Die Pädagogische Hochschule rückt noch näher an die Praxis und das Schulfeld näher an die Hochschule. Bruno Kaufmann, Bereichsleiter Berufspraktische Ausbildung (BpA) für die Sekundarstufe I, gibt Einblick in die Umsetzung des neuen Modells auf der Sekundarstufe I.
Ein zentrales Anliegen der PH Zürich ist die enge Verzahnung von Studium und Praxis. Wie gelingt dies?
Wir wollen die Praxis und die Hochschule noch stärker verbinden, um resiliente Lehrpersonen auszubilden, die gut auf die herausfordernde Berufspraxis vorbereitet sind. Daher haben wir die berufspraktische Ausbildung (BpA) im Modell Kooperationsschule 2.0 (KS 2.0) grundlegend überarbeitet: Wir gehen auf die Praxis zu und nehmen ihre Anliegen auf.
Was sind die zentralen Rollen in diesem Modell?
Die zentralen Rollen sind die Funktionen der Praxisleitungen, der Praxislehrpersonen, der Mentor:innen und der Bereichsleitenden BpA der PH Zürich. Die Bereichsleitenden BpA der Eingangs-, Primar- und Sekundarstufe I stellen für jeweils einen Verbund von bis zu sechs Schulen einer Schulgemeinde eine:n Praxisleiter:in an – das ist neu. Diese Anstellungen und der damit verbundene verbindliche Auftrag sind zentral für die engere Zusammenarbeit mit dem Schulfeld. Praxisleitende sind in der Regel erfahrene Lehrpersonen. In einem 20-Prozent-Pensum organisieren und koordinieren sie an einer Kooperationsschule die benötigten Praxisplätze für die Studierenden der PH Zürich, überprüfen und gestalten die Qualität des Ausbildungsplatzes und tauschen sich regelmässig mit den Praxislehrpersonen aus. Die Praxislehrpersonen sind Klassenlehrpersonen. Sie coachen unsere Studierenden bei ihren Praxiseinsätzen. Zusammen mit den Mentor:innen unterstützen und beurteilen die Praxislehrpersonen den berufspraktischen Kompetenzaufbau der Studierenden. Die Planung der Praxismodule übernehmen die Praxisleitenden gemeinsam mit den Mentor:innen. Damit stellen sie sicher, dass die Studierenden sich in den Praktika auch mit Themen wie der Zusammenarbeit mit Erziehungsberechtigten, dem Umgang mit Heterogenität oder dem Beurteilen praktisch auseinandersetzen. Die Mentor:innen sind verantwortlich für die berufliche Eignungsabklärung der Studierenden und bringen geeignete Theoriebezüge ein. Gemeinsam mit den Praxisleitenden begleiten sie zudem die Mentoratsgruppen. Das sind während der ganzen Studiendauer sich regelmässig treffende Studierendengruppen.
Können Sie ein Beispiel nennen, wie Studierende bei anspruchsvollen schulischen Themen involviert werden?
Auf die Zusammenarbeit mit Erziehungsberechtigten beispielsweise sind PH-Abgänger:innen früher laut Rückmeldungen unzureichend vorbereitet worden. Neu nimmt jede:r Studierende der Sek I im Quartalspraktikum an mindestens einem Elterngespräch teil. Vorbereitend wird an der PH Zürich ein Kommunikationsmodul absolviert. Jede:r Studierende erhält einen Beobachtungsauftrag und notiert während des Elterngesprächs, was auffällt. Anschliessend besprechen Praxislehrperson und Studierende:r die Notizen zu den Beobachtungen und werten das Gespräch aus. Am nächsten Treffen im Kommunikationsmodul diskutieren die Studierenden mit der praxisleitenden Person und einer Dozentin oder einem Dozenten der PH Zürich die Beobachtungen und gemachten Erfahrungen. Ziel ist, dass auch die Praxisleitenden ihre Perspektive in die Lehrer:innenausbildung einbringen und aufzeigen, wie an ihrer Schule mit dem diskutierten Thema umgegangen wird. Ein anderes Beispiel: Kürzlich haben wir anhand der künstlichen Intelligenz (KI) ein aktuelles Thema im Schulalltag durchgespielt. In einem Berufspraxisseminar haben die Studierenden Stellung für oder gegen KI im Schulalltag bezogen und ihre Standpunkte diskutiert. Die Praxisleitung hat daraufhin geschildert, wie KI an ihrer Schule konkret in den Schulalltag einfliesst und wie damit umgegangen wird.
