Gutes Lernen setzt gute Netzwerke voraus – weil sich die komplexen Aufgaben an den Schulen nur gemeinsam lösen lassen. Und weil der Anspruch des lebensnahen Lernens eine kreative Vernetzung mit der Umwelt verlangt. Ein Blick auf die zahlreichen Vernetzungen in, zwischen und über Schulen hinaus.

Im Internet oder World Wide Web steckt er drin. In den sozialen Netzwerken, aber auch im Networking-Event: der Gedanke einer Netzwerkstruktur, die uns verbindet. Bereits Ende der 1990er-Jahre brachte der Soziologe Manuel Castells den Begriff der Netzwerkgesellschaft auf und damit die Idee, dass die Logik des Netzwerks die Gesellschaft massgebend prägt. Statt als Gebilde mit festen Strukturen zeichnet er die Gesellschaft um die Jahrtausendwende als Netzwerk von verschiedenen Akteur:innen, die als Punkte in immer neuen Konstellationen miteinander verbunden sind.
Rund 25 Jahre später arbeiten wir noch immer mehrheitlich in festen Arbeitsverhältnissen, der Nationalstaat hat sich nicht aufgelöst und gerade die Technologiegiganten beweisen, dass feste Institutionen äusserst machtvoll sind. Und trotzdem: Netzwerke haben eine wichtige Bedeutung. Wer Produkte bewirbt, Informationen verbreiten will oder wer einen Job sucht, setzt heute auf soziale Netzwerke. In der Schule dagegen ist der Begriff des Netzwerkens und auch die Idee des Networkings noch wenig etabliert. Dies, obwohl auch an der Volksschule Vernetzungen auf verschiedenen Ebenen immer wichtiger werden.
Zeit für den Bumerang
«Wer kann mir weiterhelfen?» Es ist eine einfache Frage, die Frank Brückel, Dozent an der PH Zürich, in den Raum stellt. Doch sie schneidet gleich zwei Themen an: Sie deutet darauf hin, dass Schulen heute auf eine gute Vernetzung angewiesen sind. Und sie zeigt, wie das funktionieren könnte: um Hilfe bitten. «Die Komplexität ist an Schulen so stark gestiegen, dass es für diese manchmal schwierig wird, alle Herausforderungen schulintern zu lösen», sagt Brückel. Als Beispiel nennt er die vielen Details, die es bei der Umstellung zur Tagesschule zu berücksichtigen gilt: von der Aufgabenhilfe bis zu einem Kontrollsystem, ob alle Schüler:innen zu Mittag gegessen haben. Die Umstellung müsse nicht jede Schule neu entdecken, sagt er und fügt an: «Hier können Netzwerke ansetzen.» Durch einen informellen Erfahrungsaustausch und gegenseitige Unterstützung kann es gelingen, das neue Modell und den Unterricht so zu gestalten, dass alle Schülerinnen und Schüler profitieren, ohne dass Erwachsene überfordert sind.
Wie eine solche Vernetzung und Unterstützung zwischen Schulen aussehen könnte, zeigt ein Netzwerk zum Thema bildungsgerechte und inklusionsorientierte Schulgemeinschaften, das Brückel zurzeit mit Vertreter:innen des Zürcher Volksschulamts (VSA) und verschiedenen Schulen aufbaut. Viermal pro Jahr treffen sich die rund 25 Beteiligten für den Austausch rund um die Frage, wie Schulen die zunehmende Heterogenität an Schulen positiv nutzen können. Dazwischen tauschen sie sich schriftlich in einem Chat über Fragen aus, die im Schulalltag auftauchen, bei Bedarf werden kurze Online-Meetings aufgesetzt. Brückel skizziert ein Beispiel für den informellen Austausch: Schulleitungen müssen gegenüber verschiedenen Akteur:innen erklären können, weshalb inklusive Schulformen nötig oder sinnvoll sind. Nur: Wie vermittelt man das am besten? Diese Frage nach einem guten Argumentarium für das Ziel der inklusiven Schule treibt eine Schulleiterin seit Jahren um, nun stellt sie diese in den Chat. Innert kurzer Zeit erhält sie von einer Vertreterin des VSA Hinweise zur Gesetzesgrundlage, von der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) Zürich kann jemand wissenschaftliche Grundlagen für den Nutzen der Inklusion beisteuern, andere Schulleiter:innen teilen eigene Erfahrungen und verständliche Argumente.

