Aus dem Klassenzimmer ins Schulleitungsbüro

Ein Team von Erwachsenen zu leiten, ist manchmal gar nicht so anders als das Führen einer Klasse, machen die zwei Schulleiterinnen vom Schulhaus Bühl in Wetzikon die Erfahrung. Ein Coaching hilft ihnen, sich in die neue Rolle einzuleben.

Fotos: Alessandro Della Bella

Der Gong für die Zehnuhrpause hallt durch das Schulhaus Bühl in Wetzikon. Kurz darauf versammelt sich eine Traube Kinder im Schulleitungsbüro. Auf dem Tisch stehen bereits Schalen mit Popcorn und Guetzli bereit. Die beiden Schulleiterinnen Lisa Berek und Daniela Ziltener füllen Himbeersirup in die mitgebrachten Becher, welche die Kinder ihnen entgegenstrecken. An diesem Montagmorgen ist eine vierte Klasse an der Reihe mit dem Besuch der Sirup-Party, zu der alle elf Primarklassen reihum einmal eingeladen sind. Die fünf Kindergärten besuchen die Schulleiterinnen in ihren eigenen Räumen.

Die Klasse 4a hat sich gut auf den Empfang vorbereitet und nutzt die Gelegenheit für ihre Anliegen. «Können wir einen Gaming-Room haben?», fragt etwa Roberto (alle Kindernamen geändert), während Lara sich erkundigt, wieso es das Schulfach Mathe überhaupt gebe. Dejan dagegen bringt ein, dass die Klasse im Sommer einen grossen Pool auf der Terrasse aufbauen möchte. Die 15 Minuten reichen kaum aus, um alle Punkte auf der langen Liste abzuarbeiten. Wenig begeistert sind die beiden Schulleiterinnen von der Idee des Gaming-Rooms. «Gamen müsst ihr in der Freizeit», sagt Daniela Ziltener. Hingegen kläre man gerne ab, ob die Terrasse für einen Pool genügend stabil sei. Derweil beantwortet Lisa Berek die Frage, wieso sie Schulleiterin geworden sei: «Es gibt viele gute Ideen, die ich nicht nur in meinem Klassenzimmer, sondern im Grossen ausprobieren möchte.»

Um den Kontakt mit den Schüler:innen aufrechtzuerhalten, führen die Schulleiterinnen regelmässig sogenannte Sirup-Partys durch. Heute ist in der Zehnuhrpause die Primarklasse 4a zu Gast.

Offene Bürotür
Die 32-Jährige war bis 2023 als Unterstufenlehrerin im selben Schulhaus tätig und wechselte danach in die Schulleitung. Nachdem die andere Schulleiterin pensioniert worden war, ist Daniela Ziltener im Sommer 2024 mit einem 50-Prozent-Pensum dazugekommen. Wegen der Schulleitungsweiterbildung sind derzeit beide noch häufig abwesend. Ziltener unterrichtete zuvor in einem anderen Schulhaus in Wetzikon. «Mich reizte die neue Aufgabe, weil ich viele Ideen für eine Schule der Vielfalt habe, wie es sich die Schule Wetzikon zum Ziel gesetzt hat. Doch manchmal vermisse ich den direkten Kontakt zu den Kindern», stellt die 47-Jährige fest. Dies war einer der Gründe, eine Sirup-Party einzuführen. Zudem hatte sich Lisa Bereks frühere Klasse gewünscht, den Kontakt zur Lehrerin auch nach ihrem Rollenwechsel nicht ganz zu verlieren. Die Bürotür stehe aber auch zu anderen Zeiten meistens offen, sagt Berek. «Wir wollen, dass die Schülerinnen und Schüler den Raum unter unbeschwerten Bedingungen kennenlernen – nicht erst, wenn allenfalls ein schwieriges Gespräch ansteht.» Bald ist die Pause um und die Kinder stürmen wieder aus dem Büro in ihre nächste Lektion. Ziltener und Berek zücken kurz den Besen, kehren die Krümel zusammen und wischen den Tisch ab. Dann steht bereits der nächste Programmpunkt dieses dichten Morgens an: Beide gehen auf Unterrichtsbesuch in verschiedene Klassen.

