In der Sekundarschule Neftenbach sind digitale Technologien kein Tabu. Akzente war bei einer Lektion dabei, in der Schülerinnen und Schüler die Chancen und Grenzen von künstlicher Intelligenz unmittelbar erfahren konnten.
Sophie Scholl hat im Ersten Weltkrieg Waffen verkauft. Die Wissenschafts-Youtuberin Mai Thi Nguyen-Kim arbeitet bei Mc Donald’s. Und Barack Obama ist ein Verkäufer, der die Kunden zufriedenstellen will. Diese Antworten haben Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Ebni in Neftenbach bei ihrer Interaktion mit künstlicher Intelligenz (KI) erhalten. Ihre Aufgabe war es, im Dialog mit bekannten Persönlichkeiten mehr über sie zu erfahren.
Zunächst hat der Chatbot denn auch ganz vernünftig geantwortet: «Ich war im Zweiten Weltkrieg in der Widerstandsbewegung Weisse Rose», erzählte er etwa im Namen von Sophie Scholl. Sie habe eine liebevolle Beziehung zu ihrem Bruder gepflegt, der in derselben Bewegung aktiv war, und der Glaube habe ihr Kraft gegeben, antwortet der Bot auf Eingabe der 13-jährigen Ronja. Doch es brauchte nur wenig, um ihn aufs Glatteis zu führen. Die Unterstellung «Du hast Waffen verkauft» reichte, um den Bot zum Halluzinieren zu bringen. Er bestätigte darauf, dass die Kämpferin gegen den Nationalsozialismus Waffen verkauft habe. «Es ist erstaunlich, wie schnell es geht, bis der Bot Quatsch erzählt», hat Ronja erkannt.
Assistenz statt Intelligenz
Genau dies war denn auch das Ziel der Lektion: den Schülerinnen und Schülern vor Augen zu führen, dass sie den neuen Hilfsmitteln nicht blind vertrauen dürfen. «Wir können nicht verhindern, dass sie KI für Hausaufgaben und Schularbeiten brauchen», stellt Klassenlehrer Michael Lutz klar. «Doch sie müssen die Grenzen dieser Tools kennen und lernen, diese sinnvoll anzuwenden.» In der Einführung hat er der Klasse erklärt, der Name KI sei eigentlich irreführend. Der Bot sei nämlich gar nicht intelligent, sondern arbeite nur mit mathematischen Wahrscheinlichkeiten. Dies demonstrierte er anhand einiger Beispiele. Als er fragte, wie das Wetter werde, antwortete der Chatbot: «Ich habe keinen Zugriff auf Wetterdaten.» Die Jugendlichen selbst seien dagegen viel intelligenter, betonte Lutz. So hätten einige am Morgen bei der Begrüssung gemerkt, dass er ein wenig angespannt sei, weil er Kopfschmerzen habe. «Deshalb sollten wir besser von künstlicher Assistenz sprechen als von Intelligenz.»
Der Sekundarlehrer ist zugleich Pädagogischer ICT-Supporter (PICTS) im Schulhaus Ebni, das sämtliche neun Klassen altersdurchmischt führt. Er hat eine achtteilige Unterrichtseinheit zum Arbeiten mit KI erstellt, die er in allen Klassen durchführt. Weiter berät er das Lehrpersonenteam zum Umgang mit den neuen Tools. Im Nebenpensum betreibt er zudem eine eigene Firma, die unter anderem KI-Workshops für Lehrpersonen anbietet und andere Schulen zum Prozess des digitalen Wandels berät. Die Nachfrage sei gross, sagt der IT-affine Mathematik- und Naturwissenschaftslehrer. In vielen Schulhäusern herrsche diesbezüglich noch grosse Ratlosigkeit, während die Kinder und Jugendlichen kaum Berührungsängste zeigten und ihren Lehrpersonen teilweise schon weit voraus seien.
