Die Integration von künstlicher Intelligenz bietet zahlreiche Möglichkeiten, den Unterricht zu bereichern. Dabei ist es wichtig, die individuellen Bedürfnisse der Lernenden in den Mittelpunkt zu stellen und einen verantwortungsvollen Umgang mit KI-Tools zu fördern.
Künstliche Intelligenz (KI) erobert die Klassenzimmer. Spätestens seit Chat-GPT im November 2022 vorgestellt wurde, ist KI in aller Munde. Denn der Chatbot der US-amerikanischen Softwarefirma Open-AI bietet verlockendes Potenzial für Erwachsene und Jugendliche: So schreibt Chat-GPT in Sekundenschnelle einen Kurzvortrag, fasst einen Text zusammen, erstellt ein Konzept oder liefert Pro und Kontra zu einer Fragestellung. Grosses Manko: Quellenangaben fehlen weitgehend und zuweilen halluzinieren Chatbots bei gewissen Themen. Trotzdem ersetzen Chat-GPT und andere KI-Tools zunehmend klassische Suchmaschinen wie Google.
Während KI von vielen Lehrpersonen noch nicht standardmässig im Unterricht an der Regelschule eingesetzt wird, benutzen Schüler:innen diese bereits rege, um Schulaufträge – oder zumindest Teile davon – zu erledigen, häufig ohne Wissen der Lehrperson.
Persönliche Lerncoachs als Zukunft
Je älter die Lernenden, desto grösser sind die Auswirkungen von KI. Deshalb sind nachobligatorische und berufsbildende Schulen teils einen Schritt weiter als die Volksschule. Sie testen beispielsweise in «KI-Labs» erste Varianten von KI-Lerncoachs, die sich an das Lerntempo und -niveau der Schüler:innen anpassen, indem sie trainiert werden, auf Stärken und Schwächen einzugehen. Ein wichtiger Pluspunkt solcher persönlicher KI-Lerncoachs ist es, dass sie jederzeit für Fragen zur Verfügung stehen. Voraussetzung ist, dass eine Lehrperson, also die Expert:in fürs Lernen, vorgängig einen «Prompt» – eine Anweisung für den KI-Lerncoach – schreibt, erklärt Dominic Hassler, Dozent am Zentrum für Berufs- und Erwachsenenbildung an der PH Zürich, und ergänzt: «Wir gehen davon aus, dass ein Feedback oder Coaching durch die Lehrperson eine höhere Qualität hat als von der KI.» Aber: Die Lehrperson ist nicht immer verfügbar, die KI schon. Deshalb müsse man überlegen, in welchen Situationen man die teilweise noch niedrigere Qualität in Kauf nehme, wenn dafür dieser Austausch immer möglich sei.
Dominic Hassler kennt aber auch simplere Beispiele, wie KI als Unterstützung im Lernprozess eingesetzt werden kann. Ein Einstieg könnte sein, dass Schüler:innen einen Text zusammenfassen, sie ihre Versionen zunächst untereinander und dann mit der KI-Zusammenfassung von Chat-GPT oder Claude vergleichen. Dabei sollen sie analysieren, was ihnen an ihrem eigenen und am KI-Text gefällt. Durch dieses gestaffelte Vorgehen fällt es den Schüler:innen leichter, die KI-Zusammenfassung kritisch zu betrachten. Lernende, die mit dem Schreiben Mühe haben, diktieren einen Text und lassen ihn transkribieren, das kann beispielsweise Word sehr gut. Den schriftlichen Text überarbeiten sie anschliessend mit einer künstlichen Intelligenz wie DeepL Write oder Languagetool. Bei den Mathematikaufgaben lassen sich etwa die Lösungswege von Gleichungen mit Photomath überprüfen.