Was einfach klingt, ist nicht so leicht aufzubauen und am Laufen zu halten. «Netzwerke sind grundsätzlich etwas Loses und gleichzeitig erfordern sie ein hohes Commitment, damit sie nicht zerfallen», erklärt Brückel. So haben die Mitglieder des Netzwerks denn auch klare Regeln für die Zusammenarbeit festgelegt: dass Fragen von anderen zeitnah beantwortet werden und man nicht wartet, bis andere eine Antwort liefern. Oder dass man mitteilt, falls man keinen Nutzen mehr im Netzwerk sieht. «Für das Funktionieren eines solchen Netzwerks braucht es einen hohen Willen, sich auch einmal zurückzunehmen und nicht gleich nach dem direkten Benefit zu fragen», erklärt Brückel und fügt hinzu: «Doch der Bumerang kommt bestimmt.» Denn in einem bestehenden Netzwerk, in dem man alle kennt, kann man in einer herausfordernden Situation auch rasch nach Hilfe fragen. Das Ziel dabei ist nicht nur eine Entlastung von Schulleitungen oder Lehrpersonen, sondern primär die Professionalisierung. «Weil man in der Regel gemeinsam bessere Lösungen findet, kommen solche Netzwerke letztlich dem Lernen und der Entwicklung der Schülerinnen und Schüler zugute», so Brückel.
Schule als Teil des Ganzen
Dass die Schülerinnen und Schüler profitieren, wenn sich Schulen vernetzen, davon ist auch Enikö Zala-Mezö überzeugt, die das Zentrum für Schulentwicklung an der PH Zürich leitet. Sie ortet nicht nur Bedarf an einer Vernetzung unter Schulen, sie plädiert auch für eine stärkere Vernetzung von Schulen mit ihrer Umgebung. «Lebensnahe Erfahrungen werden heute als zentral fürs Lernen betrachtet. Das verlangt, dass sich Schulen nicht gegen aussen abgrenzen, sondern sich auf kreative Weise mit der Umgebung vernetzen», so Zala-Mezö. Statt Dinge im Unterricht zu simulieren, dürften Lehrpersonen noch stärker danach fragen, was man in der Umgebung alles anpacken und tun könne. «Es geht darum, vorhandene Ressourcen und Institutionen zu nutzen, damit das Lernen interessanter und bedeutsamer wird», so Zala-Mezö. Gemeint sind simple Formen der Vernetzung: Liegt die Schule in der Nähe eines Naturzentrums, so kann der Biologieunterricht dorthin verlagert werden. Auch für einen Pausenkiosk müssen Schülerinnen und Schüler das Brotverkaufen nicht neu erfinden. Stattdessen könnten sie mit einer nahen Bäckerei gemeinsam ein Konzept erarbeiten. Und als gesamte Schule könnte man zusammen mit der Gemeindeverwaltung ein Schaufenster für Projekte der Schüler:innen kreieren, damit das erarbeitete Wissen auch mit Personen ausserhalb der Schulen geteilt werden kann.
Der Berufswahlunterricht, wo Schulen stark mit Eltern, Berufsleuten und Betrieben aus der Region zusammenarbeiten, ist ein gutes Beispiel für das Eingebettetsein von Schule in die Umgebung. Wie weitreichend das Ineinandergreifen von Schule und Umgebung gehen kann, hat Zala-Mezö in den USA erlebt, wo Schule weniger als Institution denn als Teil einer Community gedacht und auch die Wissensvermittlung stärker als gemeinsame Aufgabe betrachtet wird. So lud ein Schuldistrikt die Eltern etwa zu einem Spielabend ein, an dem sie Lernspiele ausprobieren durften, die sie auch zu Hause mit ihren Kindern spielen konnten. Dies mit dem Gedanken, dass die Kinder in der Schule besser lernen, wenn sie zu Hause unterstützt werden. Auch in der Schweiz, wo Bildung und Erziehung stärker getrennt werden, könne dieses Verständnis der Schule als Teil der Gemeinschaft als Inspiration dienen, sagt Zala-Mezö und fügt an: «Schulen dürfen sich noch stärker als Teil von etwas Grösserem definieren.»