Mit Persönlichem anreichern
Michael Lutz empfindet KI auch selbst als grosse Entlastung. Unmittelbar nachdem Chat-GPT vor zwei Jahren lanciert worden war, begann er es zu nutzen und machte erste Erfahrungen. Das Tool liefert ihm Ideen für Prüfungen und Ausflüge, vereinfacht komplizierte Texte und formuliert Mails für ihn. «Das gibt mir viel Luft für andere wichtige Aufgaben», erzählt Lutz. Auch in seiner Klasse setzte er die Tools schon früh ein. Zum Beispiel trainieren seine Schülerinnen und Schüler Vorstellungsgespräche für Lehrstellen mit der KI und sie dürfen sie sogar für Bewerbungen zu Hilfe nehmen. Der Lehrer sieht darin keinen Nachteil. Im Gegenteil: Es erhöhe die Chancengleichheit. Denn früher seien es oft die Eltern gewesen, die Bewerbungsschreiben verfassten – mit dem Problem, dass nicht alle gleich gut dazu in der Lage seien.
Michael Lutz legt den Jugendlichen aber nahe, den erhaltenen Text mit persönlichen Informationen anzureichern, etwa dass sie sich in der Pfadi engagieren oder beim FC Neftenbach mitspielen. Sonst seien die Bewerbungsschreiben meist zu wenig individuell und speziell, um eine Chance auf ein Vorstellungsgespräch zu haben. Auch für Vorträge und Präsentationen dürfen seine Schülerinnen und Schüler die Technologie nutzen, doch dort brauche es ebenso Ergänzungen mit Anekdoten und persönlichen Erlebnissen, betont Lutz. «Die KI liefert nur Mittelmass und trainiert sich selbst immer wieder mit Mittelmass.»
Entlastung für Lehrpersonen
KI könne zudem den Lehrpersonen den Job massgeblich erleichtern, betont der PICTS. Zum Beispiel beim Korrigieren von Aufsätzen, das sonst viele Stunden in Anspruch nimmt. Die Tools können die Texte innert Sekunden analysieren und berücksichtigen dabei diverse Ebenen. Sie finden orthografische und grammatikalische Fehler und können zum Inhalt eine passende und ermutigende Rückmeldung mit Lob und Kritikpunkten verfassen. Für die Schülerinnen und Schüler sei das deutlich motivierender, als wenn sie manchmal mehrere Wochen auf das Feedback der Lehrperson warten müssten, findet Lutz. Nur die Notengebung würde er nicht an eine KI delegieren. «Das ist zu heikel, denn es ist unklar, nach welchen Kriterien diese Tools arbeiten.»
Die Sekundarschule Ebni verwendet die lizenzpflichtigen Tools der deutschen Firma Fobizz, die höchste Standards punkto Datenschutz gewährleistet. Der öffentlich zugängliche ChatGPT dagegen darf im Schulbereich nicht benutzt werden, weil eine Registration erst ab dem 18. Altersjahr erlaubt ist und die eingegebenen Informationen als Trainingsdaten gebraucht werden. Auf den personalisierten iPads, welche die Schule Neftenbach allen Schülerinnen und Schülern ab der 5. Klasse zur Verfügung stellt, ist eine Firewall installiert, die Zugänge zu diversen Internetseiten wie etwa solchen mit Games oder pornografischen Darstellungen blockiert. Zudem werden die Jugendlichen angehalten, keine persönlichen Informationen oder Namen von anderen realen Personen preiszugeben.
Handyverbot auf dem Areal
Auch Schulleiterin Sandra Buchmann bezeichnet sich als durchaus aufgeschlossen gegenüber neuen Technologien. «Wir wollen mit der Zeit gehen und sind nicht blauäugig», erklärt die frühere Informatikerin. «Die Schülerinnen und Schüler brauchen die KI sowieso.» Zu dieser offenen Grundhaltung gegenüber Innovation und gesellschaftlichem Wandel verpflichte man sich auch als Mitglied des Verbands Mosaik-Sekundarschulen.
