Mit dem Projekt Kooperationsschule 2.0 baut die PH Zürich ein Netzwerk für ein neues Modell der berufspraktischen Ausbildung auf. Die beteiligten Schulen profitieren auch vom Austausch untereinander.
Oliven und Parmesanstücke stehen auf den Tischchen bereit, Sektgläser erklingen beim Anstossen, Servierpersonal schlängelt sich mit Platten voller Häppchen durch die Menge. An der PH Zürich herrscht an diesem Freitagabend im Spätherbst eine festliche Atmosphäre. Rund um die Stehtische haben sich kleinere Menschengruppen versammelt, die in angeregte Gespräche vertieft sind. «Für mich ist es sehr wertvoll zu hören, wo andere Schulen der Schuh drückt», sagt Philipp Diener, Schulpräsident der Sekundarschule Embrach. Eben hat er sich mit einem Vertreter der Sekundarschule Zürich-Oerlikon unterhalten, die eine ähnliche Grösse aufweist. «Es interessiert mich, wie andere mit dem Thema Inklusion umgehen sowie mit den immer heterogeneren Klassen und verhaltensauffälligen Jugendlichen.»
Die PH Zürich hatte an diesem Abend zum ersten Netzwerkanlass des Projekts Kooperationsschule 2.0 eingeladen. Mit dem neuen Modell sollen noch tragfähigere Beziehungen zwischen den Schulen und der PH Zürich entstehen sowie Praktikumsplätze mit hoher Qualität für Studierende geschaffen werden. «Wir suchen und pflegen die Allianz mit den Kooperationsschulen, um die Studierenden auf ihrem Weg zum Lehrdiplom gemeinsam professionell zu unterstützen», führte Prorektorin Silja Rüedi in ihrer Begrüssungsrede aus.
Konzept für alle Stufen
Das Projekt Kooperationsschule 2.0 ist im Sommer 2023 gestartet. Zuvor habe jede Studienstufe ihr eigenes Konzept für die Berufspraxis gehabt, erklärt Projektleiterin Esther Forrer Kasteel. «Nun haben wir ein einheitliches Konzept entwickelt, das die Vorzüge aller bisherigen Modelle vereint.» Neu ist unter anderem, dass verschiedene Hierarchiestufen und Funktionen einbezogen werden, also zum Beispiel auch die Schulleitungen und Behörden. Die neuen Kooperationsschulen schliessen mit der PH Zürich einen Vertrag für die Zusammenarbeit ab. Eine Kooperationsschule besteht in der Regel aus einer ganzen Schulgemeinde oder bei kleineren Schulgemeinden aus mehreren, die sich zusammengeschlossen haben. Jede Kooperationsschule beschäftigt eine Praxisleitung, die zu 20 Prozent an der PH Zürich angestellt ist. Diese Person verbindet die Kooperationsschule mit der PH Zürich. Sie sucht nach geeigneten Lehrpersonen und motiviert sie, Praktikumsplätze anzubieten, und coacht sie speziell für diese Aufgabe. Mit dem kontinuierlich gepflegten Netzwerk kann eine hohe Qualität gewährleistet werden. Pro Kooperationsschule braucht es einen Pool von mindestens 14 Praxislehrpersonen, welche die Studierenden gemeinsam mit den Mentor:innen der PH Zürich begleiten. Indem die beteiligten Personen am selben Strick ziehen, soll der Wissenstransfer vom Hochschulstudium in die Praxis besser gelingen.
Die Studierenden absolvieren in der Regel sämtliche Praktika in verschiedenen Schuleinheiten der gleichen Kooperationsschule. So werden sie mit den Teams, der jeweiligen Schulkultur und der Umgebung vertraut. Wie Befragungen zeigen, bleibt rund die Hälfte der Studierenden nach dem Abschluss in derselben Schule. Mit dem akuten Lehrpersonenmangel sei dies für die Schulen ein grosser Gewinn und oft ein zentraler Grund für ihr Engagement, weiss Forrer Kasteel. «Zudem bringen die Studierenden immer wieder neue Themen und Ideen ein.» Das Anbieten von Ausbildungsplätzen bedeute nicht nur Aufwand, so Forrer Kasteel. «Schulleitende erkennen, dass es auch viel frischen Wind bringt.»
Bis Ende 2023 hatte die PH Zürich bereits mit etwa 40 Kooperationsschulen einen Vertrag abgeschlossen. Obwohl mit dem neuen Modell einzelne Praktikumsplätze an Schulen wegfielen, die bis anhin nicht zur Kooperationsschule geworden sind, konnte die Gesamtzahl schon deutlich gesteigert werden. Auf Niveau Sekundarschule ist das Ziel bereits erreicht. Für die Studierenden der Primarstufe hingegen braucht es noch mindestens 30 zusätzliche Kooperationsschulen. Es laufen bereits Verhandlungen mit weiteren Schulgemeinden, doch der Bedarf bleibt weiterhin bestehen.
Netzwerk schaffen, bevor man es braucht
Mit dem Netzwerkanlass an der PH Zürich habe man unter anderem die Einführung des neuen Projekts feiern wollen, erklärt Esther Forrer Kasteel. «Wir wollten das tragende Netz exemplarisch darstellen und den Mitwirkenden mit einem persönlich relevanten Input ein Geschenk machen.» Im ersten Teil des Abends hatte Expertin Sibyl Schädeli ein Inputreferat mit dem Titel «Netzwerken – just do it» gehalten. Wie sie erklärte, geht es beim strategischen Netzwerken darum, sich auf ganz andere Menschen einzulassen. Und zwar auch auf solche, die einem nicht auf Anhieb sympathisch sind. Statt nur auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein, solle man echtes Interesse zeigen und überlegen, was man den anderen zu geben habe, führte die Coachin und Autorin aus. Netzwerke müssten gezielt aufgebaut und stetig gepflegt werden, um die entsprechende Kraft zu entwickeln. Dies nehme mindestens zwei Jahre in Anspruch. «Wenn man ein Netzwerk braucht, ist es zu spät, mit dem Aufbau zu beginnen.» Gemäss Schädeli spielen Netzwerke heute auch im Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle. Über 70 Prozent der Stellen sollen über Beziehungen vergeben werden.