Ängste der Lehrpersonen ernst nehmen
Dabei sei es zielführend, mit den Jugendlichen über den Sinn der Lernaufgaben zu sprechen und geeignete Anreize zu schaffen, so Dominic Hassler. Wenn Schüler:innen beim Lernen KI verwenden, dann benötigen sie dafür metakognitive Lernstrategien. Es sei Jugendlichen völlig klar, dass es sinnlos sei, einen Roboter ins Fitnesscenter zu schicken, wenn man seinen Körper trainieren möchte. «Ähnlich absurd sollte es sein, eine Lernaufgabe mit Chat-GPT zu lösen, denn die Schule ist das Fitnesscenter für das Gehirn. Und wenn man mit der KI im Fitnesscenter sitzt, hat man keinen Trainings- beziehungsweise Lerneffekt. Das ist den Schüler:innen aber nicht gleichermassen bewusst, darum ist es wichtig, dass wir mit ihnen über das Lernen sprechen», betont Dominic Hassler. Folglich werde KI niemals Fertigkeiten wie Lesen und Schreiben ersetzen, ist er überzeugt. «Schreiben hat viel mit Denken zu tun – und Denken viel mit Lernen», erklärt Dominic Hassler. Gerade deshalb gibt er sich eher zurückhaltend, wenn es um den Nutzen von KI für das eigentliche Lernen geht. Neuen Technologien werde immer sehr viel Potenzial zugeschrieben. «Aber wir wissen momentan schlicht zu wenig über die Auswirkungen von KI-Anwendungen auf den Lerneffekt bei Kindern und Jugendlichen.»
Gleichzeitig animiert Dominic Hassler Lehrpersonen, sich mit KI zu beschäftigen und mit verschiedenen Tools zu experimentieren. «Wichtig ist es, die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen zu kennen und im Austausch zu bleiben», sagt Dominic Hassler und ergänzt: «Aufgaben, die von den Lernenden ausserhalb des Unterrichts erledigt werden, sind kein sinnvoller Weg mehr, Wissen und Fertigkeiten zu testen.» Die Möglichkeiten, bei Aufträgen Abkürzungen zu nehmen, seien enorm – und verständlicherweise attraktiv. Entsprechend hätten Lehrpersonen, die stark in einer Kontrollkultur verhaftet seien, jetzt vermehrt Schwierigkeiten, ihre Kontrollmechanismen einzusetzen. Bei seinen regelmässigen Inputs, die Dominic Hassler in den letzten Jahren an Schulen gegeben hat, spürte er immer wieder die Ängste einzelner Lehrpersonen. «Diese Überforderung müssen wir ernst nehmen», sagt Dominic Hassler. Schulleitungen seien in der Pflicht, ihren Lehrpersonen Unterstützung zu bieten. Gleichzeitig relativiert er und verweist auf andere Errungenschaften in der Geschichte, die die Rolle der Lehrperson in Frage stellten. So wurde bereits das Schulbuch einst als Bedrohung für die Lehrperson aufgefasst, vereint es doch so viel Stoff kompakt. Auch das Internet, das den Nutzenden unendlich viele Informationen bietet, stellte das Selbstverständnis von Lehrpersonen als Wissensvermittler:innen auf die Probe. Die Wichtigkeit der Schule ist allerdings bis heute unbestritten.
Medienkompetenz nachhaltig fördern
Auch Mirjam Egloff, Dozentin für Medienbildung und Informatik an der PH Zürich, spürt die Ängste vieler Lehrpersonen, sich nur schon einen groben Überblick im Bereich KI zu verschaffen. «Zu Recht», selbst als Expertin habe sie keine Chance, über alles informiert zu sein und jede neue App zu kennen. Deshalb sei es sinnvoll, mit kleinen Schritten zu starten. «Konkret geht es darum, für den Anfang mit zwei oder drei KI-Tools zu beginnen», so die Medienpädagogin. Sie ist fasziniert von den grandiosen Möglichkeiten, die KI bietet.
Lehrpersonen müssten bereit sein, neue Technologien in ihren Unterricht zu integrieren. «Dabei ist es wichtig, den Fokus auf die individuelle Förderung der Schüler:innen zu legen und den verantwortungsvollen Umgang mit KI zu fördern.» So könne KI im Idealfall nicht nur den Lernprozess verbessern, sondern die Lehrpersonen entlasten und den Lernenden helfen, sich in einer zunehmend digitalen Welt zu orientieren. Ein KI-Tool gebe Rückmeldungen, welche die Lernenden befähigen können, ohne dass die Lehrperson ein Feedback gegeben hat. Dies könne dazu beitragen, den Lernerfolg der Schüler:innen zu steigern, ist Mirjam Egloff überzeugt.
