa das Mentoring von jüngeren Lehrpersonen im Team sein. An vielen Schulen haben sich auch Führungspositionen etabliert wie Jahrgangs-, Stufen- und Zyklusbeauftragte, die eine Schnittstelle zwischen dem Team und der Schulleitung besetzen. Der zeitliche Aufwand für eine solche Zusatzaufgabe kann im Kanton Zürich als Lehrperson unter anderem im Berufsauftrag sichtbar gemacht und entsprechend honoriert werden.

Für Nina-Cathrin Strauss, Dozentin am Zentrum Management und Leadership der PH Zürich, ist entscheidend, dass Lehrpersonen in einer Führungsrolle diese auch tatsächlich wahrnehmen und Verantwortung übernehmen. «Teacher Leadership bedeutet, bewusst Einfluss zu nehmen», so die Erziehungswissenschafterin. Sie unterrichtet in der Schulleitungsausbildung ebenso wie im Weiterbildungslehrgang Teacher Leadership an der PH Zürich, im vergangenen Sommer ging die vierte Durchführung des Lehrgangs zu Ende. «Neue Entwicklungen brauchen aber Zeit. Langsam etablieren sich die Teacher Leader im System», sagt Nina-Cathrin Strauss. Dabei gibt es in der Praxis schon länger Zusatzaufgaben oder «Ämtli», doch im Fokus ist nun, wie die verschiedenen Führungspersonen in der Schule gemeinschaftlich Verantwortung für das Lernen aller Schülerinnen und Schüler übernehmen. «Es geht darum, dass Lehrpersonen – und alle anderen Fachpersonen an einer (Tages-)Schule – ihre Expertise und ihre Kompetenzen zielorientiert in die Entwicklung der Schule einbringen, unterstützt und gestärkt durch eine Schulleitung, die den Überblick über schulische Ziele und Ressourcen hat», betont die promovierte Erziehungswissenschafterin, die ihre Dissertation zum Thema «Wie Lehrpersonen Führungsaufgaben bewältigen – eine qualitative Untersuchung von Teacher Leadership» verfasst hat.

Teacher Leadership verankern
Die Dozentin weist darauf hin, wie wichtig es ist, dass Teacher Leadership als Teil der Schulführung verankert wird. Die vorhandenen Ressourcen müssten sinnvoll eingesetzt und Entwicklungen ermöglicht werden. So soll sich auch die Schulleitung als Teil der gemeinschaftlichen Führung mit einem spezifischen Auftrag verstehen und vom gegenseitigen Austausch der Expertise profitieren. Die vielfältigen Ansprüche an einer Schule – gegenwärtig und zukünftig – brauchen individuelle spezifische Kompetenzen im Kollegium, die eine Schulleitung (auch als Co-Leitungsteam) nicht allein bewältigen kann. Gerade Aufgaben in der Personal- und Teamentwicklung werden immer wichtiger.

Aber wie funktioniert die geteilte Führung – also Schulleitung und Lehrpersonen in gemeinschaftlicher Verantwortung? Damit sich die geteilte Führung an einer Schule etablieren kann, benötigt es neben geeigneten Strukturen auf allen Ebenen eine Kulturentwicklung, nämlich die Bereitschaft zum Führen und Geführtwerden, so Nina-Cathrin Strauss: Die Schulleitung fördert den Austausch und schafft Räume, sodass Lehr- und Fachpersonen ihre Expertise einbringen können. Sie steuert die Prozesse und stärkt die Entwicklung von Lehrpersonen, die ihre Kompetenzen entwickeln können. Doch anspruchsvolle Aufgaben brauchen kompetente Führungspersonen.

Daher setzen Angebote für Führungsverantwortliche am Zentrum Management und Leadership der PH Zürich darauf, die unterschiedlichen Erfahrungen und Qualifikationen der Teilnehmenden zu berücksichtigen. Mit den «Grundlagen Teacher Leadership» können Lehr- und Fachpersonen ihre Führungskompetenzen stärken und ihr Verständnis für die Organisation Schule weiterentwickeln. Theoriebasiert und praxisorientiert setzen sie sich mit ihren Einflussmöglichkeiten als Teacher Leader auseinander. Während einige sich darauf vorbereiten, eine Schulleitungsfunktion zu übernehmen, widmen sich andere der Frage, wie sie sich als Lehr- oder Fachperson wirkungsvoll in die Entwicklung ihrer Schule einbringen können. Der CAS Quereinstieg bietet erfahrenen Führungspersonen aus nicht-schulischen Arbeitskontexten Einblick in die Besonderheiten der Organisation Schule – insbesondere mit Fokus auf pädagogische Praxis im Lernraum Schule. Im DAS Schulleitung setzen sich bestehende und angehende Schulleitungen fokussiert mit der Funktion Schulleitung auseinander. In Pflichtmodulen befassen sie sich mit Grundlagen rund um die neue Aufgabe. Daneben gibt es ein individuell gestaltbares Angebot an Wahlpflichtmodulen, mit dem jede Person – begleitet durch die Studiengangsleitung – ihre Führungskompetenzen ganz nach persönlichem Bedarf erweitern kann. Zur Individualisierung gehört dabei auch Raum für die persönliche Kompetenzentwicklung. So befassen sich Teacher Leader sowie Schulleitungen in den Weiterbildungen mit ihrer Führungspraxis und eigenen Entwicklungszielen.

