Wahrheit ist ein arg strapazierter Begriff. Das ist nichts Neues, denn die Menschheitsgeschichte führt uns seit Tausenden von Jahren vor Augen, wie Wahrheiten verzerrt, verleugnet und immer wieder von den Mächtigen für sich beansprucht wurden, um eigene Interessen durchzusetzen. Wie der Podcaster in der Netflix-Serie Bodkin vermutet, tritt Wahrheit wie die sichtbaren Spektralfarben eines Prismas vermutlich nur bruchstückhaft zutage und entzieht sich als Ganzes letztlich unserer Erkenntnis.
Wenn ein Buch mit der Frage «Was ist Wahrheit?» beginnt, dürfe also klar sein, dass gegen Ende keine abschliessende Antwort zu erwarten ist. Werner Herzog, Regisseur und Buchautor, schöpft in seinem Essay aus eigener Erfahrung, lässt in Exkursen Autobiografisches und Anekdotischen einfliessen und umrundet seinen Gegenstand in elliptischen Bewegungen. Im Blick durchs Kaleidoskop fügen sich die bunten Wirklichkeitsscherben stets neu zu vermeintlichen Gewissheiten zusammen. Das Streben nach Wahrheit bleibt für Herzog «eine immerwährende Bemühung, sich ihr anzunähern». Die Suche nach Erkenntnis und neuen Perspektiven lohnt sich dennoch, selbst wenn wir die schwelende Wahrheit hinter den leblosen Fakten nie ganz zu fassen kriegen.