Gerade in heterogenen Klassen ist die Differenzierung des Unterrichts eine grosse Herausforderung. KI kann Lehrpersonen helfen, verschiedene Lernmaterialien und -methoden für unterschiedliche Leistungsniveaus bereitzustellen. Sowohl Lehrpersonen wie Lernenden jeden Alters müsse aber bewusst sein, dass Informationen aus einem KI-Tool immer auf Korrektheit überprüft und zusätzlich den eigenen Bedürfnissen angepasst werden müssten. Dabei helfe ein routinierter Umgang mit entsprechenden Tools. Demgemäss können Lernende ihre Medienkompetenz und ihre digitalen Skills durch einen regelmässigen Einsatz im Unterricht erweitern. Dies kann durch Projekte, Workshops oder Diskussionen über Ethik und Auswirkungen von KI geschehen. Im Zusammenhang mit der Nutzung von KI sei auch der Datenschutz ein zentrales Thema. So müsse den Schüler:innen klar sein, dass sie keine persönlichen Informationen an ein KI-Tool abgeben sollten, betont die Medienpädagogin.
Um sich als Lehrperson das entsprechende Know-how anzueignen, empfiehlt Mirjam Egloff die praxisnahen Weiterbildungsangebote an der PH Zürich, die die digitalen Kompetenzen von Lehrpersonen fördern. Das Zentrum Medienbildung und Informatik berate Schulen in diesbezüglichen vielschichtigen Veränderungsprozessen. In der Ausbildung der Studierenden werde KI derweil im Fach Medien und Informatik und oft auch in anderen Fachbereichen fächerübergreifend integriert. Die Schwierigkeit sieht Mirjam Egloff denn auch nicht in der schrittweisen Implementierung von KI, sondern in der Herausforderung «Lernen trotz KI-Möglichkeiten», die auf Lehrpersonen, Schulleitungen und Lernende zukommt. Die Medienpädagogin hofft, dass sich der Unterricht in kürzester Zeit massgeblich verändern wird und KI für das Lernen und Lehren neue Möglichkeiten schafft. Vorrangiges Ziel sei deshalb, die Medienkompetenz nachhaltig zu fördern. Hier sieht sie die Schule in der Pflicht, die neben dem Elternhaus vor einer grossen Herausforderung steht. So erachtet sie es als sinnvoll, dass Schulen ein gut strukturiertes Mediennutzungskonzept erstellen und Eltern und Erziehungsberechtigte auf den gemeinsamen Weg mitgenommen werden. Offizielle Richtlinien empfehlen die Nutzung von Chat-GPT für Kinder ab 13 Jahren. Mirjam Egloff hingegen rät Schulen, nur datenschutzkonforme Tools wie Fobizz, SchulKI oder Schabi zu nutzen.
Daten können Vorurteile transportieren
Dass KI ein relevantes Thema in der Digitalisierung ist, sieht auch Barbara Getto, Professorin für Medienbildung am Zentrum Bildung und Digitaler Wandel an der PH Zürich. «KI-Modelle durchdringen zunehmend unseren Alltag», sagt Barbara Getto und ergänzt: «Wichtig ist aber das Wissen, dass diese Systeme nicht neutral sind, zudem wissen wir oft nicht, woher die Daten stammen, mit denen sie gefüttert wurden.» So seien KI-Tools mit Daten trainiert worden, die Vorurteile und diskriminierende Wertvorstellungen enthalten können, beispielsweise in Bezug auf Gender, Alter oder Herkunft. Barbara Getto forscht aktuell zu Veränderungsprozessen in Bildungseinrichtungen. Im Rahmen des von der Jacobs Foundation geförderten vierjährigen Projekts «Deep Professionalization» untersucht sie gemeinsam mit der Pädagogischen Hochschule St. Gallen und der Universität Zürich die Auswirkungen der digitalen Transformation auf die Professionalisierung von Lehrpersonen an Schweizer Primarschulen im Hinblick auf Bildungsgerechtigkeit.