Maus- und Elefantenrechnungen
Daniela Ziltener beobachtet heute den Unterricht einer Heilpädagogin, die im Sommer neu angestellt wurde und sich noch in der Probezeit befindet. Im Schulzimmer der zweiten Klasse trifft die Therapeutin ihre sechs zugeteilten Kinder. Das Lernen beginnt bereits auf der Treppe, die ins Therapiezimmer im Untergeschoss führt. Am Rand jeder Stufe hat die Heilpädagogin Zahlen angebracht: 120-110-100-90 zählen die Kinder rückwärts, während sie Stufe um Stufe hinunterhüpfen. Unten angekommen, versammeln sich die Mädchen und Buben im Kreis auf dem Boden und befassen sich mit dem Zahlenraum bis 100. Die Therapeutin erklärt ihnen den Zusammenhang zwischen «Maus- und Elefantenrechnungen »: Wer zum Beispiel wisse, dass 5 + 2 = 7 ergebe, könne daraus auch problemlos das Resultat von 95 + 2 ableiten. Dies üben die Kinder nun am Platz mit einem Aufgabenblatt. Daniela Ziltener notiert ihre Beobachtungen und setzt sich zwischendurch neben das eine oder andere Kind. Später wird sie das Beurteilungsblatt ausfüllen, der Lehrerin zustellen und nach zwei Unterrichtsbesuchen ein Feedbackgespräch mit ihr führen.

Während sie für Elterngespräche einen reichen Rucksack mitbringe von ihrer Rolle als Klassenlehrerin, sei die Personalführung für sie eine neue Aufgabe, erzählt Daniela Ziltener. Sie ist für die Unterstufen-Lehrpersonen zuständig, während ihre Kollegin die Mittel- und Kindergartenstufe abdeckt. Dabei möchten sie bei den Mitarbeitendenbeurteilungen nicht nur einzelne Stunden bewerten, sondern einen ganzheitlichen Eindruck erhalten, der nicht ausschliesslich auf der Sicht einer einzigen Schulleiterin beruht. Deshalb begeben sich die beiden regelmässig auf sogenannte «Walk through»- Rundgänge, bei denen sie jeweils 10 bis 15 Minuten unangemeldet in verschiedene Schulzimmer schauen – und zwar beide auf allen Stufen. Im Anschluss geben sie den Lehrpersonen eine Rückmeldung und tauschen sich gegenseitig aus. Zudem haben sie für die Beurteilungen ihr eigenes System entwickelt. Anhand von Kompetenzkarten wählen sowohl Lehrperson als auch Schulleitung je eine Stärke zu jedem Oberthema aus sowie etwas, das weniger gut gelingt. Nach der gemeinsamen Reflexion werden Ziele definiert. Mit dieser Methode soll das Gespräch in den Vordergrund rücken.

Übergeben, ohne zu kontrollieren
Der Schulleitung des Schulhauses Bühl sind 56 Mitarbeitende unterstellt und gleichzeitig bildet sie die Schnittstelle zu Betreuung und Hausdienst. Bei der Leitung eines Lehrpersonenteams sehen die Schulleiterinnen Parallelen zum Führen einer Schulklasse. In einem grösseren Verband würden Menschen schnell in ähnliche Muster fallen, beobachten sie. Mangelnde Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit sei auch in Gremien von Erwachsenen immer mal wieder ein Thema. Manchmal würden delegierte Aufgaben vergessen gehen. Eine Kultur der Kontrolle wollen die beiden Frauen jedoch nicht etablieren. «Wir haben uns für einen kollegialen Führungsstil entschieden. Wir wollen Verantwortung übergeben», erklärt Berek. Die zwei Frauen verstanden sich auf persönlicher Ebene auf Anhieb bestens. Beim Vorstellungsgespräch von Daniela Ziltener durfte Lisa Berek dabei sein und im Bewerbungsprozess ihre Meinung einbringen. Vor der beidseitigen Zusage trafen sich die beiden auch mal zu zweit und kamen zum Schluss, dass sie sich eine Zusammenarbeit gut vorstellen konnten. Beide haben jedoch noch keine lange Erfahrung in dieser Rolle und müssen sich auch als Leitungsteam noch finden.