Keine Einzelspieler mehr
Zahlreiche Entwicklungen an den Schulen tragen dazu bei, dass das Lernen heute stärker als Zusammenspiel mehrerer Akteur:innen gedacht wird. So haben verschiedene Schulgemeinden professionelle Lerngemeinschaften für ihre Schulen etabliert. Ein Schulkreis in der Stadt Zürich denkt das Lernen an den Schulen gemeinsam und fasst übergreifende Legislaturziele. Und für alle Schulen gilt, dass sich Lernsituationen durch Teamteachings und multiprofessionelle Zusammenarbeit öffnen und sich das Bild der Lehrperson von der Einzelspielerin in zur Teamplayerin wandelt.

«Heute ist es für angehende Lehrpersonen eine Selbstverständlichkeit, dass man in Teams arbeitet. Die Frage ist vielmehr, wie an Schulen zusammengearbeitet wird», sagt Karin Zopfi Bernasconi, die an der PH Zürich den Bereich Bildung und Erziehung für die Primarstufe leitet. Sie weist darauf hin, dass man innerhalb der Institution Schule nicht von einer Vernetzung zwischen verschiedenen Fachpersonen spreche, sondern von multiprofessioneller Zusammenarbeit. Doch diese ist nicht als Nebeneinander verschiedener Professionen zu begreifen, sondern als ein komplexes Ineinandergreifen von diesen. Statt dass Aufgaben einfach aufgeteilt oder delegiert werden, tragen gute Schulteams gemäss Zopfi Bernasconi gemeinsam Verantwortung für das Lernen und die Entwicklung der Schüler:innen und verbinden die unterschiedlichen Perspektiven zu einer geteilten Praxis. Diese intensive Form der Zusammenarbeit mache die Arbeit nicht weniger anspruchsvoll, sagt Zopfi Bernasconi. Doch sie sagt auch: «Untersuchungen zeigen, dass gute Zusammenarbeit unter dem Strich zu einer Entlastung und einer höheren Zufriedenheit führen kann.»
Dabei kommt der Schulleitung gemäss Zopfi Bernasconi eine entscheidende Rolle zu. Ihre Aufgabe ist es, eine wertschätzende Kultur der Zusammenarbeit vorzuleben und diese auch zu pflegen. Dazu gehört, dass sie Vorstellungen der Zusammenarbeit im Team zur Sprache bringt und blinde Flecken aufdeckt: Trauen sich alle, ihre Meinung zu äussern und Kritik anzusprechen? Oder gibt es Hierarchien zwischen den Professionen oder gar ein Konkurrenzdenken? Gerade in der Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen und Betreuung sieht Zopfi Bernasconi diesbezüglich noch grosses Entwicklungspotenzial. «Hier ist es oft schon schwierig, überhaupt gemeinsame Austauschgefässe zu finden, weil das Betreuungspersonal gewöhnlich dann arbeitet, wenn Lehrpersonen Zeit hätten und umgekehrt.» Haben Schule gemeinsame Gefässe für den Austausch etabliert, sollten sie regelmässig überprüfen, ob diese wirklich zielführend genutzt werden, sprich, ob der Austausch wirklich über eine rein operative Absprache hinausgeht.
Im Entwicklungsprojekt Zusammenarbeit an Schulen (ZaS) haben Dozentinnen der PH Zürich und der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) zusammen mit dem Volksschulamt Materialien entwickelt, mit denen Schulteams ihre Zusammenarbeit reflektieren und stärken können. Dabei handelt es sich um nach Bedarf einsetzbare Bausteine – von der Übung für den Sitzungsstart bis zur Anleitung für eine Fallbesprechung. Diese werden ab 2025 allen Schulen zur Verfügung gestellt.