Die Digitalisierung im Bildungsbereich ist ein dynamisches Feld, insbesondere durch die massentauglichen KI-Modelle, die pädagogische, ethische und methodologische Fragen aufwerfen. «Um Antworten auf diese aktuellen Herausforderungen zu finden, ist es von grosser Bedeutung, dass die Forschung im engen Austausch mit der Praxis steht», betont Barbara Getto. «Es ist aussergewöhnlich, wie dialogisch die aktuelle Forschung arbeitet.» Dies sei nötig, da durch die entwickelten massentauglichen KI-Modelle die Dringlichkeit zunehme. Grundsätzlich sei dies ein positiver Aspekt, aber doch stelle es die Forschenden vor grosse Herausforderungen. So fehlten für viele Einsatzmöglichkeiten von KI noch die didaktischen Prozesse. Trotzdem ist die Wissenschaftlerin zuversichtlich: «Schulen haben eine hohe Resilienz.» Sie ist sich sicher, dass die Rolle der Lehrperson auch in Zukunft wichtig bleibt – vor allem auf Niveau Primarstufe. Es gelte vorrangig die Verantwortung für die Nutzung von KI zu übernehmen und die Lernenden in ihrer Medienkompetenz zu stärken.
«Mit KI werden viele althergebrachte Unterrichtsformen verschwinden», ist sich David Gavin sicher. Der ausgebildete Primarlehrer arbeitet seit zwölf Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Digital Learning der PH Zürich. Gleichzeitig schaffe KI der Lehrperson aber Platz für guten Unterricht. «Lernende auf allen Stufen werden mehr Autonomie erhalten müssen», ist er überzeugt und ergänzt, dass genau dafür Wissen und ein gewisses Level an Reflexion unumgänglich sei. «Lehrpersonen werden mehr denn je dafür sorgen müssen, dass der moralische Kompass bei Kindern und Jugendlichen vorhanden ist», sagt er.
Rückgang der Chancengerechtigkeit
Zudem sieht David Gavin bei KI-Tools tendenziell eine Gefahr für die Chancengerechtigkeit im Bildungssystem. Denn wer mehr Medienkompetenz vom Elternhaus mitbringe, könne Chatbots besser nutzen und Aufträge zielführender formulieren. Ausserdem würden viele KI-Tools Gebühren für die Nutzung erheben. Die kostenlose KI-Version biete häufig wesentlich weniger. Auch hier sieht er eine Akzentuierung vorhandener Ungleichheiten und ermutigt die Schulen, ihren Lernenden den Zugang zu guten KI-Tools zu ermöglichen.
Das Projekt «Deep Professionalization» von Barbara Getto setzt genau an diesem Punkt an. Es untersucht, wie Lehrpersonen gezielt in ihren digitalen Kompetenzen gestärkt werden können, um die Chancen der Digitalisierung im Hinblick auf gerechtere Bildung in Schulen zu nutzen. David Gavin ist gleichzeitig aber überzeugt, dass KI durchaus eine grosse Chance für Kinder und Jugendliche bieten kann, die im herkömmlichen Unterricht Mühe haben. So könnten Kinder mit Lernschwierigkeiten – etwa Legasthenie – allenfalls durch einen persönlichen KI-Lerncoach profitieren. Auch könne ein Chatbot durchaus auf Schüler:innen ansprechend wirken – vielleicht gerade bei Kindern oder Jugendlichen, die im Elternhaus wenig Kommunikation und Interaktion erfahren. Überdies würden KI-Tools, die kreative Prozesse unterstützen, Schüler:innen dazu anregen, neue Ideen zu entwickeln. Zum Beispiel helfen KI-Anwendungen neben der Erstellung von Texten auch bei der Generierung von Bildern, Musik oder Kunstwerken. Sie sollten genutzt werden, um kreative Projekte zu fördern und um Schüler:innen zu ermutigen, ihre Talente zu entdecken.
Was die Zukunft betrifft, ist sich David Gavin unsicher: «Bisher war man bei neuen Technologien immer schlecht im Abschätzen der Folgen – kurzfristige Konsequenzen werden meist überschätzt, während langfristige unterschätzt werden.» Klar sei für den jetzigen Zeitpunkt, dass die sinnvolle Integration von KI den Unterricht bereichern und sowohl Lehrpersonen wie auch Lernende unterstützen könne. Er ist wie PHZH-Dozentin Mirjam Egloff der Ansicht, dass sich Lehrpersonen mit den verschiedenen Möglichkeiten vertraut machen und bereit sein sollten, neue Technologien in ihren Unterricht zu integrieren. «Keine Lehrperson wird durch KI ersetzt, aber vielleicht durch eine Person, die KI beherrscht», ist Mirjam Egloff überzeugt und appelliert deshalb an Schulen: «Lebenslanges Lernen gilt für alle – und KI kann Lehrpersonen grandiose Möglichkeiten eröffnen.»