Austausch verbessern
Bei den anschliessenden Roundtable-Gesprächen untermauerte eine Mitarbeiterin der PH Zürich diese Aussage, indem sie erzählte, wie sie zu ihrer derzeitigen Stelle gekommen war. Als sie noch als Lehrerin gearbeitet habe, habe sie sich hin und wieder mit einer früheren Berufskollegin zum Mittagessen getroffen, erzählte sie. Diese hatte unterdessen an die Hochschule gewechselt. So erfuhr die heutige Dozentin von der offenen Stelle und bewarb sich. «Ich finde Netzwerken wichtig, habe es aber bis anhin nicht so gezielt betrieben», stellte die Frau fest.
Auch Martin Jud, Praxisleiter an der Primarschule Thalwil, wäre nie auf die Idee gekommen, Arbeitsbeziehungen so bewusst zu gestalten, wie es die Referentin propagiert hatte. «Mir ist ein Licht aufgegangen», stellte Jud in der Gesprächsrunde fest. Ana Iglesias, wissenschaftliche Mitarbeiterin der PH Zürich, hält ein starkes Netzwerk ebenfalls für enorm wichtig. Im Rahmen des neuen Modells Kooperationsschule 2.0 hofft sie damit auf einen besseren Austausch zwischen Fachdidaktik und Praxislehrpersonen. «Wir sollten einen Konsens darüber finden, was wir von den Studierenden erwarten», stellt die Dozentin für Deutsch und Deutsch als Zweitsprache (DaZ) fest.
Derweil geht es am Roundtable nebenan ziemlich hitzig zu und her. Thema sind gerade die Lehrpersonen ohne Diplom, die seit 2022 ausnahmsweise unterrichten dürfen. Ein Schulleiter und eine Schulpräsidentin sind unzufrieden damit, dass gute Leute nach einem Jahr an der Schule wieder gehen müssen und die Hürden für ein Studium hoch seien. Eine Lösung für dieses Problem lässt sich an diesem Abend nicht finden. Doch immerhin scheint die persönliche Begegnung mit Fachpersonen von der PH Zürich zu gegenseitigem Verständnis zu führen und die Gemüter etwas zu beruhigen. «Es ist gut, dass wir jetzt jemanden von der Hochschule kennengelernt haben», stellt der Schulleiter fest. Bei Problemen könne man sich künftig an diese Person wenden.
Dreiergruppen mit einer Frau
Beim Apéro riche gehen die Gespräche danach munter weiter. Einige versuchen dabei die Tipps von Referentin Sibyl Schädeli zum Netzwerken zu befolgen: Erfolgversprechend sei es, sich Gruppen von drei Personen anzuschliessen. Denn bei einer Zweiergruppe bestehe die Möglichkeit, dass die beiden gerade für sich bleiben möchten, weil sie etwas Diskretes zu bereden hätten. Fünf Personen hingegen sind gemäss Schädeli schon etwas zu viele für ein gutes Gespräch. Zudem sei es von Vorteil, wenn mindestens eine Frau dabei sei. Denn Frauen seien meist eher bereit, andere in ein Gespräch einzubeziehen. Für die Suche nach neuen Bekanntschaften könne man zudem die Teilnehmendenliste konsultieren oder gezielt Anwesende googeln und bei Interesse ansprechen.
Unter den Geladenen war auch Fredy Tischhauser, Rektor der Sekundarschule im schwyzerischen Bezirk March. Dass auch Schulen aus angrenzenden Kantonen im Projekt mitmachen können, nimmt er als grosse Bereicherung wahr. «Wir profitieren von den Studierenden, die bei uns Praktika absolvieren.» Zudem sei der Austausch mit Schulvertretenden aus dem Kanton Zürich interessant. In seiner Gruppe war zum Beispiel die unterschiedliche Handhabung des Berufsauftrags ein Thema. Das Steuerungsinstrument regelt die Jahresarbeitszeit der Lehrpersonen je nach Pensum.
Nach 14 Jahren wieder getroffen
An einem Stehtisch im hinteren Bereich der Mensa haben sich zwei junge Frauen wieder getroffen, die sich lange aus den Augen verloren hatten. Vor 14 Jahren hatten sie zusammen an der PH Chur studiert. Unterdessen sind beide Schulleiterinnen im Kanton Zürich. Sie sei eigentlich wegen des Vortrags über Networking gekommen, sagt die eine. «Das ist ein spannendes Thema und wurde noch dazu von einer Frau in einer Führungsposition vorgetragen.» Ihre Kollegin bezeichnet sich selbst als engagierte Netzwerkerin, die gerne Menschen trifft und die Vorteile davon auch beruflich nutzt. «Ich versuche, mich regelmässig aus meiner Bubble hinauszubewegen», sagt sie. «So weiss man eher, wo man anrufen kann, wenn man etwas braucht.» Während die beiden bei den Häppchen zulangen, plaudern sie aber auch ganz einfach über Privates, ihren Alltag als Schulleiterinnen und lassen die letzten 14 Jahre Revue passieren.