Näher an den Schulen
Auch die PH Zürich strebt heute eine stärkere Vernetzung mit dem Schulfeld an. So hat sie mit dem Modell der Kooperationsschulen ein Netzwerk aufgebaut, das die Ausbildung von Lehrpersonen noch stärker in der Praxis verankert (siehe Reportage ab Seite 17). Statt dass Studierende ihre Praktika wie früher an verschiedenen Schulen absolvieren, bleiben sie heute für die Praktika an einer Kooperationsschule und werden dort über zwei Jahre hinweg von den Praxislehrpersonen der Schule begleitet. Diese wiederum werden von einer Praxisleitung an ihrer Schule betreut, die eng mit ein oder zwei Mentor:innen der PH Zürich zusammenarbeitet. «Mit dieser engen Dyade zwischen Mentorin und Praxisleitung wird die Verantwortung für die berufspraktische Ausbildung stärker gemeinsam getragen», sagt Zopfi Bernasconi. Zudem soll das neue Modell auch dazu beitragen, dass Studierende Schule bereits in der Ausbildung umfassend kennenlernen – als komplexes System mit verschiedenen Beteiligten, vom Schulsozialarbeiter über die Schulleiterin bis zu den Eltern der Schüler:innen.

Ein weiteres Bindeglied zwischen Ausbildung und Praxis stellt der neue Alumni-Verein der PH Zürich dar, der 2018 von Student:innen der PH Zürich initiiert wurde und sich 2021 neu ausrichtete (siehe Interview). Mitglieder können nicht nur Lehrpersonen werden, die an der PH Zürich studiert haben, sondern ebenso Dozent:innen und seit Ende 2023 auch Student:innen. Neben Bildungsanlässen, an denen der Praxisaustausch im Zentrum steht, bietet der Verein eine nach Abschlüssen gegliederte elektronische Plattform, auf der Erfahrungen, Wissen und Materialien ausgetauscht werden. «Das Ziel des Netzwerks ist, dass sich Lehrpersonen durch das Teilen ihrer besten, praxiserprobten Ideen gegenseitig inspirieren und in ihrer Berufsrolle stärken», sagt Christian Wagner, Kommunikationsspezialist der PH Zürich, der den Vereinsvorstand beim Aufbau unterstützt und als Schnittstelle zwischen Hochschule und Verein fungiert. Gleichzeitig werde mit dem Verein auch am Netzwerk zwischen Hochschule und Schulen weitergesponnen, an der Verknüpfung zwischen Ausbildung und Praxis. So findet eine Studentin auf der Plattform Inspiration für eine Lektion in ihrem Praktikum, ein Lehrer fragt in die Runde, ob jemand geeignete Lagerhäuser weiterempfehlen könne, und eine Dozentin findet über ehemalige Studierende unkompliziert Möglichkeiten, um an einer Schule etwas auszuprobieren.
Der Aufbau eines Alumni-Vereins sei eine Herausforderung, sagt Wagner. Denn in beruflichen Alltagsfragen könnten gute Schulteams oft schon viele Bedürfnisse abdecken. Es gibt aber auch weitere Gründe, weshalb Lehrer:innen oft wenige Vernetzungsbedürfnisse zeigen. «Durch die wenigen Aufstiegsmöglichkeiten und den Lehrpersonenmangel gibt es für Lehrpersonen wenig Grund für klassisches Networking», so Wagner. Zudem fehle gerade Berufseinsteiger:innen die Zeit für den Kegelabend oder das Bier unter Berufskolleg:innen. Zwei frühere Versuche für ein Alumni-Netzwerk an der PH Zürich, die hauptsächlich auf sozialen Anlässen basierten, scheiterten denn auch. Und auch an anderen PHs in der Schweiz gab es bisher keine grossen Alumni-Netzwerke wie sonst an Hochschulen. Nach ersten positiven Erfahrungen mit den 450 Mitgliedern ist das Alumni-Team optimistisch, dass es klappt mit dem Aufbau des Netzwerks. Denn mit einem praxisorientierten Angebot sind Lehrpersonen durchaus bereit, sich miteinander zu vernetzen: wenn es nämlich darum geht, wie Schule besser, farbiger, interessanter wird. Und das Unterrichten ein Stück leichter.