«KI wird die Lernprozesse in der Schule effizienter gestalten»

«Wichtig sind Neugierde und kritisches Denken.» Imanol Schlag vom AI Center der ETH Zürich. Foto: Nelly Rodriguez

Imanol Schlag vom Artificial Intelligence Center der ETH Zürich rechnet für die Zukunft mit weiteren bahnbrechenden Innovationen im Bereich der künstlichen Intelligenz. Allerdings müssten KI-Systeme dahingehend verbessert werden, dass ihre Entscheidungen transparent sind und unseren ethischen Standards entsprechen.

Imanol Schlag, wird künstliche Intelligenz uns Menschen irgendwann ersetzen?
Technologie, einschliesslich KI, dient grundsätzlich dazu, menschliche Arbeit zu erleichtern und unsere Fähigkeiten zu erweitern. Generative KI ist dabei das neueste Werkzeug in unserem technologischen Arsenal. Wie andere Innovationen zuvor sollten wir sie nutzen, um unsere Produktivität und Kreativität zu steigern. Obwohl die Möglichkeiten von KI faszinieren, sind wir noch weit davon entfernt, dass sie Menschen vollständig ersetzen kann. Stattdessen eröffnet sie spannende neue Wege, wie wir arbeiten und Probleme lösen können.

Was muss man sich als Laie unter KI vorstellen?
KI ist bereits ein fester Bestandteil unseres Alltags und stellt nach dem Computer, dem Internet und dem Smartphone die vierte digitale Revolution dar. Sie verarbeitet nicht nur Daten, sondern kann aus ihnen Muster erkennen und Vorhersagen treffen. Wir begegnen KI täglich – bei Suchmaschinen, personalisierter Werbung, in sozialen Medien, bei Musikempfehlungen und auf unseren Smartphones. Die neuste Entwicklung – generative KI – eröffnet noch weitreichendere Möglichkeiten, indem sie Texte, Bilder und ebenso Videos eigenständig erstellen kann.

KI ist also bereits jetzt in unser tägliches Leben integriert. Hätten Sie uns weitere Beispiele, was durch KI optimiert wird?
Tatsächlich ist KI in vielen weiteren Bereichen präsent, oft ohne dass wir es bewusst wahrnehmen. In der Medizin unterstützt KI bei der Diagnose von Krankheiten oder der Analyse von Röntgenbildern. Im Finanzsektor wird sie für die Betrugserkennung und automatisierte Handelssysteme eingesetzt. In der Landwirtschaft optimiert KI die Bewässerung und den Einsatz von Düngemitteln. Auch in der Verkehrssteuerung, bei Übersetzungsdiensten und in der Produktionsoptimierung spielt KI eine wichtige Rolle. Zudem begegnen wir in der Kundenbetreuung online oft Chatbots, die auf KI basieren.

Das Stichwort Rechenleistungen hat viel mit dem Fortschritt im sogenannten Machine Learning und der Entwicklung von Chatbots zu tun.
Die Fortschritte im Machine Learning und die Entwicklung von Chatbots wie Chat-GPT sind tatsächlich eng mit dem enormen Anstieg der verfügbaren Rechenleistungen verknüpft. Die gesteigerte Rechenkapazität, kombiniert mit der Verfügbarkeit riesiger Datenmengen, hat zu signifikanten Durchbrüchen geführt. Machine Learning, ein Kernbereich der KI, ermöglicht es Maschinen, durch Mustererkennung in Trainingsdaten kontinuierlich zu lernen und sich zu verbessern. Die jüngsten Fortschritte bei grossen Sprachmodellen wie Chat-GPT von Open-AI zeigen eindrücklich, wie die gesteigerte Rechenleistung die Fähigkeiten von generalistischen KI-Systemen erweitert hat.

Sie sind Experte im Bereich Machine Learning am Center for Artificial Intelligence (AI) an der ETH Zürich. Wozu forschen Sie?
Als Forscher am ETH AI Center konzentriere ich mich auf die Entwicklung grosser Sprachmodelle und deren verantwortungsvolle Integration in verschiedene Anwendungsbereiche. Ein Hauptziel unserer Arbeit im Rahmen der Swiss AI Initiative ist es, ein leistungsfähiges Open-Source-Sprachmodell mit 70 Milliarden Parametern zu entwickeln, das auf Schweizer Werte und Bedürfnisse abgestimmt ist. Unser Forschungsansatz umfasst nicht nur das Training dieser Modelle, sondern auch deren Optimierung hinsichtlich Effizienz, Mehrsprachigkeit und ethischer Ausrichtung. Wir arbeiten daran, diese Technologien für verschiedene Bereiche wie Bildung, Gesundheit und Nachhaltigkeit nutzbar zu machen. Es ist hierbei wichtig, dass wir verstehen, wie KI funktioniert, besonders in heiklen Einsatzgebieten wie Medizin oder in juristischen Fragen. Von KI-Systemen getroffene Entscheidungen sind nicht immer nachvollziehbar. Elementar wird es deshalb sein, sie dahingehend zu verbessern, dass sie nicht nur effizient, sondern auch transparent sind. Dies ist eine Bemühung im Bereich der Explainable AI, an der in der Forschung gearbeitet wird. So kann sichergestellt werden, dass Entscheidungen von KI-Systemen ethischen Standards entsprechen. Die Entwicklung und Anwendung von KI muss gesteuert werden, dies bedeutet ein Abwägen zwischen Innovation und ethischen Fragen – also zwischen Fortschritt und dem Schutz unserer Grundwerte.