Schulleiterin Daniela Ziltener besucht den Unterricht einer Heilpädagogin, die im Sommer neu angestellt wurde. Die Personalführung ist eine neue Aufgabe, in die sich die ehemalige Lehrerin zurzeit einarbeitet.

Um ein gemeinsames Führungsverständnis zu entwickeln, haben sie einen Coach engagiert. An diesem Montagmorgen kommt Psychologe Christoph Hofmann bereits zum dritten Mal zu ihnen nach Wetzikon. Während eineinhalb Stunden besprechen die drei Themen rund um Teamleitung, Kommunikation und den Umgang mit Unzufriedenheit und Unzulänglichkeiten. Das Coaching sei sehr hilfreich, finden die Schulleiterinnen. Beide schätzen die klaren Stellungnahmen und konkreten Inputs, die auf viel Erfahrung und wissenschaftlich fundierten Modellen basieren. Die gemeinsame Besprechung aktueller Situationen sei eine gute Ergänzung zum Austausch in den Lerngruppen im Rahmen der Schulleitungsausbildung der PH Zürich, sagt Ziltener. «Es ist wertvoll zu hören, wie es in andern Schulen läuft. Doch die Kolleginnen und Kollegen in den obligatorischen Modulen sind selbstredend zumeist ebenfalls noch unerfahren.» An der Ausbildung schätzen die beiden zudem die Wahlpflichtmodule zu Themen wie Moderation, Datenschutz und Verantwortlichkeit oder schwierige Personalsituationen.

Einen regelmässigen Austausch pflegen die beiden innerhalb der Schulleitungskonferenz in Wetzikon. Der Leiter Bildung schaut ausserdem alle zwei bis drei Wochen im Schulhaus Bühl vorbei, um anstehende Themen und Fragen oder Probleme mit Schüler:innen und Eltern zu besprechen. Die beiden fühlen sich sehr gut unterstützt. Eine grosse Entlastung ist zudem die Assistentin im Sekretariat, die insbesondere im Bereich der Administration viel übernimmt.

Ein Coach unterstützt die Schulleiterinnen, ein gemeinsames Führungsverständnis zu entwickeln.

Austausch in Klassenteams stärken
Trotz diverser Herausforderungen laufe es im Schulhausteam insgesamt sehr gut, betont Daniela Ziltener. Sie habe sich sehr willkommen gefühlt, als sie im Sommer neu dazustiess. Sie sei gut eingeführt worden und spüre eine Offenheit für neue Ideen. Das Engagement und die Hilfsbereitschaft untereinander seien gross, wenn es darumgehe, bei Krankheitsfällen einzuspringen, Unterlagen auszutauschen oder andere in schwierigen Situationen zu unterstützen. «Und es herrscht eine angenehme Atmosphäre. Wir lachen oft zusammen.»

Um die Kommunikation und Verbindlichkeit im Team zu verbessern, wollen die Schulleiterinnen nun die Sitzungsstrukturen anpassen. Potenzial sehen sie bei der Absprache innerhalb der Klassenteams. Mit gezielter Unterstützung und Coachinggesprächen auf Ebene der Stufen wollen sie die Zusammenarbeit stärken und den Austausch unter Klassenlehrpersonen und Therapeut:innen optimieren. «Wir hoffen, damit die Motivation und Freude am Arbeiten für alle aufrechtzuerhalten und das Beste für die Schüler:innen herauszuholen», erklärt Berek. Im Rahmen des Schulprogramms setzen die beiden zudem einen Schwerpunkt beim Ausbau der Elternzusammenarbeit. Sie wollen die Kontaktkanäle evaluieren und Eltern vermehrt einbeziehen. Fünfmal pro Jahr bieten sie einen Schulleitungsapéro zum informellen Kennenlernen an. Ein weiteres Augenmerk legen sie auf das selbstorganisierte Lernen, das in der Schule bereits etabliert ist.

Nach Coaching, Sirup-Party und Schulbesuchen haben die Schulleiterinnen an diesem Dezembermorgen noch eine Stunde Zeit, um Mails zu beantworten und Telefonate zu erledigen. Das Mittagessen nehmen sie meist gemeinsam mit den anderen Lehrpersonen im Teamzimmer ein. Dann geht es weiter mit Unterrichtsbesuchen, Sitzungen und Elterngesprächen, die sich oft bis in die Abendstunden hineinziehen.