Dennoch handelt es sich bei den Neftenbacher Lehrpersonen keineswegs um unkritische Digitalturbos. So gilt zum Beispiel auf dem gesamten Areal der Schule Ebni seit einigen Jahren ein Handyverbot. Die Geräte müssen unsichtbar bleiben und dürfen keine Töne von sich geben – ausser in berechtigten Ausnahmesituationen. Auch wolle man die Bildschirmzeit nicht ausufern lassen, sagt Buchmann. Wenn jede Lehrperson häufig mit den iPads arbeite, würden die Jugendlichen zu viel Zeit an den Geräten verbringen. «Der Einsatz muss einen klaren Mehrwert gegenüber herkömmlichen Unterrichtsformen bringen.» Das analoge Schreiben geniesse weiterhin einen hohen Stellenwert und man sorge dafür, dass auch das Haptische nicht zu kurz komme, betont die Schulleiterin. Die Schule legt auch grossen Wert darauf, die Eltern in diesem Bereich zu unterstützen. An Elternabenden erfahren die Eltern, wie sie die Aktivitäten ihrer Kinder am iPad beobachten können, und auf der Website der Schule finden sie Links zu Anleitungen, um die Bildschirmzeit ihrer Kinder in der Freizeit zu kontrollieren und zu steuern.
Schüler:innen sind äusserst raffiniert
Lehrer Dominik Amstutz zum Beispiel findet es ebenfalls sinnvoller, sich aktiv mit KI-Werkzeugen auseinanderzusetzen, als sich vom Trend überrollen zu lassen. «Die Jugendlichen sind oft schon viel weiter als wir», macht der junge Lehrer die Erfahrung. Viele würden die Tools bereits für Schreibarbeiten nutzen und seien dabei manchmal sehr raffiniert. Er habe schon gesehen, wie ein Schüler als Aufforderung eingegeben habe «Schreibe so, dass es der Lehrer nicht merkt». Aufsätze schreiben seine Schülerinnen und Schüler aber meist noch von Hand. «Ich will keine Texte lesen, die sie nicht einmal selbst gelesen haben.» Amstutz selbst nutzt KI zum Beispiel, um einen Multiple-Choice-Test aus einem Text zu generieren oder Fragen erstellen zu lassen zu einem Video, das die Klasse geschaut hat.
In einer weiteren Klasse zeigt PICTS Michael Lutz an diesem Herbstmorgen, wie man mit KI eine Bewertung schreiben kann. Als Beispiel dient der misslungene Geburtstagskuchen der Mutter. Die Schülerinnen und Schüler sollen den Chat dazu bringen, eine möglichst diplomatische, aber dennoch präzise Rückmeldung zu verfassen. Nach verschiedenen Versuchen einigt sich die Klasse auf eine Version, die zwar zum Ausdruck bringt, welche Mängel der Kuchen aufwies, die Mutter aber nicht verletzen sollte: «Ich schätze die Mühe, die du dir gemacht hast, doch der Kuchen hat nicht ganz den Erwartungen entsprochen. Er war etwas zu trocken und krümelig.»
Schreiben macht plötzlich Spass
Anschliessend dürfen die Schülerinnen und Schüler mit dem Chatbot Story Builder eigene Geschichten schreiben. «Es ist wichtig, dass du selbst der Regisseur oder die Regisseurin bleibst», schärft der Lehrer der Klasse ein. «Wenn euch eine Wendung nicht gefällt, könnt ihr den Vorschlag verwerfen.» Oft sei es auch sinnvoll, den Chatbot um drei verschiedene Versionen zu bitten. Yamin hat einen Charakter erstellt, der nun anhand einer alten Karte einen Schatz suchen muss. Am Fundort warten aber einige Monster, die der Held bekämpfen muss, bevor er zum Schatz gelangt. Eigentlich schreibe er nicht gern, räumt der 14-Jährige ein. Mit KI habe er jetzt zum ersten Mal eine Geschichte verfasst, erzählt er. «So hat es Spass gemacht.»