Das Thema Datenschutz steht im Zentrum ethischer Fragestellungen. Wo steht die Schweiz diesbezüglich?
Die Schweiz nimmt beim Datenschutz in der KI-Entwicklung eine Vorreiterrolle ein. Im Rahmen der Swiss AI Initiative entwickeln wir KI-Systeme, die sowohl mit Schweizer Datenschutzstandards als auch mit dem EU AI Act kompatibel sind. Beim Training unserer Sprachmodelle verwenden wir hauptsächlich öffentlich zugängliche Daten und achten streng auf den Schutz persönlicher Informationen. Unser Ziel ist es, fortschrittliche KI zu entwickeln, die höchste Datenschutzstandards erfüllt und als Vorbild für verantwortungsvolle KI-Entwicklung weltweit dienen kann.

Ist nun bezüglich Datenverfügbarkeit ein Plateau erreicht oder wird in den nächsten Jahren nochmals ähnlich Bahnbrechendes entwickelt?
Die KI-Entwicklung wird weiter voranschreiten, trotz Diskussionen über ein mögliches Datenplateau. Viele bisher unzugänglichen Datenquellen könnten noch erschlossen werden. Zukunftsträchtige Bereiche sind die Verarbeitung multimodaler Daten, etwa Bild und Audio, sowie der Einsatz synthetischer Daten für komplexe Aufgaben. Mit diesen Entwicklungen sind in den kommenden Jahren weitere bahnbrechende Fortschritte in der KI zu erwarten, die neue Anwendungsmöglichkeiten eröffnen und bestehende Prozesse weiter optimieren werden.

Dies hat klare Auswirkungen auf unsere Arbeitswelt. Welche Tätigkeiten werden noch von Menschen ausgeführt werden und welche verschwinden vielleicht?
KI verändert bereits Arbeitsabläufe in vielen Branchen, von der Medizin bis zur Kreativwirtschaft. Routineaufgaben und datenintensive Prozesse werden zunehmend von KI übernommen, während neue Berufsfelder in KI-Entwicklung, -Überwachung und -Integration entstehen. Tätigkeiten, die emotionale Intelligenz, ethisches Urteilsvermögen und verantwortungsvolle Entscheidungsfindung erfordern, werden weiterhin von Menschen ausgeführt. Dazu gehören Berufe mit starker zwischenmenschlicher Interaktion wie im Gesundheitswesen, in der Beratung oder der Bildung. Zunehmend wichtig wird die Fähigkeit, KI-Tools ganzheitlich einzusetzen und ihre Ergebnisse kritisch zu bewerten. Menschen werden benötigt, um potenzielle Probleme oder Schäden durch KI zu erkennen und zu verhindern.

Was bedeutet dies für Schulkinder und Jugendliche? Was müssen sie lernen und verstehen, um für ein Leben mit KI gerüstet zu sein?
Die heutigen Digital Natives werden intuitiv mit KI umgehen. Wichtig sind Neugierde, kritisches Denken und die Fähigkeit, Informationen zu bewerten. Ein grundlegendes Verständnis für Informatik und die ethischen Aspekte von KI werden aber entscheidend sein. Schüler:innen sollten lernen, KI-Tools verantwortungsvoll einzusetzen und deren Auswirkungen zu verstehen. Die Fähigkeit, effektiv mit KI-Systemen zusammenzuarbeiten, wird zur Schlüsselkompetenz. Angesichts der sich ständig weiterentwickelnden Technologien werden lebenslanges Lernen und Anpassungsfähigkeit unerlässlich sein.

Welche Rolle schreiben Sie hierbei der Schule zu? Was wird die Aufgabe der Lehrpersonen bleiben?
KI wird die Lernprozesse im Klassenzimmer effizienter und interaktiver gestalten. Durch personalisierte Lernwege, die von KI-Systemen auf Basis individueller Fortschritte optimiert werden, wird sich das Lernen grundlegend verändern. Diese KI-Tools bieten sowohl für Lehrpersonen als auch für Schüler:innen einen klaren Mehrwert. Die Rolle der Lehrperson wird sich dadurch wandeln, aber keineswegs an Bedeutung verlieren. Sie werden verstärkt als Coachs oder Mentor:innen agieren, die kritisches Denken fördern, ethische Fragen diskutieren und die Entwicklung von Sozialkompetenzen unterstützen. Ihre Aufgabe wird es sein, Lernende im verantwortungsvollen Umgang mit KI anzuleiten und sicherzustellen, dass die Technologie als Hilfsmittel dient, nicht als Ersatz für menschliche Interaktion und Kreativität.

Ãœber Imanol Schlag

Imanol Schlag (*1991) wuchs mit seinem Bruder in Baselland auf. Seinen baskischen Vornamen hat er von seiner spanischen Mutter, sein Vater ist im Zürcher Oberland aufgewachsen. Im Anschluss an die obligatorische Schulzeit entschied er sich für eine Lehre als Informatiker bei der Basler Kantonalbank. Nach der Rekrutenschule absolvierte er als Grenadier die Unteroffiziersschule in Isone. Er bezeichnet die rund eineinhalb Jahre im Militär als prägende Zeit, die ihn in Bezug auf die Fähigkeit, seine Ziele zu erreichen, sehr bereichert hat.

Von 2010 bis 2013 studierte er Informatik an der FHNW und schloss mit einem Bachelor ab, seinen Master in Artificial Intelligence machte er an der University of St. Andrews in Schottland. Im Anschluss zog es ihn für seinen PhD ans Dalle-Molle-Forschungsinstitut für künstliche Intelligenz nach Lugano. Während dieser Zeit absolvierte er bei Microsoft in Seattle und Meta in Palo Alto je ein Forschungspraktikum. Während eines Praktikums bei Google in Zürich lernte er seine heutige Partnerin kennen, mit der er in Winterthur lebt.

Imanol Schlag arbeitet aktuell am AI Center an der ETH in Zürich und co-leitet den Sprachmodellbereich der Swiss AI Initiative.