Herausfordernd ist auch die Beurteilung von Schüler:innen. Wie vermitteln Sie diese in den Praktika?
Selbst für erfahrene Lehrpersonen ist die Beurteilung von Schüler:innen und deren Kompetenzen herausfordernd. Das Thema Beurteilung fliesst daher stark in die Praktika ein. An einer KS-2.0-Schule konnte ich folgendes Setting erleben: Je zwei Studierende erhielten in einem berufspraktischen Seminar den Auftrag, eine Klasse im mündlichen Bereich in den Fächern Deutsch oder Englisch summativ zu beurteilen. Ein Kompetenzbeurteilungsraster der Klassenlehrperson diente ihnen als Grundlage, darauf basierend benoteten sie in 45 Minuten jede:n Schüler:in. Die meisten Studierenden waren überrascht, wie anstrengend allein schon das emotionale Abholen der nervösen Schüler:innen in Prüfungssituationen ist. Anschliessend an diese Erfahrung thematisierte der Mentor die Theorie: Wie erfolgt eine Kompetenzbeurteilung, was heisst es, formativ oder summativ zu beurteilen? Vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Erfahrung sind die Studierenden bereit, die Theorie aufzunehmen. Lernen läuft stark
über Erleben.
Das neue Modell wird seit Sommer 2023 umgesetzt. Wie sind die Rückmeldungen der beteiligten Kooperationsschulen?
Ich habe diesen Frühling alle 24 Kooperationsschulen der Sekundarstufe I besucht und ein sehr positives Feedback erhalten. Und die Studierenden verstehen durch den Praxisbezug die an der PH Zürich vermittelten Inhalte besser und verknüpfen sie mit dem Schulalltag.
Wie sichern Sie die Qualität der BpA an den Kooperationsschulen?
Durch die Praxisleitungen. Sie besuchen regelmässig die Praxislehrpersonen mit ihren Studierenden und führen qualitative Befragungen der Praxislehrpersonen, der Mentor:innen und der Studierenden durch. Als Verantwortlicher für die Sek I habe auch ich regelmässigen Austausch mit allen am Modell KS 2.0 Beteiligten und diskutiere mit ihnen mögliche Verbesserungen.
Welche Vorteile bringt das neue Modell den beteiligten Kooperationsschulen?
Die Schulen rücken näher an die Ausbildungssettings heran und die PH Zürich bildet noch praxisnäher aus. Nicht zu unterschätzen ist, dass die KS-2.0-Schule viel einfacher Lehrpersonen für ihre Schulen finden. Und nicht zuletzt haben die Kooperationsschulen Zugriff auf das Netzwerk der PH Zürich: Wir vermitteln ihnen bei konkreten Herausforderungen Expert:innen der Hochschule.
Das Modell KS 2.0 lebt davon, dass Hochschule und Praxis eng zusammenarbeiten. Funktioniert dies auch langfristig?
Ja, dessen bin ich mir sicher. Wir nehmen die Fragen der Praxis auf und wollen die Ausbildung auf die Herausforderungen des Berufsalltags ausrichten. Das erfordert ein Umdenken der Praxis, es braucht aber auch ein Umdenken der Hochschule. Schliesslich ist es eine Frage der Haltung: Wir als Hochschule können zwar Aussagen dazu machen, was lernwirksam ist. Doch gibt es kein Patentrezept für die Umsetzung in der Praxis. Unsere Abgänger:innen sind gefordert, das Erlernte auf die individuelle Situation von Schulgemeinden, Schulkulturen, Klassen und einzelnen Schüler:innen anzupassen. Das gelingt, wenn sich die berufspraktische Ausbildung an den Anforderungen des Schulfelds ausrichtet und sich laufend weiterentwickelt.