Begleitforschung untersucht Effekte
Am Zentrum für Schulentwicklung begleiten Jelica Popovic und Enikö Zala-Mezö das Projekt «Die Schule tanzt» während seiner Laufzeit von 2022 bis 2026 wissenschaftlich. «Wir untersuchen Veränderungsprozesse an Schulen und versuchen, mit unserer Arbeit eine Brücke zwischen Forschung und Schule zu schlagen», erklärt Daniela Müller-Kuhn, Forscherin am Zentrum für Schulentwicklung. Konkret bedeutet dies im Projekt «Die Schule tanzt», dass Beobachtungen, Interviews und Gruppendiskussionen sowie Befragungen von Schüler:innen, Lehrpersonen und Eltern im Rahmen der Begleitforschung ausgewertet werden. So können Bereiche, die gut funktionieren, gestärkt und Bereiche, die weniger gut ankommen, angepasst werden. Auch für die Kooperation zwischen dem Opernhaus und der Schule Im Birch werden Erfolgsfaktoren und Herausforderungen identifiziert.

Und wie wirkt sich das Projekt auf die Schule aus? Die Verantwortlichen der Schule Im Birch, der PH Zürich und des Opernhauses würden mit dem Projekt diverse gewinnbringende Aspekte sehen, berichtet Daniela Müller-Kuhn, so etwa Erfolgserlebnisse für die Jugendlichen und die Stärkung der ganzen Gemeinschaft an der Schule. Das Projekt bringe einen echten Wandel der Schulkultur, was sich beispielsweise an weniger Konflikten zwischen den Jugendlichen zeige und mit mehr Zusammenarbeit zwischen den Lehrpersonen einhergehe.

Intrinsische Motivation als Antrieb Teacher
Leadership stärkt die Qualität von Schule, die Kollegialität unter den Lehr- und Fachpersonen und die gemeinsame Verantwortung für die Schulentwicklung. Dies ermöglicht eine lohnenswerte Aufgabenteilung, wobei die Schulleitung sich etwa stärker auf die Sicherung von Rahmenbedingungen für die Weiterführung des Projektes konzentrieren kann.

An manchen Schulen gilt Teacher Leadership auch als erfolgversprechender Weg, um Schulleitungen zu entlasten. Die Entlastung sollte jedoch nicht im Vordergrund stehen, sondern das Streben nach einem partizipativen Miteinander und einem gemeinschaftlichen Verantwortungsbewusstsein für das Lernen der Schüler:innen. Zudem funktionieren nicht alle Schulen gleich. Jedes Schulhaus sei individuell, deshalb gebe es auch keine Einheitskonzepte, wie und warum Teacher Leadership funktioniere, ist sich Daniela Müller-Kuhn sicher. Für die Forscherin ist klar, dass für gelingendes Teacher Leadership die intrinsische Motivation einzelner Lehrpersonen ein entscheidender Faktor ist. Dazu brauche es im Schulhaus eine Kultur des gegenseitigen Respekts und der offenen Kommunikation. Sowohl die Schulleitung als auch die Lehrpersonen sollen ihre gegenseitige Rolle und Expertise anerkennen und im regelmässigen Austausch stehen, um sich aktiv in die Schulentwicklung einzubringen. Dadurch soll das gesamte Team motiviert werden, an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten. So wird denn auch partizipativ angelegte – allenfalls von einer Steuergruppe koordinierte – Schulentwicklungsarbeit vielerorts als Gelingensbedingung für eine erfolgreiche Schule identifiziert.

Zentrale Rolle der Schulleitung
Nach wie vor kommt aber der Schulleitung eine wichtige Rolle für die Qualität einer Schule und das Wohlbefinden der Lehrpersonen und auch der Schüler:innen zu. Insofern bleibt sie die treibende Kraft für kollektive Schulentwicklungsprozesse. «Aber die Ansprüche an die Schulleitung sind vielfältiger geworden», so Nina-Cathrin Strauss. Am Anfang standen Managementaufgaben im Zentrum, heute muss sie ihre Schule lernförderlich gestalten. Eine Schulleitung hat nicht nur direkte Führungsaufgaben bezüglich Schulführung und ‑entwicklung, sondern auch eine indirekte Aufgabe. Sie stärkt produktive Arbeitsbedingungen für die pädagogischen Mitarbeitenden in der Schule und unterstützt deren professionelle Entwicklung und somit die Sicherung und Entwicklung von Unterrichtsqualität. Darüber hinaus ist die Schulleitung für die Effektivität einer Schule sowie die Gesundheit der Mitarbeitenden mitverantwortlich. Dies sind äusserst vielfältige Aufgaben. Nina-Cathrin Strauss führt aus, dass die Arbeit als Schulleitung neben einer guten Arbeitsorganisation vor allem auch durch Empathie und Weitsicht getragen sein muss. Innovative Ideen und Initiativen aus dem Lehrpersonenteam sollen gefördert werden. Durch Partizipation trage die Schulleitung zu einem positiven Arbeitsklima bei, trotzdem müssten Rollen und Entscheidungswege klar definiert sein beziehungsweise immer wieder ausgehandelt werden, betont die Dozentin für Management und Leadership.

Wie die Schule Im Birch in Zürich-Oerlikon versuchen auch viele andere Schulen, ihr Profil zu schärfen. Aktuell häufig gewählt werden beispielsweise die Themen Gesundheit, Natur und Nachhaltigkeit. «Hierzu könnten etwa regelmässig Lernorte ausserhalb des Schulhauses genutzt werden», sagt Daniela Müller-Kuhn und erwähnt das Projekt «Draussen lernen» der Schule In der Ey im Stadtzürcher Quartier Albisrieden, die auf ausserschulische Lernorte setzt. Einen halben Tag pro Woche verbringen hier die 21 Klassen – von den Kindergartenkindern bis zu den Sechstklässler:innen – in der Natur oder an einem anderen Ort, zum Beispiel in einem Sportzentrum oder in der Stadtgärtnerei. Entsprechend sollen die überfachlichen Kompetenzen möglichst in einer lebensnahen Umgebung gefördert werden.

Um ein Teacher Leader zu sein, müssen aber nicht immer hochtrabende Projektideen vorgelegt werden, die das ganze Schulhaus sofort begeistern, betont Daniela Müller-Kuhn. Mit kleinen Pilotprojekten, die vielleicht zu Beginn nur einen Teil des Lehrteams überzeugen, kann durchaus etwas bewirkt werden – für die Schule und für die einzelnen Schüler:innen. «Es braucht vor allem den Mut, etwas anzustossen und auszuprobieren.»

Qualitätsmerkmale von Schulleitungen

Gute Schulen brauchen kompetente Schulleitungen, um den anspruchsvollen und vielseitigen Aufgaben zu begegnen. Folgende Merkmale fassen die wichtigsten Kompetenzen und Handlungsfelder von Schulleitungen zusammen und bieten eine ganzheitliche Perspektive auf erfolgreiche Schulführung.

  1. Geteilte Vision und Werte
    Die Schulleitung entwickelt gemeinschaftlich mit dem Kollegium eine Vision ihrer guten Schule, basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, gesetzlichen Grundlagen und gesellschaftlichen Anforderungen.
  2. Wertschätzung und Beziehungsmanagement
    Respektvolle Kommunikation, empathisches Zuhören und professioneller Umgang mit Konflikten fördern ein positives Schulklima und stärken die Zusammenarbeit aller Beteiligten.
  3. Partizipation und Verantwortungsdelegation
    Entscheidungsprozesse sind kooperativ, Rollen und Zuständigkeiten definiert. Verantwortung wird sinnvoll und gemeinschaftlich geteilt. Das Kollegium wird aktiv in Führungsaufgaben einbezogen und erhält Raum, um sich initiativ mit seiner Expertise einzubringen.
  4. Qualitäts- und Lernkultur
    Die Schulleitung überprüft systematisch die Schulund Unterrichtsqualität und fördert die individuelle und organisatorische Weiterentwicklung.
  5. Effizientes Ressourcenmanagement
    Ressourcen werden strategisch und zielgerichtet eingesetzt, um die pädagogischen Kernaufgaben zu stärken und die Arbeitsbelastung gerecht zu verteilen.
  6. Innovationsförderung und Schulentwicklung
    Gesellschaftliche Impulse und neue Ideen werden aktiv aufgegriffen und gemeinsam mit dem Kollegium in datenbasierten, inklusiven Entwicklungsprozessen umgesetzt.
  7. Fokus auf pädagogische Exzellenz
    Die Schulleitung stellt den Bildungsauftrag der Schule ins Zentrum und etabliert eine Kultur gemeinschaftlicher Verantwortung für die Bildung aller Schüler:innen.
  8. Systemisches Denken und externe Vernetzung
    Die Schulleitung gestaltet ihre Rolle im Bildungssystem, pflegt Beziehungen zu Anspruchsgruppen und vertritt die Schule aktiv im lokalen und gesellschaftlichen Kontext.